Ennepetal. Es wird immer aggressiver in den Wäldern von Ennepetal und Gevelsberg. Was Katrin Latuske dort beinahe täglich erlebt, ist kaum zu glauben.
Immer tiefer in den Ennepetaler Wald flüchtet die Ricke. Panik in den weit aufgerissenen Augen. Sie schaut links, sie schaut rechts, ihre Kondition ist längst aufgebraucht. Die Schwangerschaft benötigt viel Kraft. Doch ihr Verfolger ist unerbittlich. Auch er wird verfolgt – von den Rufen und Pfiffen, die aus Frauchens Mund durch den Wald schallen. Doch so gern der sonst kuschelige und brave Golden Retriever darauf reagieren würde – seine Instinkte lassen das nicht zu. Der Jagdtrieb regiert in dem Hundekopf. Tief graben sich seine Zähne in die Flanke des trächtigen Weibchens, reißen Stücke aus dem Leib. Die Ricke und ihre ungeborenen Kinder liegen im Sterben, als die Rufe von Frauchen zu ihm durchdringen. Mit blutiger Schnauze kehrt er zurück. Nicht das erste Mal in seinem Leben.
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Was sich liest wie aus einem Horror-Roman ist blutige Realität in den Wäldern. Allein auf Meinighausen, wo der Gevelsberger und der Ennepetaler Wald verschmelzen, zählt Katrin Latuske in jedem Jahr 25 bis 30 Rehe, die durch frei laufende Hunde gerissen werden. „Doch dieses Jahr toppt alles und dazu kommt eine ungeheure Aggressivität vieler Hundebesitzer und Spaziergänger“, sagt die Jagdpächterin. Weite Wiesen, ausgedehnte Wälder, Quellen sprudeln aus dem Fels, wer aufmerksam und leise ist, hat hier die Chance, Wildtiere in freier Natur zu sehen. Das ist so schön und schützenswert, dass der Bereich zum besonders schützenswerten FFH-Gebiet ausgeflaggt ist. Doch im Auenland auf der Stadtgrenze zwischen Gevelsberg und Ennepetal brodelte es hinter den idyllischen Kulissen immer schon, seit Corona herrscht dort Krieg.
Egoismus regiert im Wald
Vor allem die Ausgangsbeschränkungen sorgen dafür, dass Mountainbiker, Spaziergänger, Wanderer, viel mehr Hundebesitzer als zuvor, und, und, und in die Natur strömen. Während sich ein großer Teil respektvoll verhält und simpelste Verhaltensrichtlinien beachtet, nimmt aber auch der Teil derer stark zu, die massiven Schaden an Tieren und Pflanzen anrichten. Katrin Latuske beginnt zu erzählen, womit sie, ihre Kollegen in den Nachbarrevieren und die Landwirte beinahe täglich konfrontiert werden; und ihre Schilderungen scheinen niemals abzureißen. Da ist das Elternpärchen, dass die Kinder mit dem Kitz fotografiert, dass sie auf einem Feld entdeckt haben und das fortan von seiner Mutter nicht mehr angerührt wird und stirbt. Das sind die Wanderer, die Wildwechsel mit der Rosenschere freischneiden. Da ist der Mann, der regelmäßig eine Firma besucht und seinen Hund über Stunden allein durch den Wald streifen lässt. „Darauf angesprochen hat er einem Nachbarn gesagt, er soll die Fresse halten, sonst würde er Schläge bekommen“, sagt Katrin Latuske, die selbst erst kurz zuvor von einer Frau, die ihre sechs Hunde frei laufen ließ, massiv angegangen wurde.
Dabei ist aktuell Brut- und Setzzeit – die Zeit, in der die wildlebenden Tiere ihren Nachwuchs bekommen. Hier gelten zusätzliche Pflichten für Hundebesitzer und eine generell größere Rücksichtnahme auf die Natur und ihre Bewohner. „Doch es herrscht nur noch Egoismus. Ich, ich, ich. Die Leute sehen überhaupt nicht ein, dass sie etwas falsch machen“, sagt Katrin Latuske, die mit diesem Problem als Jägerin nicht allein ist. Denn auch die Landwirte bekommen von den Gästen in der Natur ihr Fett weg.
+++ Streit im Wald tobt bereits seit Jahren +++
Wie der Bauer, der mit dem Traktor auf sein eigenes Feld fuhr und von dem Vater, der mit seinen beiden Kindern dort war, beschimpft wurde, was er sich erlaube, einfach mit dem Trecker auf das Feld zu fahren, wo er mit seinen Kindern sei. Die Antwort: „Sie laufen mit ihren Kindern in meinem Rinderfutter herum“, stieß auf wenig Verständnis. Rinderfutter im Übrigen, das zunehmend von Hundekot verunreinigt ist. „Immer mehr Menschen gehen davon aus, sie hätten das Recht überall hinzugehen und sich dort zu benehmen, wie sie wollen. Wir haben endgültig die Faxen dicke, uns beleidigen und bedrohen zu lassen. Ab jetzt zeigen wir diese Leute an“, sagt Katrin Latuske, die mit Schrecken feststellt, dass gerade das FFH-Gebiet bei Facebook immer wieder neuen Hundebesitzern oder Hinzugezogenen als tolle Freilauffläche für Hunde empfohlen wird.
Große Bitte an die Waldbesucher
Noch hat sie keinen Hund erschossen, will die Lage auch nicht weiter eskalieren. Ihre Bitte, die der weiteren Jäger und Landwirte an die Waldbesucher ist daher recht simpel: „Bitte nehmen Sie Rücksicht, zeigen sie Respekt der Natur und anderen Menschen gegenüber und bleiben Sie mit Ihren angeleinten Hunden vor allem auf den Wegen.“ Dann müsste auch keine trächtige Ricke mehr mitsamt ihrer ungeborenen Kitze nach einem Riss elend tief im Wald verenden.
+++ Große Sorge der Jagdpächterin in Ennepetal +++
Das ist ein FFH-Gebiet
FFH-Gebiete sind europäische Natur- und Landschaftsschutzgebiete, die nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ausgewiesen wurden und dem Schutz von Pflanzen (Flora), Tieren (Fauna) und Lebensraumtypen (Habitaten) dienen.
Die Gebiete sind stets ausgewiesen, für Hundehalter gilt hier der Leinenzwang. Bei Zuwiderhandlung drohen den Haltern Geldstrafen.
Jäger sind befugt, die Personalien von Menschen festzustellen, die sich nicht an die Regeln halten. Zudem dürfen sie wildernde Hunde und Katzen abschießen.
Es ist verboten, Wildtiere unbefugt an seinen Zuflucht-, Nist- Brut- oder Wohnstätten durch Aufsuchen, Fotografieren, Filmen oder ähnliche Handlungen zu stören. Ein Verstoß wird mit einer Geldbuße bis zu 5000 Euro geahndet.