Gevelsberg. Insolvenz: Die Gevelsberger Gießerei Dieckerhoff wird endgültig geschlossen. Mitarbeiter sprechen von Betrug, die Geschäftsführung wehrt sich.
Morgen wäre ein Tag zum Feiern für die Firma Dieckerhoff. Dann existiert das Traditionsunternehmen seit exakt 120 Jahren – ein Tag zum Anstoßen, ein Tag um nach vorn zu schauen. Daraus wird nichts. Dieser runde Geburtstag ist der erste Tag vom Ende und der Startschuss dafür, die noch verbliebenen 220 Mitarbeiter in eine Transfergesellschaft zu überführen, bevor die Dieckerhoff-Tore endgültig schließen. Insolvenz. Ende. Aus. Keine Rettung.
Die Gießerei hat nicht nur wegen ihres langen Bestehens eine große Tradition in Gevelsberg. Dieckerhoff stand viele Jahre für Qualität, für hohe Identifikation der Mitarbeiter, für ein solide geführtes Unternehmen. Auch wenn die Belegschaft bei Tarifauseinandersetzungen oft die Speerspitze der Warnstreiks im Ennepe-Ruhr-Kreis bildete, arbeiteten Geschäftsführung und Betriebsrat doch stets im Sinne eines erfolgreichen Unternehmens zusammen. Gerade unter Druck – und den gab es im Laufe der vergangenen 20 Jahre immer wieder – verzichteten die Angestellten auf Urlaub, auf Weihnachtsgeld, auf Lohn, auf Tariferhöhungen und wurden gleichzeitig immer weniger.
Scharfe Kritik an Geschäftsführung
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Zum Exitus sind noch 220 Menschen bei Dieckerhoff angestellt. Noch im Februar waren es 260, als Geschäftsführer Marc-Oliver Arnold die städtische Wirtschaftsförderung einlud, Bürgermeister Claus Jacobi für das Foto einen Dieckerhoff-Mantel gab und erzählte, wie gut das Unternehmen für die Zukunft gerüstet sei. „Da fühle ich mich vor den aktuellen Geschehnissen schon verschaukelt“, sagt Jacobi rückblickend.
Da war der Gewinnabführungsvertrag an die Georgsmarienhütte Unternehmensgruppe (GMH) zu der Dieckerhoff seit etwa 20 Jahren gehört, bereits gekündigt. Das eröffnete GMH die Möglichkeit für die Insolvenz der Gevelsberger Firma, ohne dass die gesamte Guss-Gruppe hinein gezogen wurde. Entsprechend verärgert sind die Mitarbeiter nun.
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Betriebsratsvorsitzender Sadir Demir ist wütend: „Obwohl die Kolleginnen und Kollegen immer wieder dazu beigetragen haben, dass der Betrieb weiter gelaufen ist, sollen sie nun betrogen werden. Die Beschäftigten haben durch den ständigen Verzicht noch Anspruch auf 1,4 Millionen Euro, die die Geschäftsführung mit dem Verweis auf die Insolvenz nicht auszahlen will.“
Die Verantwortlichen in der Guss-Gruppe hätten aus Sicht des Betriebsrats zwar bei den wichtigsten Kunden Daimler und Porsche Erhöhungen der Preise durchgedrückt, jedoch mit der Folge, dass die beiden Automobilproduzenten ihre „Longlife“-Verträge mit Dieckerhoff kündigten, äußern sich die Mitarbeitervertreter gegenüber der IG Metall. Darüber hinaus seien die Verträge mit einem weiteren Hauptabnehmer, dem Automobilzulieferer Borgwarner, gekündigt worden.
„Sollte die Dieckerhoff Guss GmbH in Gevelsberg ausgeblutet und ihr Ende eingeleitet werden?“, fragt Demir. Natürlich sei es richtig, dass die flächendeckenden Produktionsstilllegungen der Automobilproduzenten aufgrund der Corona-Pandemie im Frühjahr die Lage der Gießerei verschärften, „doch die Hauptkunden wurden vor der Corona-Krise vergrault“, betont der Mitarbeitervertreter. „Dass der Betrieb stillgelegt, die Arbeitsplätze vernichtet und die Beschäftigten belogen werden, das verbittert die Kolleginnen und Kollegen noch mehr“, fasst Betriebsrat Herbert Uppendahl zusammen.
Geschäftsführung widerspricht
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Das sieht die Geschäftsführung, die sich ausschließlich über Kommunikationsberater Thomas Feldmann äußert, anders. Von dieser Zeitung auf die Vorwürfe des Betrugs an den eigenen Angestellten angesprochen, heißt es: „Davon kann keine Rede sein. Unser Ziel war es von Anfang an, das Unternehmen auf dem Weg des Schutzschirms zu sanieren und so viele Arbeitsplätze wie möglich zu sichern. Andernfalls hätten wir auch Antrag auf ein Regelinsolvenzverfahren stellen können.“ Das sei ein Rückzug auf Formalitäten, betont Clarissa Bader, Bevollmächtigte der IG Metall. Sie sieht bei Dieckerhoff großer Verfehlungen bezüglich der Investitionen. „Hier ist nur Geld investiert worden, um den Betrieb fortzuführen, nicht, um ihn zu modernisieren oder neue Dinge zu entwickeln“, sagt sie.
Auch das sieht die Geschäftsführung um Marc-Oliver Arnold anders: „Es wurde immer wieder investiert, aber das reicht nicht, wenn aufgrund fehlender Kundenaufträge eine Fortführungsperspektive fehlt. Es reicht daher auch nicht, einen oder mehrere Investoren zu finden, die Investitionen in die Dieckerhoff Guss tätigen. Neben den finanziellen Mittel benötigen wir einen Partner, der auch Aufträge mitbringt beziehungsweise seine Kunden davon überzeugen kann, auch bei Dieckerhoff Guss produzieren zu lassen“, teilt die Geschäftsführung mit.
Keine Angabe zu Geschäftszahlen
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Nun haben 220 Angestellte die Chance über die Transfergesellschaft neue Jobs zu finden, wo sie für maximal zwölf Monate Weiterbildungsmaßnahmen und Bewerbungstrainings angeboten bekommen. Ob dies auf dem aktuellen Arbeitsmarkt zum Erfolg führt, wird sich zeigen. Die Dieckerhoff GmbH hat zuletzt 75 Millionen Euro Umsatz im Jahr gemacht. Wie sich die Bilanz darstellt, wie sich die Umsatzzahlen, die Gewinne und Verluste entwickelt haben, darüber schweigt die Geschäftsführung jedoch. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir öffentlich nicht über Umsätze, Gewinne und Verluste sprechen“, heißt es auf Nachfrage dieser Zeitung.
Weitere Firma der Gruppe insolvent
Nicht minder verschlossen geben sich die Verantwortlichen zur Zukunft der restlichen Firmen in der GMH-Gruppe. So meldete die Gruppe auch für die Schwerter Gießerei Walter Hundhausen Insolvenz an. Hier fand sich jedoch ein Käufer, der den Betrieb fortführen will. Auf die Frage, ob weitere Unternehmen der Gruppe ebenfalls gefährdet sind, antwortet die Geschäftsführung: „Wir können an dieser Stelle nur über die Dieckerhoff Guss GmbH sprechen.“
Diese – das steht fest – ist nicht mehr zu retten und wird an ihrem 120 Geburtstag zur Schlachtbank geführt.