Gevelsberg. Kurz vor dem Finale wirft das Gericht einen Blick in die Biografien der beiden Angeklagten im Obdachlosen-Prozess wegen Totschlags.
Zwei Chancen. Mehr gibt Klaus-Peter S. einem anderen nicht. Übertritt jemand die Gesetze des 53-Jährigen ein drittes Mal, dann knallt es. Das hat der Angeklagte, der sich gemeinsam mit dem 38-jährigen Martin B. derzeit wegen Totschlags vor dem Hagener Schwurgericht verantworten muss, dem psychologischen Gutachter Dr. Nikolaus Grünherz in den Block diktiert. Mit ihm unterhielt er sich auch über seine Kindheit, seine Tat, sein Leben hinter Gittern und seine ganz eigenen Moralvorstellungen.
Klaus-Peter S. (53)
Urteilsverkündung steht bevor
Der Prozess wird am heutigen Donnerstag fortgesetzt. Läuft alles nach Plan des Hagener Schwurgerichts um den Vorsitzenden Richter Marcus Teich, wird er das Urteil verkünden.
Zuvor werden Staatsanwältin Sandra Ley, die beiden Verteidigerinnen Sonka Mehner und Sarah Schulz sowie Nebenklagevertreter Christoph Wortmann ihre Plädoyers halten.
Spannend wird in diesem Zuge auch, wie das Gericht die Tatbeteiligung des Zeugen G. bewertet und ob in Folge dessen die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den 51-Jährigen erhebt.
Klaus-Peter S. wird am 23. August 1966 als viertes von sechs Kindern in Gevelsberg geboren. Beide Eltern trinken heftig, der Vater stirbt an den Folgen seiner Sucht, die Mutter wird erst Mitte der 90er Jahre trocken. Da ist S. längst erwachsen. In seiner Kindheit regieren Schläge – von der Mutter, vom Vater, von den wechselnden Männern der Mutter. Er erhält wochenlangen Bettarrest, wird tagelang im Keller eingesperrt. Mit elf Jahren beschließt er, nicht immer nur der Unterlegene zu sein, sich nichts mehr gefallen zu lassen.
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Einbrüche, Prügeleien, Sonderschule, mit 14 landet er im Heim. „Eine gute Zeit“, wie er rückblickend meint. Da sei er abgehärtet worden. Nach der Schule macht er zunächst ein Berufsvorbereitungsjahr, landet schließlich bei einem Ennepetaler Schaustellerbetrieb. Seine Kraft wird dort geschätzt, er hat einen festen Verantwortungsbereich, setzt die Sicherheit am Karussell gern auch mit einem Schraubenschlüssel durch.
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Im Alter von 18 fängt er selbst mit dem Trinken an. Richtig los geht es in der JVA in Bochum, wo er sich in der Zelle selbst Schnaps destilliert. Amphetamine, Kokain, Cannabis werden zu weiteren täglichen Begleitern. Stolz ist er darauf, sich dieses Leben selbst mit Karten- und Automatenspiel zu finanzieren und nicht zum Amt zu müssen. Ebenso prägen ihn die extremen Aggressionen – vor allem wenn aus seiner Sicht Frauen und Kindern Unrecht getan wird. „Er sieht sich als Beschützer, als derjenige, der für Ordnung sorgt“, sagte Dr. Grünherz, der S. eine dissoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. „Mitleid und Empathie sind bei ihm kaum ausgeprägt.“ Man müsse große Sorgen haben, dass er auch zukünftig straffällig werde. „Eine Verminderung der Schuldfähigkeit kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden“, lautet das Fazit des Experten.
Martin B. (38)
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Deutliche Hinweise für eben diese Verminderung sieht er hingegen bei Martin B. gegeben, der größere alkoholbedingte Ausfallerscheinungen gehabt habe. B. habe eine deutlich ausgeprägtere Sucht als S.. Der Gutachter empfahl – wie auch bei S. – eine Entziehungskur in einer entsprechenden Anstalt. Auf Nachfrage des Vorsitzenden sagte der Experte zudem: „Es kann durchaus sein, dass B. die Tat auf Handlungsdruck von S. begangen hat.“ B. hatte ausführliche Gespräche mit dem Mediziner verweigert.