Balve/Dortmund/Bochum. Die Euro 2024 naht. 6 Spiele finden in Dortmund statt. Die Wirtschaft hat große Erwartungen. Was bleibt in Balve hängen?
Das Fußballfieber steigt, bei Fans wie bei der Wirtschaft. Mit der Europameisterschaft im eigenen Land wird nichts weniger verbunden als die Neuauflage desSommermärchen von 2006. Damals versetzte die Weltmeisterschaft im eigenen Land nahezu die ganze Nation in Euphorie. In diesem Sommer, von Mitte Juni bis Mitte Juli, könnte es eine Neuauflage geben. Die NRW-Wirtschaft erhofft dieses Szenario in Zeiten der Rezession sehnlichst. Und es sieht so aus, als könnte auch Balve davon profitieren.
Die Geschichte beginnt mit Jenni Duggen. Die Wirtschaftsfachfrau hat für die Industrie- und Handelskammer Mittleres Ruhrgebiet in Bochum weiß, dass allein im Westfalenstadion sechs Spiele stattfinden, bis hin zum Halbfinale. Deshalb hat Jenni Duggen ein Webinar ausgerichtet: ein Seminar per Videoschalte. Sein Titel: „Chancen der Uefa Euro 2024 für Tourismus und Handel“.
Die Branche schielt auf Gäste aus dem Ausland. Ob Schweiz oder Großbritannien, Portugal oder Italien – diese und weitere Länder gelten als „relevante Märkte“. Die reisefreudigen Fußballfans müssen untergebracht werden, müssen zu Arenen wie dem Westfalenstadion in Dortmund kommen, brauchen Verpflegung, Hygieneartikel und mehr. „Es werden erhebliche wirtschaftliche Effekte erwartet, nicht nur in den Austragungsorten selbst, sondern auch in anderen Regionen und Städten, in denen die Fußball-EM zu Wertschöpfung führen wird“, hat Jenni Duggen notiert. Was, bitte, hat diese Analyse mit Balve zu tun?
Nachfrage bei Anna Schulte. Sie verantwortet bei der Stadt Balve die Förderung von Kultur und Tourismus. Ihre Antwort ernüchtert: Bei der Stadt Balve seien bisher „keine Buchungen von ausländischen Gästen im EM-Zeitraum bekannt“. Folgerichtig heißt es weiter: „Von unserer Seite aus gibt es keine Planungen zum Thema ,EM‘ beziehungsweise Veranstaltungen zu diesem Thema.“
Dennoch lohnt es sich erfahrungsgemäß, auch in der Beherbergungsbranche selbst nachzufragen. Welche Reaktionen würden kommen?
Maria Vanselow ist Junior-Chefin im „Haus Recke”. Die Traditionsherberge in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Binolen ist potenziell geeignet als Fußballer-Quartier. Die Tour von Binolen nach Dortmund dauert laut Bahn-Homepage bahn.de von Tür zu Tür etwas mehr als eine Stunde. Per Hönnetalbahn RB 54 geht’s nach Fröndenberg. Von dort aus fährt die RB 57 nach Dortmund. Doch die Fußball-Euphorie von Fans ist bei Familie Vanselow noch nicht angekommen. Maria Vanselow teilt auf Anfrage per WhatsApp mit: „Bei Fußball sind wir raus, wir haben die Wanderer und Motorradfahrer hier.“
Ernüchterung macht sich breit. Liegt die IHK Mittleres Ruhrgebiet in ihrer Einschätzung falsch?
Anruf bei Britta Spiekermann. Ihr Hotel „Antoniushütte“ in Eisborn liegt fernab der Bahn. Gibt es Anfragen von Schlachtenbummlern?
Es gibt eine winzige Pause im Gespräch, und dann nimmt es eine überraschende Wendung. „Ja“, entgegnet Britta Spiekermann, „tatsächlich, wir haben Anfragen von Fußball-Fans. Es kommen sogar Gruppen-Anfragen.“ Besondere Pakete legt Britta Spiekermann nicht auf – es ist gar nicht nötig. „Ich glaube, das Ereignis wird sich auch so gut verkaufen. Das wird auch so gut angekommen.“ Warum?
Britta Spiekermann beruft sich auf Erfahrung. Bereits im vergangenen Jahr, bei einem Länderspiel in Dortmund, habe sie Freunde des gepflegten Kicks bei sich beherbergt: „Da kamen auch schon einige.“ Warum nehmen Sport-Begeisterte lange Wege für Besuche von Fußball-Events in Kauf?
Britta Spiekermann hat sie sich selbst gestellt. Sie hat kurzerhand die Preise Dortmunder Hotels in den Vergleichszeiträumen überprüft: „Die haben teilweise Preise bis 1000 Euro aufgerufen, für ein normales Stadt-Hotelzimmer. Das erleben wir sogar bei Messen, etwa in Düsseldorf. Da nehmen Gäste anderthalb Stunden Fahrt auf sich, weil die Stadt-Hotels mit ihren Preisen total durchdrehen.“ Aber lohnt sich das Geschäft mit Messe-Gästen und Sport-Jüngern nur im Balver Norden?
Ina Friedriszik ist Chefin des Balver Hauses „Drei Könige“. Das Hotel mag noch weiter von Dortmund entfernt sein als die Herbergen ihrer Mitbewerberin. Aber das „Haus Könige“ liegt direkt am Bahnhof. Ina Friedriszik gibt am Telefon Auskunft. Wie wird sie reagieren?
Auch sie erwartet Fußball-Tourismus. Kurz vor dem Gespräch sei „eine Buchung mit ganz vielen Engländern reingekommen“ – für den Zeitraum der Euro. Ina Friedriszik ist nicht überrascht – sie weiß, dass Messe-Gäste von Balve bis nach Köln pendeln.
Zurück zu Britta Spiekermann. Sie hat nicht nur Fans beherbergt, sondern auch einen Fußball-Star: Manuel Neuer. Der Bayern-Torhüter war allerdings nicht in eigener sportlicher Mission unterwegs. Vielmehr begleitete er damals seine Ex-Frau. Sie hatte selbst Ambitionen – als Reiterin beim Balver Optimum.