Mellen. Mellens Neujahrstradition lebt. Wie Zugezogene im Neubaugebiet reagieren.
„Damen und Herren, Damen und Herren, Damen und Herren in diesem Haus!....“, schallt es seit 12 Uhr des Neujahrstages durch Mellen. Traditionell am 1. Januar streifen junge Herren bepackt mit Alkohol und Kreide durch das Dorf und besingen jedem ein „glückseliges neues Jahr“, wie es in dem Lied weiter heißt.
Doch von vorne. Björn Freiburg rief per Messenger-Dienst zum Antreten um 11.30 Uhr am Sportheim. Dem Ruf folgten auch 13 junge Männer aus Mellen. Doch einer kam zu spät. Ihn ereilte der Strafschnaps. „Ich kam auch mal zu spät und durfte dann vier Kurze ‚Stroh 80‘ trinken“, erinnert sich Patrick Hille. „Stroh 80“ ist ein Rum mit sage und schreibe 80 Prozent Alkoholgehalt. „Bereits nach wenigen Häusern war ich dann so hacke, dass ich hätte sagen können: Ich geh’ wieder heim!“, so Hille weiter.
Nach dem ersten Erinnerungsfoto geht es los, und die Gruppe teilt sich: Für eine Gruppe geht es an der Kirche vorbei in die Poststraße. Doch nicht alle Türen öffnen sich. Wer beim Neujahrssingen durch eine versperrte Tür glänzt, erntet ein „Ratten und Mäuse“ der jungen Sänger.
Das Neujahrssingen geht auf eine sehr alte Tradition zurück. Ortsvorsteher Daniel Schulze Tertilt: „Die Älteren im Dorf haben uns von Neujahrssängern in der Nachkriegszeit berichtet.“ Damals gab es noch einen langen Stock, damit zogen Jungmänner von Haus zu Haus. Auf dem Stock wurde dann Wurst gesammelt.
Tradition Neujahrssingen
Die Tradition des Neujahrssingens ist eine alte. Aufzeichnungen gehen über Generationen zurück. Eine Ähnlichkeit besteht zum Wurstaufholen der Kinder zum Rosenmontag in Westfalen. Der LWL schreibt auf seiner Webseite dazu, dass die Burschen verkleidet von Haus zu Haus zogen und an einem langen Stock Wurst sammelten. Zu Karneval ist dies wohl auf die Fastenzeit und die letzte Schlachtung vor dem Herbst zurückzuführen. Die Wurst war somit ein begehrtes Gut. Teilweise gab es auch zwei Burschen, die sich als Bär und Bärentreiber verkleideten. Der Bär war eine in Stroh gewickelte Gestalt, die in den Häusern der Bewohner für allerlei Schabernack sorgte und so die Leute belustigte.
Heute halten die Bewohner des Dorfes immer Schnaps und Pinnchen bereit, denn es gehört zum Brauch, dass die Besungenen mit den Sängern zusammen trinken – ganz zum Unwohl der Sänger natürlich. Das wird sich am Abend noch zeigen. Neben dem Getränk gibt es auch eine Spende der Bewohner an die Sänger. Der mitgebrachte Beutel füllt sich schnell. Die Hälfte wird an die Dorfkümmerer gespendet, um Projekte im Golddorf anzugehen. Die andere Hälfte wird an die teilnehmenden Sänger aufgeteilt. So erklärt es Lars Kippendorf.
Für die Gruppe um Patrick Hille geht es unterdessen weiter die Poststraße entlang. Am Haus von Silke Kapp angekommen, dürfen sich die jungen Herren erstmal ausruhen und stärken. „Silke ist die gute Seele des Dorfes, sowas wie die Dorfmutti“, so Hille zur Westfalenpost. Silke Kapp hat Selbstgebackenes vorbereitet. In ihrem Wohnzimmer werden sogleich die wildesten Geschichten zu Neujahrssingen und Schützenfest ausgepackt. Fast alle der anwesenden jungen Männer waren bei Kapp in einer Kindergartengruppe – und sie weiß noch immer in welcher! Sie berichtet auch, dass montags in ihrer Kindergartengruppe immer erst die Bundesliga-Ergebnisse besprochen wurden.
Zeitsprung: Es ist 17.34 Uhr und bereits dunkel. Was man bereits jetzt merkt: Die Gesangsqualität lässt bereits nach; der Alkohol entfaltet seine Wirkung. Die Gruppen ziehen durch das Neubaugebiet in Mellen. Dort wohnen auch Neuhinzugezogene, die den Brauch bis dato nicht kannten. Es sind sich alle einig: Es gehört auch dazu, den Leuten den Brauch zu erklären. An jedem Haus werden die Sänger mit einem Lächeln empfangen. Eine Anwohnerin: „Es ist einfach schön zu sehen, dass sich junge Menschen engagieren. Das ist ja leider nicht mehr gang und gäbe heutzutage.“
Um 19.00 Uhr kehrt die Gruppe bei Vedder-Lenze ein. Es liegen selbstgemachte Schnitzel bereit – doch bei weitem nicht ausreichend für alle. Es ist der erste Ort, an dem beide Gruppen wieder gemeinsam einkehren. Nach dieser Stärkung geht es an die letzten Häuser im Unterdorf. Den krönenden Abschluss bildete wieder der Besuch bei Familie Dittrich am Knapp. Lars Kippendorf berichtet auf WP-Anfrage: „Der Abschluss fand weiterhin, wie jedes Jahr, bei Familie Dittrich am Knapp statt. Dort dürfen wir einkehren und werden sehr herzlich mit Sekt bedient. Auch können sich alle Sänger, die es bis dahin geschafft haben, ins Buch eintragen, was schon seit mehreren Jahren befüllt wird. So kann man sich auch an vergangene Neujahrstage erinnern. Dort wird auch das eingenommene Geld verteilt. Es sind dieses Jahr insgesamt circa 1500 Euro zusammengekommen, wovon die Hälfte an die Dorfkümmerer gespendet wird, um Projekte im Dorf anzugehen. Die andere Hälfte wird an die teilnehmenden Sänger aufgeteilt.“
Er berichtet auch, dass es in diesem Jahr genauso anstrengend, aber erfolgreich war wie in den vergangenen Jahren. Kippendorf resümiert auch, dass die Tradition bei allen im Dorf, auch bei den Hinzugezogenen sehr gut angenommen wird. Auf die Frage, wie viele Kilometer zurückgelegt werden, antwortet er: „Vielleicht so acht? Ist aber auch nur geschätzt.“