Balve/Menden. Bei der Kalk-Herstellung im Hönnetal wie anderswo wird massig Kohlendioxid frei. Das soll künftig anders werden.
Kalkhersteller Lhoist will, im Hönnetal wie anderswo, grün werden. 2045 soll es so weit sein. „Die gesetzliche Vorgabe ist da“, sagte Unternehmenssprecher Mario Burda der Westfalenpost. Welchen Weg will Lhoist gehen?
Hintergrund: Kalk-Herstellung setzt stets eine Menge Kohlendioxid frei – CO2. In übermäßigen Mengen gilt das Gas als Treiber des Klimawandels. Der Schweizer Ofenhersteller Maerz räumt ein: „Selbst in modernen energiesparenden Öfen wie den Maerz-GGR-Öfen fallen pro Tonne erzeugtem Kalk circa eine Tonne CO2-Emissionen an.“ Obendrein benötigen Kalk-Hersteller wie Lhoist eine Menge Energie. Nach Angaben des Bundesverbandes der Kalkindustrie wird das Ausgangsmaterial auf 900 bis 1600 Grad erhitzt, um das Endprodukt Kalk zu erhalten. Doch selbst durch Energiesparen lässt sich der CO2-Ausstoß bei der Kalk-Herstellung nur begrenzen; vermeiden lässt er sich nicht. Denn: Zwei Drittel der Treibhausgas-Emissionen kommen aus dem Rohmaterial. Sie können chemisch nicht vermieden werden. Dennoch hat Lhoist große Pläne.
„Schon in wenigen Jahren“ will der Konzern rund eine Million Tonnen CO2 vermeiden. Das Zauberwort heißt CCS. Kohlendioxid soll, wie es heißt, bei der Produktion abgeschieden und später unter dem Meeresboden verpresst gelagert werden. Vor Skandinavien, in der Nordsee, laufen laut Burda bereits Modellvorhaben. Welche Rolle spielt Lhoist dabei?
Zusammen mit dem Industriegaseunternehmen Air Liquide arbeitet Lhoist nach eigenen Angaben am Plan einer großindustriellen Anlage zur Abscheidung des bei der Kalkproduktion entstehenden CO2. Da geht es laut Burda um eine Investition von „mehreren Hundert Millionen Euro“. Gemeinsam Infrastruktur-Investitionen von Lhoist-Partnern komme eine Milliarde zusammen.
Der dritte Partner bei dem Projekt ist Thyssenkrupp Steel. Das Unternehmen sieht grünen Kalk als wichtigen Baustein bei der Transformation von Europas größtem Stahlstandort in Duisburg. Die drei Unternehmen haben ihr Projekt NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur in Wülfrath vorgestellt. „Damit können wir den Industriestandort NRW enkelsicher in die Zukunft führen“, meinte der damalige Chef von Lhoist in Deutschland, Thomas Perterer.
Bei der Stahlherstellung sind Kalkprodukte demnach „unverzichtbar, um störende Begleitelemente aus dem Roheisen zu entfernen und in der kalkstämmigen Konverterschlacke zu binden“. Die Herstellung grünen Stahls setze grünen Kalk voraus.
Air-Liquide-Vorständler Gilles Le Van fügte hinzu: „Unvermeidbare CO2-Emissionen aus der Kalkherstellung können mit unserer Technologie abgeschieden und dann sicher transportiert, wiederverwendet oder gespeichert werden. Dafür müssen wir aber bereits heute den Aufbau einer CO2-Infrastruktur angehen. Je entschlossener wir jetzt handeln, desto schneller erreichen wir auch effektiven Klimaschutz in der Industrie.“
Bei der grünen NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur trafen die Herrschaften auf offene Ohren. Erst im vorigen Dezember hatte die Ministerin federführend für die nordrhein-westfälische Landesregierung den „Industriepakt für Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit“ mit rund 20 Industrieunternehmen sowie elf Branchen- und Technologieverbänden geschlossen, darunter Lhoist. Neubaur: „Die Kalkindustrie gehört zu einer der wenigen Branchen mit unvermeidbarer CO2-Entstehung, deren Produkte auch in Zukunft unverzichtbar bleiben – nicht nur in der Stahlindustrie. Kalk ist in der Industrie aber auch in der Landwirtschaft und im Umweltschutz allgegenwärtig und kaum ersetzbar.“
Neubaur sieht das Projekt als „beispielgebend auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft“. Burda ergänzte, die Technologie gebe es tatsächlich „nicht von der Stange“. Kein Wunder, dass die öffentliche Hand bereit ist, die neuartige Technologie mit Fördergeld zu unterstützen. Öffentliche Förderung hat im übertragenen Sinn einen Preis. Es gilt ein Transparenz-Gebot: „Wir müssen“, sagt Burda, „sehr, sehr viel veröffentlichen. Was wir da lernen, können wir nicht für uns behalten.“
Das Projekt am Lhoist-Stammsitz in Flandersbach bei Wülrath besitzt Pilot-Charakter. Im Hönnetal soll mittelfristig Ähnliches entstehen.
Für Lhoist ist das Unterfangen keineswegs risikofrei, wie Unternehmenssprecher Mario Burda sagte: „Wir haben noch keinen einzigen Vertrag gezeichnet.“ Es gibt noch keine Zusagen von Unternehmen, künftig grünem Kalk garantiert abzunehmen. Genau deshalb sei es wichtig, das wirtschaftliche Risiko für Lhoist bei der Produktion zu senken. Bei der Rohstoff-Gewinnung stehe Planungssicherheit ganz vorn. Und deshalb sei die Vertiefung des Steinbruchs bei Eisborn um 60 Meter unverzichtbar.
Der heimische Europa-Parlamentarier Dr. Peter Liese (CDU) sieht die Anstrengungen von Lhoist zur klimaneutralen Umstellung der Produktion mit Sympathie. Er war als Delegationsleiter des Europaparlaments bei der Klimakonferenz in Dubai.
Als eines von insgesamt drei erfreulichen Beispielen für CO2-Vermeidung in Nordrhein-Westfalen präsentierte Liese das Lhoist-Projekt. Liese zur Westfalenpost: „Dies ist auch eine gute Nachricht für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Unternehmens im Hönnetal, weil das Unternehmen sich insgesamt für die Zukunft aufstellt, und ich weiß, dass falls das Projekt in Wülfrath erfolgreich ist, das Werk in Balve für eine entsprechende Anschlussinvestition vorgesehen ist. Wir brauchen Kalk für viele Anwendungen, unter anderem auch für den Umweltschutz, etwa bei der Rauchgasentschwefelung und bei der Abwasserreinigung. Deswegen muss die Kalkproduktion erhalten bleiben, aber klimaneutral werden. Das Projekt ist ein gutes Beispiel dafür, dass Erhalt und Schaffung von Arbeitsplätzen und Klimaschutz Hand in Hand gehen können. Denn was wir für beide Bereiche brauchen, sind solche Investitionen. Das Projekt ist europaweit einmalig.“