Balve. Förster Richard Nikodem weiß, warum die Fichte früher so beliebt war, bei Waldbauern wie Verbrauchern. Er selbst schwört immer noch auf den Klassiker. Wieso eigentlich?

Richard Nikodem und seine Frau Ute haben feste Vorstellungen. Als Halbostfriese kommt Weihnachten ein Waffeleisen von der Nordseeküste zum Einsatz. Damit werden daheim in Blintrop „Knappkauken“ gemacht. Das sind süße Röllchen: Mehl, Butter, Kandis und ein bisschen Kümmel oder Anis. Produziert werden die heißen Eisen mit ostfriesischem Wappen – Überraschung! – von der Firma Cloer in Arnsberg. Für einen Förster gehört zudem ein Weihnachtsbaum so selbstverständlich zum Fest wie die Hönne zu Balve. Der Christbaum wird kurzfristig geholt, aus dem Wald oder von einer Böschung. Klar ist bereits jetzt: Es wird eine Fichte. Fest steht auch, wie sie geschmückt wird: mit Holz-Deko. Teilweise hat Ehefrau Ute dafür selbst Hand angelegt. Richard Nikodem auenzwinkernd in Anspielung auf einen Sketch von Satire-Legende Loriot: „Früher war mehr Lametta.“

Unterwegs mit Förster Richard Nikodem in Balves Weihnachtswald der Zukunft. Vor einer Fichte steht eine kleine Küstentanne.
Unterwegs mit Förster Richard Nikodem in Balves Weihnachtswald der Zukunft. Vor einer Fichte steht eine kleine Küstentanne. © WP | jürgen overkott

Die Fichte war einst im Sauerland der klassische Baum für das Fest aller Feste. Warum das so ist und warum die Fichte durch den Klimawandel verdrängt wird, erzählt Richard Nikodem vor Ort hoch überm Tal der Ruthmecke – in einer Aufforstungsfläche.

Unterwegs mit Förster Richard Nikodem in Balves Weihnachtswald der Zukunft.
Unterwegs mit Förster Richard Nikodem in Balves Weihnachtswald der Zukunft. © WP | jürgen overkott

Die Weihnachtszeit ist beim Gespräch noch weit entfernt. Aber am Wetter hat sich seither nichts geändert. Das Thermometer schrammt die Zehn-Grad-Marke. Aus grauem Gewölk nieselt es. Bereits vor dem Jahresende steht fest: Das Jahr 2023 hat dem Hönnetal mit rund 1400 Litern Regen pro Quadratmeter deutlich mehr als üblich beschert. Geht’s dem Wald nach den vergangenen Dürre-Jahren wieder besser?

Pflanztag der Grundschule Garbeck mit Schulleiterin Silke Bathe, Förster Richard Nikodem (links) und Waldbesitzer Thomas Schröder von der DEVK-Versicherung. In Balve muss viel Borkenkäfer-Fläche aufgeforstet werden.
Pflanztag der Grundschule Garbeck mit Schulleiterin Silke Bathe, Förster Richard Nikodem (links) und Waldbesitzer Thomas Schröder von der DEVK-Versicherung. In Balve muss viel Borkenkäfer-Fläche aufgeforstet werden. © Grundschule Garbeck | Grundschule Garbeck

Richard Nikodem hebt die Augenbrauen. In diesem Jahr hat es eine markante Trockenzeit gegeben – ausgerechnet auf dem Höhepunkt der Wachstumsphase im Frühsommer. Mancher junger Baum ist damals kurzerhand vertrocknet, darunter Arten, die als zukunftsträchtig gelten, Arten wie Douglasie und Küstentanne.

Drohne über Balve: Jürgen Riedel (links) und Jens Weber setzen auf fliegende Aufforstung.
Drohne über Balve: Jürgen Riedel (links) und Jens Weber setzen auf fliegende Aufforstung. © Balve | Richard Nikodem

Die Invasion der Borkenkäfer

Und noch eine andere Gefahr droht den Pflanzungen. Rehe, Feinschmecker des Waldes, knabbern zu gern zarte Baumspitzen weg. Wald-Experte Nikodem zeigt die Folgen an einer kleinen Küstentanne. Sie hat bereits zwei Spitzen – als Folge eines Fress-Angriffs. Was tun? „Ich gehe immer mehr dazu über, möglichst kleine Pflanzen zu setzen“, erwidert der Forst-Fachmann. Denn: Bambi & Co. halten die Setzlinge für nicht übermäßig attraktiv. Obendrein haben kleine Bäume einen deutlich niedrigeren Wasserbedarf als größere Pflanzen.

Unterwegs mit Förster Richard Nikodem in Balves Weihnachtswald der Zukunft.
Unterwegs mit Förster Richard Nikodem in Balves Weihnachtswald der Zukunft. © Balve | jürgen overkott

Der einst klassische Weihnachtsbaum Fichte indes gilt als Wasserschlucker. Treppenwitz der Forstgeschichte: „Die Fichte ist eigentlich hier nicht heimisch“, weiß Richard Nikodem. „Sie kommt aus gebirgigen Lagen – und aus nördlichen Ländern wie in Skandinavien. Da gibt es viel mehr Niederschläge. Oft fallen die Niederschläge im Winter als Schnee und sind noch im Frühjahr oder sogar im Sommer verfügbar.“ Doch wie kam die Fichte ins Sauerland?

Michael Tillmann aus der Grübeck freut sich über das Regenjahr. Seine Weihnachtsbäume leuchten satt grün.
Michael Tillmann aus der Grübeck freut sich über das Regenjahr. Seine Weihnachtsbäume leuchten satt grün. © Balve | jürgen overkott

Die klimatischen Verhältnisse früherer Jahrzehnte haben sich ebenfalls für Fichten-Pflanzungen geeignet. „Im Sauerland hatten wir früher 1100 bis 1300 Liter Niederschlag, die schon gleichmäßig über den Sommer hinweg fielen“, stellt Richard Nikodem fest. Das ist vorbei. „Man kann eine Tendenz erkennen, dass es immer weniger im Sommer regnet. Stattdessen haben wir lange Trockenphasen.“ Dafür gibt es einen Grund. Der Jetstream in der Höhe hat sich geändert. Früher wechselten die schnellen Höhenwinde. Inzwischen aber bleibt ihre Zugbahn stabiler als von Menschen gewünscht. Das gilt für Trockenheit genauso wie für Regenzeiten. Was macht der Klimawandel mit den Fichten?

Der Borkenkäfer hat die Fichtenbestände an vielen Standorten umgeworfen.
Förster Richard Nikodem

Ida (Mitte) und Thea (rechts) helfen ihren Großeltern bei der Auswahl des Weihnachtsbaumes. Links hinten: Hermann Schwartpaul hilft Familie Lösse beim Verkauf (Archiv).
Ida (Mitte) und Thea (rechts) helfen ihren Großeltern bei der Auswahl des Weihnachtsbaumes. Links hinten: Hermann Schwartpaul hilft Familie Lösse beim Verkauf (Archiv). © Alexander Lück | Alexander Lück

Wassermangel in der Wachstumsphase macht die Nadelgehölze anfällig für Insekten-Attacken – etwa von Borkenkäfern. Fichten können die Viecher schlicht nicht mehr mit Harz abwehren: „Der Borkenkäfer hat die Fichtenbestände an vielen Standorten umgeworfen.“ Fichte ade?

Richard Nikodem winkt ab: „Die Fichte wird hier immer vorkommen.“ Er zeigt auf eine junge Fichte, die direkt neben einer Küstentanne sprießt. „Das ist Naturverjüngung“, berichtet der Förster. „Das kann hier als Zweitmischung helfen. Wir haben riesige Flächen, die wir bewalden müssen. Allein in Balve sind es 500 Hektar. Landesweit sind es 143.000 Hektar. Da fehlen uns Pflanzen, Saatgut. Es gibt gar nicht so viele Baumschulen, wo wir Saatgut abrufen können – obwohl die ihre Produktion schon hochgefahren haben.“

Richard Nikodem arbeitet daran, die Mehrheitsverhältnisse im Wald zu ändern. Das Verhältnis Nadelholz - Laubholz hat lange Zeit 60:40 betragen. Nach dem Monster-Sturm „Kyrill“ hat sich das Verhältnis schon verkehrt. Inzwischen ist der Anteil von Fichte & Co. auf 30 Prozent abgerutscht. Tendenz: sinkend.

SGV Balve und Familienzentrum Garbeck: Kinder dürfen einen Weihnachtsbaum im Außengelände schmücken.
SGV Balve und Familienzentrum Garbeck: Kinder dürfen einen Weihnachtsbaum im Außengelände schmücken. © Balve | jürgen overkott

Das nahende Ende des Massenbaums Fichte spiegelt sich auch im Weihnachtsbaum-Geschäft wider. „Die Fichte im Wohnzimmer war früher ein Nebenprodukt der Holzproduktion. Die Fichte wurde angebaut, weil sie super auf Freifläche klarkam. Sie vertrug Sonne, war sehr gut zu bewirtschaften und wurde in großen Stückzahlen sehr eng gepflanzt. Was dann raus musste, war der Weihnachtsbaum. Dafür kriegte dann der Waldbauer schon ein paar Euro oder damals ein paar D-Mark.“ Das ist ein schnelles Geschäft für Waldbesitzer und Verbraucher gewesen: kurz die Wachstumszeit für die einen, kurz die Wege für die anderen. Auch schon früher?

„Ja, klar“, erwidert Richard Nikodem, „wenn man sich Bilder aus dem 18. Jahrhundert anguckt, dann sieht man einen kleinen Baum im Wohnzimmer mit drei Kerzen und drei roten Kugeln dran.“ Das hat sich aber in den vergangenen 30 Jahren gedreht. Statt Fichte werden heutzutage Nordmanntanne oder Blaufichte genommen. Küstentanne hingegen eignet sich kaum: Die Nadeln sind zu weich.

Christbaum vor der Balver Höhle: Die Vierte der Balver Schützen hat ihn aufgestellt.
Christbaum vor der Balver Höhle: Die Vierte der Balver Schützen hat ihn aufgestellt. © Balve | Dominik Pieper

Die Fichte hat zwar robuste Nadeln. Dafür aber fallen sie schneller. „Das war in früheren Zeiten kein Problem“, sagt Richard Nikodem, „weil selbst die gute Stube nicht regelmäßig geheizt wurde.“ Er selbst bleibt übrigens der Tradition treu. Die aromatisch duftende Fichte kommt ins holzvertäfelte Wohnzimmer: „Die hält über Weihnachten. Und wenn sie nadelt, kommt sie raus.“ Der Förster grinsend: „Bei uns steht sie nie bis Heilige Drei Könige.“