Binolen/Menden. Die Bahn hat das Hönnetal bis Mitte Februar abgeknipst. „Eine Katastrophe“, finden die Eisenbahnfreunde. Was führte zu Pleiten, Pech & Pannen?

Es ist ein Treppenwitz der Mobilitätsgeschichte. Bei der Hönnetalbahn herrschte dieser Tage Hochbetrieb – aber nur auf der Modelleisenbahn im Bahnhof Binolen. Die Eisenbahnfreunde Hönnetal hatten die schmucke Nachbildung der Linie mit ihrer spektakulären Fels-Kulisse nach den Feiertagen wieder einmal der staunenden Öffentlichkeit präsentiert. Gemeint war die Aktion, wie so oft, als Ausflugsangebot in der veranstaltungsarmen Zeit zwischen den Jahren: ein Ferienspaß. Mit Blick auf die verwaisten Schienen draußen vor der Tür ist bei den Eisenbahnfreunden aber schnell Schluss mit lustig. Vereinssprecher Johannes Schmoll stöhnt im Gespräch mit der Westfalenpost: „Es ist eine Katastrophe.“

110 Jahre Hönnetalbahn: Der ehemalige Bahner Burkhard Wendel aus Garbeck hat die Geschichte dokumentiert, auch mit einer historischen Postkarte des Balver Bahnhofs
110 Jahre Hönnetalbahn: Der ehemalige Bahner Burkhard Wendel aus Garbeck hat die Geschichte dokumentiert, auch mit einer historischen Postkarte des Balver Bahnhofs © WP | Sven Paul

Eine Katastrophe ausgerechnet zum 110-jährigen Bestehen der Nebenstrecke, für die Entscheider im damaligen Amt Balve und der Stadt Neuenrade 40 Jahre lang gekämpft hatten.

+++ HÖNNETALBAHN LÄUFT - ABER NUR NOCH ALS MODELLBAHN +++

Johannes Schmoll ist kein Mann, der sich schnell aufregt. Der aus Lendringsen stammende Berufsschullehrer pflegt gerade dann cool zu bleiben, wenn’s heiß wird. Und tatsächlich kochen die Emotionen gerade hoch. Kein Wunder nach der Entscheidung der Bahn, die 22 Kilometer lange Nebenstrecke kurzerhand bis Sonntag, 12. Februar, vom Schienennetz abzuknipsen.

Schüler kommen morgens zu spät

Lediglich am Heiligen Abend gab es eine Ausnahme für den Bahnverkehr im Hönnetal - für die Nikolaus-Aktion der Eisenbahnfreunde.
Lediglich am Heiligen Abend gab es eine Ausnahme für den Bahnverkehr im Hönnetal - für die Nikolaus-Aktion der Eisenbahnfreunde. © Eisenbahnfreunde hönnetal

„Die Hintergründe können mir als Fahrgast egal sein. Ich stehe morgens am Bahnhof, und es fährt kein Zug“, stellt Johannes Schmoll knapp fest. „Im Prinzip verspielt die Bahn gerade ihre Kernkompetenz. Ich selbst bin ja bei Fahrten nach Dortmund seit Ende September teilweise gezwungen, das Auto zu benutzen, weil keine Züge fahren. Zurzeit kann keiner ÖPNV fahren, der nicht irgendwo ein Auto in der Hinterhand hat. Was bisher bundesweite Realität war, ist jetzt auch im Hönnetal angekommen.“

Dumm nur: Die Hauptklientel der Bahn – Schülerinnen und Schüler – haben meist kein Auto. „Das interessiert doch keinen Lehrer, warum sein Schüler morgens zu spät zur Klausur kommt – er will nur, dass er pünktlich da ist. Gerade kurz vor Weihnachten fuhr bei uns ja überhaupt nichts – und da waren bei uns Leistungskurs-Klausuren.“ Stattdessen rollt der Schienenersatzverkehr: Bus statt Bahn, kostenpflichtig auch er. Das Problem sei bei dem zuständigen Nahverkehrsverband NWL in Unna bekannt, weiß Johannes Schmoll. „Das hat bei denen ja auch den Blutdruck hoch getrieben.“ Wie, bitte, kommen derartige Entscheidungen der Deutschen Bahn zustande?

Pesa-Zug im Hönnetalbahn, Haltepunkt Sanssouci: Fahrzeuge dieses Typs gelten als pannenanfällig.
Pesa-Zug im Hönnetalbahn, Haltepunkt Sanssouci: Fahrzeuge dieses Typs gelten als pannenanfällig. © WP | Jürgen Overkott

„Wir haben ein paar Sachen, die sind problematisch“, analysiert Johannes Schmoll, „wir haben ein Fahrzeug da stehen, das ist in Polen gebaut. Das ist die Folge davon, wenn man billig kauft: Dann kriegt man auch billig.“ Das gesamte Sauerland-Netz basiere seit 2016 auf polnischen Pesa-Zügen. Vor der Umstellung auf den aktuellen Zug-Typ habe es im Sauerland „nie Probleme“ gegeben. Mit Pesa indes habe es „von Anfang an nur Ärger“ gegeben. Stabilisiert habe sich die Lage bestenfalls zeitweise. Inzwischen seien Pesa-Züge wieder regelmäßig in der Werkstatt. Wie sieht’s mit Ersatzteilen aus?

Ersatzteile aus der Ukraine

„Bremsscheiben und Radsätze kommen aus der Ukraine.“ Allerdings hat der Krieg in dem osteuropäischen Land bereits Ende Februar begonnen. Warum sind Unternehmen in anderen Ländern nicht kurzfristig eingesprungen?

„Das Doofe ist: Du kannst Dir nicht einfach einen Radsatz von einem anderen Hersteller besorgen. Das Material muss erst mal vom Eisenbahnbundesamt abgenommen werden. Und dann brauchst Du auch noch Leute, die das einbauen.“ Damit ist Johannes Schmoll bei dem zweiten Problem gelandet, das die Deutsche Bahn direkt vor einen sprichwörtlichen Prellbock hat laufen lassen: Grippe-Welle trifft Fachkräfte-Mangel. Schlimmer geht’s gerade nicht.

Lhoist-Werkszüge steuern stets die Horlecke an. Dort ist der Anschluss ans Schienennetz der Deutschen Bahn.
Lhoist-Werkszüge steuern stets die Horlecke an. Dort ist der Anschluss ans Schienennetz der Deutschen Bahn. © WP | Sven Paul

„Wir haben die Bahn über Jahrzehnte hinweg kaputt gespart“, bilanziert Johannes Schmoll bitter. An den Strecken sei 20, 25 Jahre lang „nur das Allernötigste getan“ worden. Ob Züge, Schienen oder Personal: Die Bahn habe stets mit einem Minimum kalkuliert.

+++ TOTALAUSFALL IM HÖNNETAL: DAS SAGT DIE BAHN +++

Und das ist für Johannes Schmoll längst nicht alles. Die Bahn habe regionalisiert. Das habe eine gute Folge habt, findet Johannes Schmoll: „Seitdem haben wir im Hönnetal wieder den Wochenend-Verkehr.“ Das habe zugleich aber auch eine schlechte Folge. Züge können nämlich nach Angaben von Johannes Schmoll schon wegen unterschiedlicher Ausstattung nicht ohne Weiteres anderswo eingesetzt werden – abgesehen davon, dass auch die Fahrpläne in deutschen Bundesländern nicht aufeinander abgestimmt seien. Johannes Schmoll sarkastisch: „Wir sind bei den Fahrplänen wieder in die Zeit vor 1914 zurückgefallen.“

System muss stabilisiert werden

Apropos Kaiserzeit. Das Stellwerk in der Horlecke stammt aus jener Ära. „Das funktioniert noch ganz gut“, stellt Johannes Schmoll fest, „aber wie lange noch?“ Der technische Investitionsbedarf im Hönnetal sei groß. Die Bahn-Kundschaft darf sich mittelfristig auf weitere Baustellen einstellen – und damit auf weitere Störungen im Betriebsablauf. Kurzum: Die Eisenbahnfreunde verlangen, „dass in den kommenden Jahren ordentlich investiert werden muss, um das System wieder zu stabilisieren“.

+++ EISENBAHNFREUNDE BITTEN ZU MUSEUMSFEST NACH BINOLEN +++

Wartende Schüler: Sie sind die Top-Klientel der Hönnetalbahn.
Wartende Schüler: Sie sind die Top-Klientel der Hönnetalbahn. © Richard Elmerhaus/WP

Zukunftsmusik. Für die gegenwärtige Entscheidung, das Hönnetal aufs sprichwörtliche Abstellgleis zu schieben, hat Johannes Schmoll kein Verständnis: „Da muss man den Halbstundentakt zwischen Iserlohn und Dortmund weglassen. Da komme ich immer noch mit dem ÖPNV relativ gut weg.“

Seit Freitagabend steht auch der Bahn-Verkehr auf der Modelleisenbahn. Die Ausstellung ist vorbei.