Balve. Iryna Maksymchak aus der Ukraine fand in Balve Sicherheit - und wohl eine neue Heimat. Wie hat die Betriebswirtin Weihnachten erlebt?

Diese Reise gab es in keinem Prospekt. Iryna Maksymchak wusste kurz nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine nicht, wohin es gehen würde, von der Stadt Krywyj Rih. Die Betriebswirtin mit 30-jähriger Berufserfahrung als Buchhalterin landete in Balve – wie bisher 150 weitere Menschen aus dem osteuropäischen Land. Im Hönnetal fand Iryna Maksymchak Sicherheit – und eine neue Familie. Wie geht es ihr am Ende des Jahres?

Iryna Maksymchak strahlt. Beim Öffnen der Haustür leuchtet ihr ganzes Gesicht. Sie ist bei der Familie Oberste untergekommen, in einer leerstehenden Wohnung.

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Geflüchtete aus der Ukraine in Balve. Die Evangelische Gemeinde öffnet ihr Gemeindehaus. Presbyterin Jutta Wilmes und ihr Team kümmern sich. Martina Oberste bietet private Unterkunft. Mit der Ukrainerin Iryna ist sie ein Herz und eine Seele.
Geflüchtete aus der Ukraine in Balve. Die Evangelische Gemeinde öffnet ihr Gemeindehaus. Presbyterin Jutta Wilmes und ihr Team kümmern sich. Martina Oberste bietet private Unterkunft. Mit der Ukrainerin Iryna ist sie ein Herz und eine Seele. © WP | jürgen overkott

Die Ukrainerin ist von Kopf bis Fuß auf Weihnacht eingestellt: Ihr Pullover leuchtet in Nikolaus-Rot. Tatsächlich hat sie gerade ihr erstes westliches Weihnachtsfest erlebt. Später wird sie erzählen, dass die christlichen Hochfeste Weihnachten und Heilige Drei Könige in ihrer Heimat im Januar gefeiert werden.

Das Gespräch findet am Wohnzimmertisch statt. Martina Oberste ist dabei. Jeder drei Plätze ist weihnachtlich geschmückt. Iryna Maksymchak hat Kaffee gekocht. Sie weiß, dass in Deutschland, in Balve, der schwarze Bohnentrunk Standard ist; sie selbst trinkt, wie die meisten Menschen in der Ukraine, lieber schwarzen Tee. Auf Tellern stapeln sich weihnachtliche Süßigkeiten: Stollen, Pralinen und sogar selbst gebackene Plätzchen.

Dank an die Deutsch-Lehrer

Iryna Maksymchak hat sich an der Tür mit Vornamen vorgestellt und ihre Hand ans Herz gelegt: „Guten Tag. Wie geht es Ihnen?“ Sie macht seit geraumer Zeit einen Deutsch-Kurs in der ehemaligen Hauptschule. Ihr ausdrücklicher Dank gilt ihren Lehrern: Michael Gödde und Engelbert Falke sowie nicht zuletzt der Hagener Roman Koy.

Die Ukrainerin wird später zeigen, wie wichtig es ihr ist, Deutsch zu lernen. Sie hat ihr Leben buchstäblich neu sortiert. Im Arbeitszimmer, auf dem Schreibtisch, liegt ein Laptop, daneben, fein säuberlich gestapelt, Material für den Sprachkurs, dazu Kinderbücher aus dem Bestand von Martina Oberste.

Deutsch-Kenntnisse machen die Verständigung leichter – mit der Familie Oberste, aber, mehr noch, mit der Nachbarschaft, mit Familie Wilmes und Familie Habbel. Und genau das hat bei einem besonderen Weihnachtsbrauch eine große Rolle gespielt. Am Heiligen Abend haben sich die Nachbarn bei Familie Oberste getroffen: „Jeder bringt etwas mit“, erzählt Martina Oberste.

Nikolausfeier im Ukrainecafé: Die gebürtige Ukrainerin Anna Busche (rechts) aus Langenholthausen verteilt Süßes.
Nikolausfeier im Ukrainecafé: Die gebürtige Ukrainerin Anna Busche (rechts) aus Langenholthausen verteilt Süßes. © WP | Sven Paul

Das Treffen hat Tradition: „Mein Schwiegervater hatte damals die Schnapsidee.“ Es gibt etwas zu essen, etwas zu singen, und gesungen wird auch, inspiriert durch ein musikalisches Ständchen, das Nachbar Simon Stüeken einst dem MS-kranken Reinhard Köster gebracht hat, der in Balve als langjähriger Chef der Schützenbruderschaft St. Sebastian bekannt ist. Wie hat Iryna Maksymchak die Runde erlebt?

Vier Wochen ohne SIM-Karte

„Ja, es war sehr gut. Es war schön, dass Musik gemacht wurde“, entgegnet sie, „und dass Lieder gesungen wurden.“ Wo die Deutsch-Kenntnisse vorerst enden, fängt der Google-Übersetzer an. Iryna Maksymchak hat ihr Smartphone stets dabei. Bitte für sie war es, als sie nach einem Defekt ihrer SIM-Karte vier Wochen lang auf Ersatz hat warten müssen: vier Wochen kein Kontakt zur Mutter in der Ukraine. Iryna Maksymchak spricht viel über das, was ihr in ihrem neuen Leben Spaß macht. Über Belastungen spricht sie nicht. Martina Oberste deutet an, dass es auch dunkle Phasen gibt: „Wir lachen zusammen, und wir weinen zusammen.“

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Alexandra Makowlew stammt aus der Ukraine. Längst wohnt die Ingenieurin mit deutschem Pass. Sie arbeitet nebenher als Übersetzerin.
Alexandra Makowlew stammt aus der Ukraine. Längst wohnt die Ingenieurin mit deutschem Pass. Sie arbeitet nebenher als Übersetzerin. © WP | jürgen overkott

Weihnachten indes war keine Zeit der Tränen; es war eine Zeit der Freude. Freude bereiten Iryna Maksymchak auch die 14-täglichen Treffen mit Landsleuten im evangelischen Gemeindehaus. Gelegentlich ist auch Alexandra Makowlew dabei. Die Ingenieurin, ebenfalls aus der Ukraine, lebt seit Jahren in Balve, das Studium hat sie nach Deutschland geführt, längst besitzt sie einen deutschen Pass. Im Auftrag des Märkischen Kreises ist sie, wie ihre Landsfrau Anna Busche aus Langenholthausen, als Übersetzerin aktiv: ehrenamtlich. Alexandra Makowlew weiß, dass nicht alle Geflüchteten aus der Ukraine so schnell Anschluss finden. Manche sind traumatisiert. Andere haderten mit der Bürokratie; sie nehmen sie als umständlich und langsam wahr.

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Wer Anschluss finden will, braucht Offenheit und innere Stärke. Wie Iryna Maksymchak. Sie zeigt auf ihrem Laptop Fotos einer ukrainischen Sitte. Zur Erinnerung an Jesu Taufe nehmen Menschen dort ein Bad im eiskalten Wasser von Flüssen oder Seen. „Drei Mal muss man untertauchen“, erzählt Iryna Maksymchak. Sie hat es getan. Auf den Fotos strahlt sie.