Balve. Die Robert-Bosch-Stiftung sieht Landärzte und Landkliniken als aussterbende Gattungen. Auch heimische Hausärzte sind besorgt.

Die Robert-Bosch-Stiftung hat in einer aktuellen Studie Alarm für den Märkischen Kreis geschlagen. Die Autoren der Untersuchung befürchten mittelfristig Landarztmangel und Kliniksterben. Die Balver Allgemeinmediziner Dr. Gregor Schmitz und Dr. Paul Stüeken jr. geben ihnen nicht pauschal recht. Dennoch sind auch sie besorgt.

Wandel in der Ärzteschaft

Schmitz beobachtet einen Wandel bei der medizinischen Versorgung im Hönnetal: Den klassischen Hausarzt von ehedem, 24 Stunden, sieben Tage die Woche erreichbar „wird es nicht mehr geben“. Die Gründe seien vielschichtig. Zum einen sei die Medizin weiblich geworden. Inzwischen seien drei Viertel der angehenden Ärzte Frauen. Daher müsse ein Arbeitsumfeld in Klinik und Praxis geschaffen werden, in dem sich Familie und Beruf vereinbaren lassen. Andernfalls befürchtet Schmitz, dass „immer mehr Ärztinnen nach dem Studium ganz oder teilweise ihnen Beruf nicht weiter ausüben“.

Svenja Gehring füllt in Balve eine Lücke: Sie ist Chirurgin.
Svenja Gehring füllt in Balve eine Lücke: Sie ist Chirurgin. © WP | jürgen overkott

Dazu komme: Auch für männliche Jung-Mediziner sei die Work-Life-Balance „ein nicht zu vernachlässigender Faktor“. Das Umfeld sei für sie bereits durch die Einführung größerer Notdienstbezirke verbessert worden. Schmitz: „In kleineren Städten wie Balve würde sich kaum noch ein Arzt niederlassen, wenn er sich mit wenigen Kolleginnen und Kollegen den Bereitschaftsdienst in den Nächten und Wochenenden teilen müsste.“ Und: Da junge Mediziner zunehmend das Risiko der Selbstständigkeit scheuen, gebe es einen Trend, „dass es auch bei den niedergelassenen (Haus-)Ärzten immer mehr angestellte Kolleginnen und Kollegen geben wird“.

Arbeitgeber der Zukunft

Schmitz stellt sich die Frage nach den künftigen Arbeitgebern:

einzelne Ärzte oder Ärztegruppen, die das wirtschaftliche Risiko übernehmen,

Gemeinden, die von der Materie nichts verstehen,

K, die medizinische Versorgungszentren gründen wollen, um damit Einweisungen in die eigene Klinik herbeizuführen,

oder Versicherungen, die an Modellen arbeiten, vor Ort Vertreter und Vertragsarzt zu kombinieren.
    Jedes Modell wird laut Schmitz „nur funktionieren, wenn die dort tätigen Ärzte keine Angestellten-Mentalität entwickeln, sondern weiter höchst engagiert arbeiten“.

Digitalisierungsschub

Nachhaltige Änderungen in der medizinischen Versorgung werde die zunehmende Digitalisierung bringen. Deutschland liege im internationalen Vergleich um Jahre zurück.

Zweifel am Modell Balve

Das Balver Notarzt-System lebt vom Einsatz der Hausärzte Paul Stüeken sr., Dr. Paul Stüeken jr. und Dr. Gregor Schmitz (von links).
Das Balver Notarzt-System lebt vom Einsatz der Hausärzte Paul Stüeken sr., Dr. Paul Stüeken jr. und Dr. Gregor Schmitz (von links). © WP/ | jürgen overkott

In Balve ist das Krankenhaus bereits im Jahr 2012 geschlossen worden. Was sagt Schmitz dazu? „Ein Modell Balve gibt es nicht.“ Die ursprünglichen Idee, das ehemalige Krankenhaus in ein medizinisches Zentrum mit Zweigpraxen verschiedener Fachrichtungen zu entwickeln, hat sich zu reiner Vermietung von Gebäudeteilen an gesundheitlich orientierte Mieter entwickelt. Schmitz: „Die medizinische Versorgung in Balve ist dadurch nicht wesentlich gestärkt worden.“ Für die Zukunft bleibe zu hoffen, dass es weiter Ärztinnen und Ärzte in Balve geben werde, die mit Freude und Engagement ihrem Beruf nachgehen, die zusammenarbeiten, um so die medizinische Basisversorgung in Balve und der Nachbarschaft zu erhalten.

Die Rolle der Stadt

Die Stadt Balve könne „höchstens positive Rahmenbedingungen schaffen“. Aber: „Die Verantwortung für die medizinische Versorgung kann sie nicht übernehmen.“

Problemzone Menden

Dr. Paul Stüeken jr. betrachtet Lage und Aussicht ebenfalls differenziert. Er sieht Balve als Teil des Mittelbereichs Menden. Stüeken: „Da die hausärztliche Versorgung in Menden in den nächsten fünf Jahren katastrophale Zukunftsaussichten hat, da die Kollegen relativ alt sind und deswegen zeitnah aufhören werden, gilt der Mittelbereich Menden als absolut förderbedürftig im hausärztlichen Bereich. Betrachtet man Balve isoliert, stehen wir in der Tat noch sehr gut da.“

Stüeken ist sich bewusst, dass sein Vater und Kollege Tschuck binnen fünf Jahren aufhören. Damit würden Balve zwei Hausärzte fehlen. Stüeken: „Es ist absolut richtig, dass Netzwerke aufgebaut werden müssen. Dies haben wir mit dem Gesundheitscampus auf jeden Fall versucht. Bisher klappt das auch sehr gut.“ Das könne als Vorzeigeobjekt für andere Regionen gesehen werden.

Stüeken glaubt, dass sich die Struktur des deutschen Gesundheitssystems insgesamt verändere: „Dies betrifft natürlich vor allem das Land. Es werden weitere kleinere Krankenhäuser schließen, und dadurch wird das Land weiter abgehängt werden.“ Was tun?

Die Rolle der Pflege

„Aus meiner Sicht zählt für eine gute Versorgung der Patienten nicht unbedingt ein Arzt. Die tägliche Versorgung der Patienten führen nämlich eher das Pflegepersonal beziehungsweise die Angehörigen durch“, sagt Stüeken. In die Optimierung dieses Systems muss eher investiert werden. Durch die Digitalisierung können wir Ärzte größere Flächen abdecken und durch die gute Vernetzung Zeit sparen.“

Es bedürfe vor allem mehr Personal vor Ort, das ärztliche Anordnung umsetze. Die Ausbildung der Pflege müsse optimiert werden. Pflegekräfte werden mehr Kompetenzen erhalten, die Abstimmung mit Ärzten müsse „deutlich optimiert werden“. Stüekens Fazit: „Wir brauchen mehr und besser bezahltes Personal in der Pflege!“