Balve. Zeitreise mit Rudolf Rath. Der Pfarrarchivar sieht ein Foto der Hauptstraße von 1950. Und schon sitzt er wieder auf dem Schlitten.
Rudolf Rath, ehrenamtlicher Archivar des Pfarrarchivs St. Blasius, versenkt sich gern in Bilder aus alten Zeiten. Ihn fasziniert nicht nur, dass Schwarz-Weiß längst für historisch steht – und Farbe für Modernität. Der Herr der Balver Kirchengeschichte achtet weitaus mehr auf die Veränderungen, die im Bildvergleich überdeutlich werden.
Die Hauptstraße ist Balves Herzschlagader. Die Hauptstraße ist die Basis des Balver Fachhandels, entstanden in einer Zeit, als das Wirtschaftswunder der jungen Bundesrepublik dort für eine Fülle von Läden und Kneipen sorgte. Inzwischen ist das gastronomische Angebot an der Hauptstraße zusammengeschnurrt auf einige, wenige Adressen wie Tillmanns Bäckerei-Café im „Kaiserlichen Postamt“.
Rudolf Rath denkt aber bei seinem Bildvergleich gar nicht zuerst an den brummenden Einzelhandel früherer Jahrzehnte. Beim Betrachten der Bilder überkommt ihn der Kinder-Blick. Das winterliche Schwarz-Weiß-Foto von 1950 mit seinen unbelaubten Bäume und den wenigen warm eingepackten Spaziergängern lädt den pensionierten Sozialarbeiten zu einer Zeitreise in seiner eigene Jugend ein. Den großen Unterschied zwischen gestern und heute streift Rudolf Rath beiläufig. Dieser Winter fand an einem Donnerstag statt. Vor sieben Jahrzehnten war Schnee im oberen Hönnetal Standard.
Der Lieferwagen vorm Postamt
Rudolf Rath betrachtet die Straßenszene zwischen Mellener Straße und Bogenstraße. Dieser Bereich war für den Balver Jungen Anfang der 1950er Jahre auch sein Ziel: „Bis hierher schafften wir Kinder es spielend mit dem Schlitten. Anfang der 1950er Jahre kamen uns Autos so gut wie gar nicht in die Quere. Vorausgesetzt es lag genügend Schnee, aber den soll es früher ja öfter und reichlicher gegeben haben.“ Jedenfalls sah eine Schlittenpartie in der frühen Nachkriegszeit so aus: „Wir starteten am oberen Husenberg, glitten den Schaar hinunter und nahmen uns die Vorfahrt beim Einbiegen auf die Hauptstraße. Im günstigsten Falle war unsere Fahrt auf den Holzgestellen erst hier, mitten in der Stadt, an dieser Stelle zu Ende.“
Die Hauptstraße wurde ihrem Namen damals gerecht, wie Rudolf Rath anmerkt: „Hier kannten wir uns sowieso gut aus: Links der Straße kauften wir im Haus Falke Schuhe oder ließen unsere Treter reparieren. Wir hinterließen dort Neuigkeiten, die bei Heinrich Falke und seiner Familie im Laden und in der Schusterwerkstatt stets auf offene Ohren stießen – Stoff zur weiteren Unterhaltung. Im Kolonialgeschäft Woller gleich daneben kauften wir für unsere Groschen oder Pfennige Süßigkeiten, die aus den Bonbongläsern gegriffen einzeln ausgehändigt wurden.“
Und auf der rechten Seite der Straße? Rudolf Rath bleibt bei seiner Betrachtung an dem historischen Lieferwagen vorm früheren Postamt hängen. „Hinter Schaltern saßen gestrenge Beamte, für uns Kinder eine nicht geringe Hemmschwelle für auftragsgemäße Pflichtbesuche, wenn Briefmarken beziehungsweise Postpakete einzuliefern oder abzuholen waren. Das Haus wurde später abgerissen. Dort befinden sich heute der kleine Park mit der Trinkwassersäule und die Einfahrt zu einem großen Wohngebäude.“
Rudolf Rath wendet sich der aktuellen Szenerie zu. „Auf dem neuen Foto rechts ist das Haus Thiel zu sehen, in dem sich früher das Textilwarengeschäft der Geschwister Schulte befand.“ Auch das: vorbei. Heute dient es als Wohnhaus.