Arnsberg. Einem Arnsberger werden vor dem Landgericht 60 Straftaten vorgeworfen. Eine Schuldfähigkeit wird bei ihm nicht gesehen.
Mit dem sechsten Verhandlungstag nach fast sieben Wochen ging der Prozess gegen einen 53-jährigen Arnsberger, dem von der Staatsanwaltschaft 60 Straftaten vorgeworfen worden waren, vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichtes zu Ende. Weil der Angeklagte ein enormes Alkoholproblem hat und die Vorwürfe allesamt im alkoholbedingten Zustand begangen worden waren, ergab sich die Frage, ob er zu den Tatzeiten überhaupt schuldfähig war, was das Gutachten eines Sachverständigen klären sollte. Gleichzeitig musste geklärt werden, ob er in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt unterzubringen sei.
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Um den Nachweis zu erbringen, waren Staatsanwaltschaft und Gericht bemüht, jeden einzelnen Strafvorwurf aufzuklären. Bis auf eine Straftat, die sich in Düsseldorf abgespielt hatte, soll der Angeklagte alle in Arnsberg, die meisten in seiner Unterkunft in der Hammerweide, begangen haben. Es waren dies von 2020 bis 2022 hauptsächlich Körperverletzungen, Beleidigungen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen und Widerstände gegen Polizeibeamte. Vor Gericht, im nüchternen Zustand, zeigte sich der Angeklagte grundsätzlich vernünftig und einsichtig. Er gab die Vorwürfe zu und bedauerte seine Eskapaden, bei denen einige seiner Mitbewohner schmerzhafte Verletzungen erlitten hatten. „Ich bin selber oft geschlagen worden, habe aber nie Anzeigen erstattet. Das ist nicht meine Art. Alle anderen haben aber immer die Polizei gerufen. Jetzt bin ich das große Arschloch“, bemerkte der Angeklagte.
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Die Straftaten habe er dann begangen, wenn er pro Tag zwei oder meist sogar drei Flaschen Wodka getrunken hatte. Wie er sich dann verhält, bekamen Richter, Wachtmeister und Passanten hautnah vor dem Gerichtsgebäude mit, als er erheblich unter Alkohol stehend, zu einem Termin kam. Er tobte vor dem Gebäude herum, beleidigte und bedrohte wahllos Fußgänger, die Wachtmeister und die eingeschalteten Polizeibeamten, die ihn in die Psychiatrie des Neheimer Krankenhauses verbrachten. Zum nächsten Termin erschien er nüchtern und entschuldigte sich für sein Verhalten. Er wolle eine Therapie machen, arbeiten und ein normales Leben führen. „Um das zu erreichen, muss ich nach der Therapie weg von der Hammerweide, denn dort wohnen nur alkoholsüchtige Chaoten, die mich oft provozieren und mich bestehlen. Dann fange ich wieder an zu saufen“, machte der Angeklagte dem Gericht deutlich.
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Trotz Bemühen war es dem Gericht nicht möglich, alle angeklagten Fälle zu klären, weil die meisten Geschädigten als Zeugen, nicht vor Gericht erscheinen konnten. Sie ließen sich durch ärztliche Atteste wegen Verhandlungsunfähigkeit von ihren Aussagen entbinden oder es musste auf ihre Aussagen verzichtet werden, weil sie der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig und Dolmetscher nicht zu erreichen waren.
Der Sachverständige, ein Facharzt für Psychiatrie, stellte fest, dass der Angeklagte zu den Tatzeiten, bedingt durch den hohen Alkoholkonsum, schuldunfähig war. Er sei zur Abstinenz außerhalb des Krankenhauses wegen seiner starken Abhängigkeit nicht fähig. Die einzige Möglichkeit, ihm zu helfen sei die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Das sah die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer genauso. Der angeklagte Sachverhalt sei zwar erwiesen, da er aber nicht in der Lage war, das Unrecht seiner Taten einzusehen, müsse ein Freispruch erfolgen. Allerdings lägen die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vor, was das Gericht anordnen solle. Diesem Antrag schloss sich der Verteidiger, Michael Babilon, an. „Mein Mandant kann nicht bestraft werden. Ihm ist die Steuerungsfähigkeit wegen des Alkoholkonsums nicht gegeben. Aber ich sehe ein Licht am Ende des Tunnels. Er ist willig, eine Therapie anzugehen, ein straffreies Leben zu führen, und er will unbedingt arbeiten“, argumentierte Michael Babilon. Das Gericht sprach dann den Arnsberger von den Vorwürfen der Anklage frei, weil er zu den Tatzeiten schuldunfähig gewesen sei. Es ordnete die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.