Oeventrop. Familie Kutnar aus Oeventrop lebt mit zwei gehandicapten Kindern einen Alltag ohne Normalität. So hilft ein ganzer Ort den Eltern.

Früher Nachmittag im Hause Kutnar auf der Dinscheder Höhe. Erstklässlerin Mia sitzt am Küchentisch und macht ihre Hausaufgaben. Mama Yvonne beschäftigt sich mit der bald vierjährigen Emma, während Papa Tobias deren noch etwas müden Zwillingsbruder Finn nach dem Mittagsschlaf zurück ins Hier und Jetzt zu holen versucht. Ein Familienleben im Dauer-Ausnahmezustand. Die Oeventroper leben mit den gehandicapten Zwillingen einen Alltag ohne Normalität.

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Finn und Emma sind im Ort bekannt als „Meine kleinen Kämpfer“. Unter diesem Titel läuft auf der Plattform Go fund me eine Spendenaktion. Und unter diesem Titel findet am 30. Mai, am Feiertag, auch ein Benefizspiel der Traditionsmannschaften des FC Schalke 04 und des BV Borussia Dortmund 09 auf dem Sportplatz des TuS Oeventrop statt. 2580 Karten wurden verkauft. „Davon sicherlich allein 900 im Ort“, erzählt Tobias Kutnar. Das Dorf Oeventrop steht den Kutnars zur Seite. „Und das tut wirklich gut“, sagt Yvonne Kutnar berührt. Da merke man, dass man nicht alleingelassen wird mit seinen Sorgen und Problemen.

Zurück ins Jahr 2014. Da begannen Yvonne und Tobias mit dem Bau ihres Hauses. Zwei Kinderzimmer waren geplant. „Und wir wussten da ja noch nicht, was noch kommen sollte“, so der 38-jährige Familienvater. Mia wurde geboren. Sie ist heute sechs Jahre alt und besucht die Klasse 1 der Grundschule Dinschede. Yvonne (36) wurde erneut schwanger. Zwillinge. So nicht geplant, aber so spielt das Leben. „Da hätten wir eine Lösung für gefunden“, sagt Tobias. Alles im Lot bis zur 27. Schwangerschaftswoche. Yvonne musste vorzeitig entbinden. Emma und Finn kamen als Frühchen in Hüsten zur Welt. „Laut Arztbericht gesund!“, sagt Tobias Kutnar.

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Vier Tage nach der Geburt aber traten bei beiden Kindern Hirnblutungen auf. Und die veränderten alles. Emma und Finn trugen Handicaps davon, die sie und die Familie ein ganzes Leben lang massiv beeinträchtigen werden. Emma ist hypoton, hat kaum Körperspannung und kann sich nur mit Lauten äußern. „Sie sieht nicht viel“, erzählt Mutter Yonne, während sie mit ihren Fingern immer wieder den Kontakt zu Emmas kleinen Händchen sucht, „was genau, das wissen wir nicht.“ Emma kann es nicht sagen.

Bruder Finn ist jetzt wach. „Er plappert wie ein Papagei“, sagt Tobias. Tatsächlich spricht der Junge schon deutlich mehr, kann viel mehr kommunizieren. Er verkrampft ganz anders als seine Schwester spastisch - hat quasi Überspannungen der Muskulatur. „Die Therapeuten sagen, dass viel möglich ist“, sagt Mutter Yvonne. Ob die Kinder je laufen können? Schulterzucken bei den Eltern. Sie organisieren nun ihr dauerhaftes Leben mit schwerstbehinderten Kindern.

Im Freizeitbad Nass gehen die Kutnars gerne mit ihren Kindern in einem Kurs für gehandicapte Kinder schwimmen..
Im Freizeitbad Nass gehen die Kutnars gerne mit ihren Kindern in einem Kurs für gehandicapte Kinder schwimmen.. © WP | Martin Haselhorst

Dazu braucht es Therapien, viele teure Hilfsmittel und auch passende Räume. Die Krankenkassen zahlen nicht alles, hier muss immer wieder neu verhandelt werden. Rollstühle, spezielle Kindersitze für Haus und Auto - das alles belastet auch die Familienkasse. Das Raumproblem aber ist noch gravierender: Gemeinsam in einem Zimmer schlafen können die Zwillinge nicht, ein Kinderzimmer im Obergeschoss ist das Reich von Mia. Finn schläft aktuell auf einer Matraze im Elternschlafzimmer. „Sonst würde Emma ihn nachts immer wach machen“, erklärt Tobias.

Noch geht das irgendwie. Aber auch Finn und Emma werden irgendwann groß und immer schwerer. Und sie müssen wahrscheinlich immer getragen werden. „Das wird nicht ewig gehen“, wissen die Eltern. Sie planen daher einen ebenerdigen, eingeschossigen 25 Quadratmeter großen Anbau mit Zimmern für die Zwillinge und einem behindertengerechten Bad. „Wir müssen doch jetzt schon ein paar Jahre vorausdenken“, sagt Tobias Kutnar. Er rechnet mit Kosten in Höhe von 75.000 Euro. Und genau dafür läuft aktuell die Spendenaktion und auch das Benefizspiel.

Es kann helfen, den Kutnars einen Familienalltag, der herausfordernd genug ist, ein Stück weit „normaler“ zu machen. Darum sind Yvonne und Tobias bemüht. „Alles dreht sich ja um die Zwillinge“, sagt die Mutter und blickt dabei auf Tochter Mia, der man auch gerecht werden müsse und möchte. So werden auch Kurzzeitpflegeangebote der Einrichtung „Die Brücke“ in Anspruch genommen. So ist auch einmal ein Urlaub nur mit Mia möglich. Ganz wichtig für das Kind und die Familienhygiene. „Wir müssen ja auch an unsere Beziehung denken“, sagen die Eheleute.

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Und an sich selbst. Es müssen Freiräume gefunden werden. Die gibt es, wenn Finn und Emma in dem Caritas-Kindergarten „Feldmäuse“ betreut sind. Ab und an können die Großeltern helfen, vor allem aber müssen sich Tobias und Yvonne gegenseitig unterstützen. Beide lieben den Sport und sind beim TuS Oeventrop. Verlagsmitarbeiter Tobias spielt Fußball bei den Alten Herren, Yvonne gibt Fitnesskurse beim TuS Oeventrop. „Es ist wichtig, dass jeder was für sich hat“, sagen sie.

Am Donnerstag dreht sich alles um die Familie Kutnar. Teile des Erlöses (je 2000 Euro) fließen zwar auch an die Jugendarbeit des TuS Oeventrop und an den ambulanten Hospizdienst Sternenweg, doch geht es vor allem um die „kleinen Kämpfer“, ihre Schwester und deren Eltern. „Es ist wirklich beeindruckend, was diese Familie leistet“, sagt Wolfgang Richter aus dem Organisationsteam des Benefizspieles, „und es ist erstaunlich, was man mit so einer Aktion ins Rollen bringt.“