Hüsten. Ganz viel Wärme schwimmt mit: Im Freizeitbad Nass erfahren mehrfach- und schwerbehinderte Kinder ihren Körper, finden Freude und Therapie.
Nicolas taucht ab. Immer und immer wieder. Der sechsjährige Junge liebt das Wasser. Hier ist er glücklich wie ein Fisch im Wasser. Im Schwimmkursus für mehrfach gehandicapte Kinder im Freizeitbad Nass ist er in seinem Element. Angst hat er nicht. Und am liebsten taucht er, macht unter Wasser schöne Schwimmzüge und kommt voran. Das tut ihm gut.
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Sarah und Alexander Goetz, seine Eltern, begleiten den Jungen im Kurs- und Rehasportbecken. Sie spielen mit ihm, motivieren ihn und freuen sich, dass es ihrem Jungen gut geht. Er hat es nicht überall so leicht. Er ist geboren worden mit einem genetischen Wasserkopfsyndrom, das ihn stark beeinträchtigt. So ist er auch in seiner Mobilität eingeschränkt und muss viel Zeit im Rollstuhl verbringen. Als er nun aber am Ende der Schwimmstunde aus dem Wasser kommt, ist vieles anders. „Dann kann er immer erst einmal laufen“, erzählt Mutter Sarah stolz, „der Druck des Wassers hilft ihm, seinen Körper ganz anders als sonst zu spüren.“
Seit zwei Jahren gibt es im Nass das Angebot. Barbara Klappert ist Teamleiterin im Freizeitbad und hat eine besondere Qualifizierung für Rehasport für Kinder mit Mehrfachbehinderungen gemacht. Nicolas kennt sie schon lange. „Er ist von Anfang an dabei und war schon bei uns in den Babyschwimmkursen“, erzählt die 58-jährige Frau. Lizenzen sind das eine, das Herz am rechten Fleck ist etwas anderes. Die Übungsleiterin gleitet durch das Wasser von Kind zu Kind und strahlt eine unerschöpfliche Wärme aus, wenn sie die Kinder im Arm hält und sie Stück für Stück immer mehr der entspannenden Wirkung des Wassers überlässt. „Die Arbeit mit den schwerstbehinderten Kindern ist immer mein Traum gewesen“, sagt sie. Als Fach-Übungsleiterin für Neurologie-Reha leitet sie auch einen Kursus für Jugendliche im Solepark - eine Gehschule, ganz losgelöst vom Wasser.
Das Wasser aber ist das, was diese Kinder hier heute wollen. Finn strahlt über beide Wangen, wenn Papa Tobias Kutnar ihn durch das Wasser zieht. Seine Zwillingsschwester Emma tut sich da schwerer im Arm von Mama Yvonne. Die Geschwister sind inzwischen dreieinhalb Jahre alt. Geboren wurden sie als „Frühchen“ in der 27. Schwangerschaftswoche und trugen bleibende Beeinträchtigungen davon.
Die Zwillinge haben einen unterschiedlichen Fahrplan durchs Leben. „Finn braucht Action“, sagt Vater Tobias und tobt sofort los. Seine Schwester bleibt verkrampft, beobachtet und verzieht ein wenig das Gesicht. Und doch ist spürbar, was die Temperatur des Wassers und die Wärme des Moments mit dem Mädchen macht. Nach und nach entspannt sich Emma. „Hier werden die Spastiken gelindert“, erzählt Yvonne Kutnar. Emma streckt die Beine, öffnet die zuvor zur Faust verkrampften Hände. Und auch ein Lächeln wird in ihrem Gesicht erkennbar.
Die Oeventroper Familie Kutnar ist seit August dabei - die große Schwester darf mit zum Schwimmen. Insgesamt dürfen maximal fünf Familien zeitgleich ins Wasser bei diesem Kursus. Größer, so erklärt Barbara Klappert, dürfen die Gruppen nicht sein. Die Betreuung und Begleitung ist intensiv und braucht viel Zuwendung. Beste Voraussetzungen bietet das Freizeitbad Nass. „Die Infrastruktur hier ist schon genial“, sagt Barbara Klappert. Das Kursbecken bietet einen geschützten Raum. In 1,35 Meter Wassertiefe auf waagerechtem Boden, bei 32 Grad Wasser- und 34 Grad Raumtemperatur sind optimale Bedingungen vorzufinden.
Freude über das See-Sternchen
Im Wasser des Kurses breitet sich ganz viel Liebe aus. Von Eltern, die ihre Kinder annehmen wie sie sind. Und von einer Kursleiterin, die sich über jeden noch so kleinen Entwicklungsschritt freut. Barbara Klappert holt Nicolas herbei und zeigt auf dessen Badehose. Der sechsjährige Junge hat gerade erst das „See-Sternchen“ geschafft - die Vorstufe zum „Seepferdchen“. Die Eltern sind stolz auf den Aufnäher auf der Badehose ihres Kindes - und das zu Recht.
Jede Stunde hat einmal ein Ende. Wenn Barbara Klappert das Ritual mit dem Lied „Alle Leut‘ gehen jetzt nach Haus‘“ ankündigt, läuft Finn zur Hochform auf und stimmt lautstark an. Der Gesang kommt von Herzen. Sie kommen sicher nächste Woche wieder, die kleinen Fische.