Neheim. Raser oder Schleicher? Was nervt mehr im Straßenverkehr? Unsere Redakteurin hat es ausprobiert - das Ergebnis ihres Selbsttests überrascht.

Eigentlich ganz einfach. In einer 50er-Zone mit 30 km/h entlang fahren, in einer 30er-Zone mit Schrittgeschwindigkeit. An der Ampel einfach mal zögern; und bestenfalls trotz Scham die Reaktionen der anderen im Straßenverkehr dokumentieren. So der Plan für diesen Selbstversuch. Doch dann verläuft alles ganz anders.

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9 Uhr. Die Fahrt beginnt auf der Autobahnauffahrt in Hüsten. Direkt neben der Polizeiwache schon auf die Bremse zu treten, ist gefühlt wenig sinnvoll - soll die Fahrt doch zumindest ein Weilchen gelingen. Auf der Beschleunigungsspur etwa 40 km/h. Aber nicht gewollt, denn ein großer Lkw rollt voraus. Durchgezogene Linie - also mit 80 km/h hinter dem Lkw her. In Neheim runter - und vor lauter Verkehr mit 30 „Sachen“ in Richtung Ampelanlage. Erster Versuch, Reaktionen einzufangen - missglückt.

Kinder am Fahrbahnrand: Langsam fahren und bremsbereit sein

Die Werler Straße soll‘s richten. Wie reagieren andere Verkehrsteilnehmende, wenn „der kleine rote Flitzer“ mit Schrittgeschwindigkeit durch die per Ampel geregelte Baustelle zuckelt? Und das, wo die Ampelschaltung doch zeitgesteuert ist und die zulässige Höchstgeschwindigkeit mit 30 km/h ausgeschildert ist. Mut zusammengefasst, los geht‘s - gedanklich, denn in diesem Verkehrsabschnitt fahren plötzlich alle nur Schrittgeschwindigkeit. Die Straßengegebenheiten lassen es gar nicht zu, hier auch nur ansatzweise wie ausgeschildert zu fahren. Schotter, Asphaltkanten. Zweiter Versuch - ebenfalls missglückt.

„Es gibt durchaus Situationen, in denen auch die an der jeweiligen Stelle zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht gefahren werden kann“, sagt Michael Schemme von der Polizei im HSK, „Wenn Sie beispielsweise auf einem Streckenabschnitt, der mit 70 gekennzeichnet ist, Laub oder auch Schneematsch auf der Straße feststellen, müssen Sie die Geschwindigkeit den örtlichen Gegebenheiten, insbesondere den Wetterverhältnissen, anpassen. Sehen Sie etwa Kinder am Fahrbahnrand stehen, gilt das in besonderem Maße. Hier müssen Sie sogar langsam fahren und ständig bremsbereit sein.“

Gut, es ist trocken und laubfrei, Kinder sind keine am Straßenrand. Bleibt also noch die L 732 (Werler Straße in Fahrtrichtung Höingen) - durchgezogene Linie, 70 erlaubt, teils sogar Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung. Dort zu langsam zu fahren, müsste den ein oder anderen Verkehrsteilnehmer hinter mir doch zur Weißglut bringen, oder? Pustekuchen. Denn selbst 50 sind auf diesem Straßenabschnitt noch zu viel für den hinter mir fahrenden älteren Herrn, der sein Fahrzeug mit vielleicht 40 „den Berg hinaufschiebt“. Hinter ihm reihen sich weitere Autos ein. Dritter Versuch - missglückt.

20 Euro Verwarngeld bei zu langsamem Fahren

Und dennoch ist es ein komisches Gefühl, extra so langsam zu fahren. Fühlt sich irgendwie „verboten und falsch“ an. Ist es in gewisser Hinsicht auch. Denn es kann sogar ein Verwarngeld von 20 Euro fällig werden, wenn durch das sinnlose Langsamfahren der Straßenverkehr beeinträchtigt wird. „Grundlage ist hier § 3 der Straßenverkehrsordnung, der das verkehrsbehindernde Langsamfahren ohne triftigen Grund untersagt“, so Michael Schemme. „Das ist jedoch immer vom Einzelfall abhängig, sodass die Polizei vor Ort die Situation jedes Mal aufs Neue bewerten muss.“

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Hintergrund dieser Vorschrift sei, dass man einerseits den Verkehrsfluss nicht behindern soll und das Langsamfahren andererseits auch zu Überholvorgängen führen kann, die vermeidbar wären. Es kommt aber eher selten vor, dass das behindernde Langsamfahren polizeilich geahndet wird - im vergangenen Jahr kreisweit nur in einem Fall.

In der Fahrschule kann man als „Schnecke“ jedoch durchfallen. „Längeres zu langsames Fahren wirkt sich genauso negativ aus wie zu schnelles Fahren“, so Kathrin Fiefeck von der Fahrschule Schnier + Voss, „und führt somit zum Nichtbestehen der Prüfung.“

Mit 20 „Sachen“ Richtung grüne Ampel

Die Rückfahrt - die L 732 diesmal herunter. Kein Auto folgt. Plötzliche Kehrtwende. Die Kreuzungsampel an der Kreuzung zur L 745 (Tankstelle/Imbiss) zeigt grün - und eine ältere Dame tuckert genüsslich in ihrem Auto mit 20 in Richtung Zweispurigkeit und Ampel. „Meine Jüte, gib mal Gas!“, sagt eine Stimme in meinem Kopf. „Die Ampel ist grün!“ Versuch geglückt. Wenn auch anders als geplant. Die akute Anspannung, unbedingt noch die grüne Phase der Ampel schaffen zu wollen - spürbar. Der älteren Dame wohl egal.

Blauer Kreis mit einer weißen 30

„Auch persönliche Fähigkeiten des Fahrenden spielen hier eine Rolle: Es ist beispielsweise legitim, wenn z.B. ein Fahranfänger oder auch älterer Verkehrsteilnehmer die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht ausschöpfen, auch wenn dadurch andere Verkehrsteilnehmer sich dadurch behindert fühlen“, sagt Janine Lollert, Pressereferentin ADAC.

Und dann gebe es aber auch die Fälle, in denen eine Mindestgeschwindigkeit vorgegeben sei: „Beispielsweise ein Schild mit einem blauen Kreis und einer weißen 30 drin ordnet an, dass hier mindestens 30 km/h gefahren werden muss. Ein solches Verkehrsschild kommt vor allem bei Strecken, auf denen mit hoher Geschwindigkeit gefahren wird, vor, damit hier der Verkehrsfluss nicht durch potenzielle Langsamfahrer gefährdet wird“, so Lollert weiter. Diese Schilder kämen außerdem häufiger bei mehrspurigen Steigungsstrecken zum Einsatz, häufig mit aufsteigendem Tempo von rechts nach links. Das solle unter anderem das Risiko von Auffahrunfällen minimieren.

„Wenn beispielsweise ältere Menschen vorsichtig fahren, passen sie ihre Geschwindigkeit der individuellen Leistungsfähigkeit an“, so Schemme. „Das ist auch gut so. Jedoch gibt es hier auch kein ‚Schwarz-Weiß-Denken‘. Ist ein Senior körperlich nicht in der Lage, ein Fahrzeug sicher zu führen, schauen wir uns den Fall an und prüfen, ob wir die Straßenverkehrsbehörde darüber in Kenntnis setzen. Das ist im Einzelfall für den Betroffenen sicherlich bitter, aber was die Sicherheit des Straßenverkehrs betrifft, auch unbedingt erforderlich.“