Arnsberg. Der Neheimer Unternehmer Dirk Fricke besitzt das erste West-Auto der Ex-Kanzlerin. Warum Angela Merkel noch „Beifahrerin“ ist.

Er läuft und läuft und läuft: der VW Golf. Nur nicht der des Neheimers Dirk Fricke. Sein weißer VW Golf II, Erstzulassung am 12. September 1990, steht an einem sicheren Ort irgendwo im Sauerland, eingelagert in einem klimatisierten Raum auf einem Teppichboden. Und wird nicht fortbewegt.

Dirk Frickes Oldtimer ist ein ganz besonderes Fahrzeug: der erste Wagen der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel nach der Wende. „Ich will den Golf für die Nachwelt erhalten“, sagt der 55-Jährige, der für das Auto buchstäblich den roten Teppich ausgerollt hat.

Wagen auf den Ehemann umgemeldet

Kramt Dirk Fricke den Fahrzeugbrief hervor, steht tatsächlich der Name der ersten Fahrzeughalterin schwarz auf weiß unter dem Berliner Kennzeichen: „Dr. Angela Merkel, geb. Kassner“. Sie besaß den Wagen laut dem Papier, in dem der Geburtsname Kasner offensichtlich falsch vermerkt wurde, von September 1990 bis Juni 1995. Danach wurde der weiße Golf auf ihren Ehemann Joachim Sauer umgemeldet. Für ein Jahr.

Dirk Fricke ist der fünfte Besitzer, nachdem er im April 2012 den Wagen bei Ebay Kleinanzeigen („Beschreibung: Historisches Fahrzeug von unserer Bundeskanzlerin“) ersteigert hat. Für exakt 10.165,02 Euro.

50 Jahre VW Golf

Außenministerin Annalena Baerbock hatte früher einen, Musiker Peter Maffay schon mehrere, VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo sowieso. Der Volkswagen Golf ist das mit Abstand beliebteste Auto in Deutschland.

1974 hatte er Premiere, als Golf I. Für VW war es ein Schicksalsjahr, das 807 Millionen D-Mark Verlust einbringen sollte und fünf Prozent Rückgang bei der Belegschaft. Die Gründe: Absatzrückgang, Währungsschwankungen und vor allem steigende Kosten für Material und Personal. Viel zu lange habe die Marke am Käfer festgehalten, der sich immer schlechter verkaufte, sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer vom Bochumer Center Automotive Research. Der neue Hoffnungsträger Golf I war zum Erfolg verdammt - und für den sorgte er auch. „Ohne den Golf“, sagt Dudenhöffer, „würde es VW heute in der Form wohl nicht geben.“

Mehr als 37 Millionen „Gölfe“, wie man die Mehrzahl in Wolfsburg liebevoll nennt, wurden seit dem Start weltweit verkauft. Inzwischen läuft im Werk die achte Generation vom Band.

In Deutschland ist der Golf seit Jahren das meistverkaufte Auto. Doch der Thron wackelt. In Deutschland konnte er den Spitzenplatz auch 2023 verteidigen, in Europa insgesamt musste er ihn inzwischen an Teslas Model Y abgeben.

Ob es nach dem aktuellen Golf 8 noch eine neunte Generation geben wird? „Auf jeden Fall“, sagt der Markenchef Thomas Schäfer. Aber nicht mehr als Verbrenner. „Die nächste Generation wird elektrisch.“ dpa

Erste Auktion abgebrochen

Es war seinerzeit der zweite Versuch des Internet-Auktionshauses. Die erste Versteigerung musste beim Gebot von 130.000 Euro abgebrochen werden. „Wir haben gesehen, dass das alles Spaßbieter waren“, sagte eine Ebay-Sprecherin damals.

Der Verkäufer aus Berlin hatte den Merkel-Golf einem Bericht von „Spiegel Online“ zufolge 2011 mit einem Unfallschaden gekauft und nach einem Blick in den Fahrzeug-Brief entschieden, dass das ramponierte Schmuckstück mit prominenter Vorbesitzerin nichts für den Schrottplatz sei. Er unterzog dem Pkw einer Frischzellenkur, stellte ihn für Verkaufsfotos vor dem Bundeskanzleramt ab und postete die Bilder bei Ebay. Mindestgebot: 10.000 Euro.

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Dirk Fricke bot mit und freute sich wie ein kleines Kind, als er den Zuschlag bekam: „So ein Auto darf nicht untergehen oder ins Ausland“, sagte er damals. Heute betont er, „dass der Wagen mich auch total an meine Jugend erinnerte. Solch ein Modell bin ich damals gefahren.“ Und überhaupt: „Es passt auch sehr gut zu den zwei, drei anderen Golfs, die ich besitze.“

Dass der VW Golf, der in diesem Jahr sein 50-jähriges Jubiläum feiert, zum Wolfsburger Dauerbrenner wurde, zum meistverkauften Auto Europas (mehr als 37 Millionen Stück), wundert den Sauerländer nicht: „Bis heute ist das Modell ein grundsolides Fahrzeug geblieben, das wenig Reparaturen benötigt und immer noch gut aussieht.“

Das beliebteste Auto der Deutschen

Wäre Alt-Kanzlerin Merkel einen Pkw einer anderen Marke gefahren und wäre dieser zum Kauf angeboten worden, hätte Fricke nicht zugeschlagen: „Es ging mir immer nur um den Golf.“ Um das mit Abstand beliebteste Auto der Deutschen.

Der Merkel-Wagen im Besitz des Mittelständlers aus dem Sauerland (seine Firma ist Hersteller für technische Beleuchtung) sei ein „ganz normaler Golf II“, wie Fricke betont: 70 PS, Benziner, keine besondere Ausstattung, keine Ledersitze („Die waren in den 90er-Jahren purer Luxus“). Der Tacho zeige „190.000 Kilometer und ein paar Kaputte“.

Keinen Kilometer gefahren

Apropos: Damals (bei der Übernahme 2012) wie heute befände sich der einstige Merkel-Golf in einem „Top-Zustand: Er springt sofort an und käme jederzeit durch den TÜV“. Was allerdings nicht nötig ist: Seit dem Kauf vor zwölf Jahren ist Fricke keinen einzigen Kilometer mit dem zuverlässigen Allrounder gefahren.

Als der Sauerländer einst den Wagen in Berlin abholte, ließ er ihn umgehend mit einem Werbebanner bekleben: „Frisch-Licht kauft Merkel-Golf“ prangte zunächst auf dem Neuzugang des Unternehmers, daraus wurde irgendwann – bis heute: „Frisch-Licht präsentiert Merkel-Golf“. Er habe „anfangs ein wenig den Werbeeffekt mitnehmen“ wollen, wie sich Fricke ausdrückt. „Ob ich dadurch eine Leuchte mehr verkauft habe? Keine Ahnung.“

Für die Verkaufsanzeige bei Ebay hatte der Berliner Verkäufer den weißen Golf extra vor dem Bundeskanzleramt abgestellt und fotografiert.
Für die Verkaufsanzeige bei Ebay hatte der Berliner Verkäufer den weißen Golf extra vor dem Bundeskanzleramt abgestellt und fotografiert. © picture alliance / dpa | Privat

In den Anfangsjahren verlieh er den weißen Golf II noch gelegentlich für Auftritte von Merkel-Doppelgängerinnen oder für Veranstaltungen in Autohäusern. „Irgendwann ebbten die Anfragen ab. Jetzt ist der Wagen unter Verschluss, steht einfach herum und gut ist“, so die Kurzformel zum Ist-Zustand.

Den Beifahrersitz ziert übrigens nach wie vor die einstige Kanzlerin persönlich. Oder besser: ihr auf einem Wahlkampfplakat verewigtes Gesicht, das Fricke fachmännisch neben dem Fahrerplatz angebracht hat.

Merkel-Termin mit dem Golf II

Direkten Kontakt zu der CDU-Politikerin – von Golf-Fahrer zu Golf-Fahrerin – hat er nie gehabt, auch nicht, als der weiße Kompakte auf Anfrage des Arnsberger Ortsvereins der Christdemokraten zu einer Wahlkampfveranstaltung der damaligen Kanzlerin auf dem Neheimer Marktplatz abgestellt wurde. Im November 2015. Hat Angela Merkel tatsächlich, wie berichtet wurde, ihren Ex (also den Golf) keines Blickes gewürdigt, geschweige denn sich noch einmal ins Innere gesetzt? „Weiß ich nicht“, sagt Fricke, „ich war nicht dabei.“ Aber sein VW Golf II.

Auf diese Auto-Anzeige im Internet-Auktionshaus Ebay stieß Dirk Fricke im April 2012.
Auf diese Auto-Anzeige im Internet-Auktionshaus Ebay stieß Dirk Fricke im April 2012. © dpa | Jörg Carstensen

Angela Merkels Vorliebe für die Golf-Klasse ist selten öffentlich zur Sprache gekommen. Als sie im Mai 2010 den VW-Stammsitz in Wolfsburg besuchte, sagte sie auf einer Betriebsversammlung vor 18.000 Volkswagen-Mitarbeitern, dass sie „Golf-Fahrerin seit der deutschen Einheit“ sei. In einem Interview mit einer Auto-Fachzeitschrift bezeichnete sie sich selbst als „vorsichtige Fahrerin“.

Auch Papst-Auto im Sauerland

Das Sauerland übrigens scheint ein gutes Pflaster für Verkäufe von Golf-Modellen mit prominenten Vorbesitzern zu sein. 2005 versteigerte ein 21-Jähriger aus dem Kreis Olpe den alten VW Golf des damaligen Papstes Benedikt XVI. bei Ebay für fast 190.000 Euro. Ähnliches soll mit dem alten Golf von Angela Merkel nicht passieren, beteuert Dirk Fricke: „Ich hänge an dem Wagen, ich werde ihn niemals verkaufen.“

Bleibt dennoch die Frage, wie viel der Wagen heute wert ist. „Kann man so nicht sagen“, sagt Fricke lächelnd, „ein Golf II mit vergleichbarem Baujahr und Laufleistung wird heute um die 4000 bis 5000 Euro gehandelt. Aber da ist ja noch der Merkel-Bonus.“