Hüsten. Antje Voß und Jennifer Kutic: Die beiden sind ein starkes Duo, das für ihr Familienglück keine Grenzen kennt und täglich bis ans Limit geht.

„Alltag“ hat für Antje Voß (52) und ihren Mann Karsten etwas Beruhigendes. Doch sobald etwas dazwischen kommt, bedeutet das Stress. Das Elternpaar aus Hüsten hat zwei wunderbare Söhne - Zwillinge. „Lennart (19) ist gesund und macht dieses Jahr das Abitur, und Alexander ist autistisch“, sagt sie. Für das Familienglück geht die zweifache Mutter täglich an ihr Limit. „Die Auswirkungen, die der Autismus auf unser Leben hat, sind vielfältig. Es gibt ein breites Spektrum, von leichten Auffälligkeiten bis hin zu Schwerstbehinderungen. Manchmal ist das Verhalten meines Sohnes so klar vorauszusehen, dass ich mich wie eine Hellseherin fühle. Und manchmal denke ich, dass ich seine Reaktionen niemals verstehen werde.“

Mit der Diagnose umzugehen, sei die eine Sache, so die Mutter. Denn Autismus kann vielfältig sein. „Diese Menschen können unterschiedliche Stärken haben, was soziale Interaktionen, Kommunikation, sensorische Wahrnehmung und repetitives Verhalten betrifft. Es ist wichtig, die Bedürfnisse und Perspektiven zu verstehen und Unterstützung anzubieten. In vielen Fällen können frühzeitige Interventionen, Bildungs- und Therapieprogramme sowie ein unterstützendes Umfeld die Lebensqualität von Kindern mit Autismus verbessern“, erklärt Antje Voß. Sie will aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit ihrem Sohn anderen betroffenen Eltern helfen, mit der Diagnose „Autismus“ klarzukommen.

„Dein Kind ist schlecht erzogen“

Vor gut einem halben Jahr hat sie eine Selbsthilfegruppe gegründet. „Der Andrang war enorm“, sagt Antje Voß. Denn die ersten Hürden, die viele Eltern nehmen müssten, sei ein Ärzte-Spießrutenlauf, um überhaupt eine Diagnose für Autismus zu bekommen. „Oftmals heißt es aus dem näheren Umfeld, dein Kind ist schlecht erzögen. Oder: Gehe doch mal zum Ohrenarzt, wenn dein Kind nicht hört.“

Mit den sogenannten Meta-Com-Bildkarten kann man den Alltag von autistischen Menschen strukturieren.
Mit den sogenannten Meta-Com-Bildkarten kann man den Alltag von autistischen Menschen strukturieren. © Anja Jungvogel | Anja Jungvogel

All das hat Jennifer Kutic (37) mit ihrem Sohn Linus (3) bereits hinter sich. „Ich habe ziemlich früh gemerkt, dass mit Linus irgendetwas nicht stimmt“, sagt die Mutter. Linus ist ihr zweiter Sohn. Bei Adriano, der inzwischen erwachsen ist, lief die Entwicklung ganz anders. „Linus fing viel später an zu krabbeln und erst mit 22 Monaten lernte er laufen.“ Von diesem Zeitüunkt an sprach er kein Wort mehr. „Wenn er etwas wollte, weinte oder schrie er laut. Obwohl er bereits Einwortsätze und Mama sagen konnte, war von einem Tag auf den anderen sein Sprachvermögen wie gelöscht.“

 „Ich habe ziemlich früh gemerkt, dass mit Linus irgendetwas nicht stimmt“, sagt Jennifer Kutic.
 „Ich habe ziemlich früh gemerkt, dass mit Linus irgendetwas nicht stimmt“, sagt Jennifer Kutic. © Anja Jungvogel | Anja Jungvogel

Erste Symptome habe Linus bereits im Alter von 18 Monaten gezeigt. Er schlief nachts nicht durch, war unruhig, ängstlich und wirkte oft verstört. „Erst hieß es, seine Entwicklung sei verzögert“, erinnert sich Jennifer Kutic. „Man fährt von Arzt zu Arzt, lässt sein Kind untersuchen, testen oder muss Fragebögen ausfüllen. Und am Ende sagen alle, dass keine Auffälligkeiten zu verzeichnen sind. Doch als Mutter spürt man, wenn etwas nicht stimmt.“

Panikattacken in überfüllten Bussen

Bei Menschenmassen oder im voll besetzten Bus bekommt Linus plötzlich Panikattacken und brüllt wie am Spieß. „Es ist schon ein Abenteuer, wenn wir von Alt-Arnsberg nach Hüsten mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind“, sagt sie. Ab dem kommenden Sommer darf Linus nun einen heilpädagogischen Kindergarten besuchen. „Für diesen Antrag war die Diagnose nötig. Dafür habe ich schwer kämpfen müssen“, sagt sie. „Und eine Diagnose für Autismus kann nur ein Kinderpsychiater aussprechen“, erklärt Antje Voß. Auf einen Termin dort müsse man lange warten.

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Auf der Homepage der Paderborner LWL-Klinik heißt es dazu: „Autismus lässt sich, wie andere psychische Störungen auch, nicht allein mit Tests oder Fragebögen erkennen. Als zusätzliche Informationsquelle und um das einzelne Kind besser zu verstehen, sind sie aber wichtig und hilfreich. Meist bekommen Ihr Kind und Sie daher zunächst einen oder mehrere Fragebögen mit nach Hause und werden gebeten, diese in Ruhe auszufüllen. Diese Fragebögen können den Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung stützen. Um dann weitere Informationen über die Entwicklung Ihres Kindes in verschiedenen Bereichen zu bekommen, werden weitere Gespräche mit Ihnen stattfinden ...“

„Bei vielen Ärzten ist man nur noch eine Nummer“, meint Jennifer Kutic. „Die Kinderarztpraxen sind überfüllt und mit einem quengeligen Kind an der Hand wird man dort schnell aus Helikoptermutter abgestempelt.“ Antje Voß nickt: „Mir hat ein Arzt mal gesagt, dass es kein Wunder sei, dass mein Sohn nicht redet. Ich würde ihm ja jeden Wunsch von den Lippen ablesen.“ Doch so einfach sei das mit einem autistischen Kind nicht. „Mein Sohn braucht viel mehr Zuwendung als sein Zwillingsbruder. Das ist für uns Eltern ein täglicher Balanceakt.“

Mein autistischer Sohn braucht viel mehr Zuwendung als sein Zwillingsbruder. Das ist für uns Eltern ein täglicher Balanceakt.
Antje Voß - Leiterin der Selbsthilfegruppe für Autismus-Arnsberg

Aus diesem Grund hat Antje Voß die Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Angehörige, Betroffene und Fachkräfte treffen sich jeden 2. Donnerstag von 19 bis 21 Uhr im Bürgerzentrum (Bahnhof Alt-Arnsberg) zu offenen Gesprächsrunden. Diese dienen dem Austausch rund um das Thema „Autismus“. Vom Verdacht bis hin zur Diagnose. Es geht um herausforderndes Verhalten, Schule, Pflege und den Umgang mit Ärzten oder Behörden. Dabei werden Lösungsansätze und Bewältigungsstrategien besprochen. „Die Gruppe soll Mut und Kraft sammeln, Verständnis und Akzeptanz erfahren“, so Antje Voß.

Welt-Autismus-Tag

Die Selbsthilfegruppe Autismus-Arnsberg präsentiert sich, bezugnehmend zum „Welt-Autismus-Tag“, am 30. März (Karsamstag) an einem Info-Stand von 10 bis 14 Uhr in der Neheimer Fußgängerzone (Höhe Commerzbank). Teilnehmende sind zudem am 2. April von 18 bis 19.30 Uhr vor dem Apollo Kino ansprechbar für Interessierte. Um 19.30 Uhr beginnt im Lichtspielhaus die Filmvorführung „Wochenendrebellen“; eine deutsche Produktion, wobei es um das Leben eines autistischen Jungen geht. Unterstützung erhält die Selbsthilfegruppe von der Autismus-Ambulanz Arnsberg.