Arnsberg. Johannes Esser lernt sein Grafik-Handwerk vor 40 Jahren – kann ihm und seiner Existenz die Künstliche Intelligenz gefährlich werden?

„Wenn du dich verschließt, bist du irgendwann raus“, sagt Johannes Esser. „Du musst dich immer wieder der Zeit anpassen und selbst neu erfinden.“ Der waschechte Grafiker lernt sein Handwerk zu einer Zeit, in der Photoshop noch auf zwei Disketten passt – inklusive Vorlagen-Pool. Er blickt auf eine turbulente Zeit der Digitalisierung in der Werbung zurück. Und nun in eine Zukunft, die durch künstliche Intelligenzen (KI) geprägt wird.

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Es ist die Neugierde, die ihn dazu bewegt, sich mit KI auseinanderzusetzen. Er spielt mir ihr, gibt ihr herausfordernde Aufgaben und analysiert ihre Ergebnisse – mit einem wachen Kennerauge, aber auch mit Demut gegenüber ihrem Können. „Ich bin schon sehr erstaunt darüber, was das Ding hinbekommt“, sagt er. „Die Frage ist aber auch, was KI nicht kann!“ Über kurz oder lang werde sie aber auch viel dazugelernt haben und dem einen oder anderen den Job kosten, ist er sich sicher.

„Ich arbeite traditionell – mit Bleistift“

Das kreative Gen scheint dem 60-Jährigen in die Wiege gelegt worden zu sein. Denn auch seine Großmutter zeichnet zu Lebzeiten mit Herz und Seele – nebenbei im stillen Kämmerlein. An viele dieser Werke erinnert Johannes Esser sich gern. Sie sei es auch gewesen, die seine künstlerische und sprachbegabte Neigung gefördert habe. „Sie hat mich künstlerisch immer machen lassen – und mir einen Aquarellkasten gekauft, den ich heute noch in Ehren halte.“

Esser Grafik

Johannes Esser arbeitet als selbstständiger Grafiker und Illustrator in Arnsberg. Er betreut Kunden aus dem Hochsauerlandkreis, dem Kreis Unna, dem Münsterland und aus Hamm, aus dem Kreis Soest, dem Märkischen Kreis und Köln.

Schwerpunkte sind Corporate-Design, Relaunches, Printprodukte, Werbetechnik, Illustration und Bildbearbeitung.

Mehr über ihn und seinen Job: www.esser-grafik.de.

Auch sprachlich habe die Frau, die für ihn wie eine Mutter war, ihn gefördert. „Sie hatte die Ruhe des Alters gepaart mit der Begeisterungsfähigkeit einer jungen Frau.“ Irgendwann ist es sein eigener Bleistift, der ihm die Zukunft weist – und bis heute sein ständiger Begleiter ist. „Ich arbeite traditionell – mit Bleistift“, sagt er, „und digitalisiere die Zeichnungen dann.“ Oft aber halte auch das Tablet her, wenn es darum ginge, spontane Bilder im Kopf „zu Papier“ zu bringen.

40 Jahre Veränderung im Grafikerjob

1984 beginnt er sein Werbepraktikum in München – in einer kleinen familiären Werbeagentur. Für Mode, Immobilien und Geschenkartikel ist er bei der Entwicklung von Werbekonzepten, erstellt manuell Entwürfe und Druckvorlagen und lernt viel. „Die Bearbeitungszeit belief sich damals noch auf mehrere Wochen bis Monate, und Möglichkeiten für eine schnelle Korrektur gab es keine.“

Er zeichnet per Hand, mit Tusche und Marker für das Layout und Tusche für Reinzeichnungen. „Es gab noch keine digitalen Übertragungswege – daher wurden Kuriere eingesetzt oder man traf sich persönlich.“

Wenn mich jemand fragte, ob ich meinen Berufsweg noch einmal ginge, dann würde ich vermutlich antworten, dass Kunstlehrer oder Werbetechniker krisensicherer gewesen wäre. Reizvoll beim Grafiker ist, dass er sich in jedes Produkt und jede Dienstleistung eindenken muss. Das wäre beim Werbetechniker nicht unbedingt der Fall, sofern er nur ausführendes Organ ist.
Johannes Esser - Grafiker mit Herz und Verstand

Für eine Modeanzeige seien beispielsweise fünf bis acht Personen inklusive Assistentinnen oder Assistenten eingesetzt worden – ein Grafiker, ein Fotograf, ein Druckvorlagenhersteller, ein Lithograf und ein Kurierfahrer.

Farbschnipsel wurden aufgebügelt: So entstand Design

1990 beginnt Johannes Esser, nach einem kleinen Abstecher in eine Spedition und zur Bundeswehr, sein Grafikstudium, und lernt die Anfänge der Digitalisierung kennen. „Die Bearbeitungszeit reduzierte sich auf Tage bis Wochen“, sagt er, „Änderungen im Entwurf waren schneller möglich – es dauerte aber immer noch Stunden, da die Software und der Rechner je nach Datenmenge sehr langsam waren.“

Während er anfangs noch Fotokopierer, Schere, Klebstoff und Marker nutzt, um ein Layout zu erstellen, kommt nach und nach der Computer ins Spiel. „Anfangs noch in Schwarzweiß und dann mit 256 Farben“, sagt er, „What you see is what you get.“

Da Farbdrucker erst zum Ende des Studiums erschwinglich wurden, hätte er in Schwarzweiß gedruckt, dann Farbschnipsel auf die Drucke gelegt und mit Thermorollern aufgebügelt. „Die Farbe blieb dann am Toner haften.“

Digitalisierung vereinfacht vieles – nimmt aber auch Jobs

1994 bis 2008 arbeitet Johannes Esser in mehreren Agenturen. „Zwischenzeitlich auch auf selbständiger Basis, bis ich Vater wurde und ein festes Einkommen brauchte.“ Zum Arbeiten verwendet er mittlerweile Layout-, Zeichen-, Bildbearbeitungsprogramme sowie Farbdrucker, Scanner und Digitalkameras. „Die Bildschirme wurden zunehmend farbgetreu und leistungsfähiger.“

Folge? Für eine Modeanzeige sind nur noch drei Personen notwendig. Ein Grafikdesigner, gegebenenfalls ein Fotograf und ein Druckvorlagenhersteller für die Belichtung der Platten. Die Bearbeitungszeit dauert nur noch Tage. Änderungen sind sofort möglich. Und es gibt die ersten CDs als Datenträger. „Ein Katalog waren ungefähr eine Umzugskiste CDs.“

Johannes Esser zeichnet dieses Werk „nebenbei aus der Hand“ in seinem Studium, sagt er. Kann KI das auch? 
Johannes Esser zeichnet dieses Werk „nebenbei aus der Hand“ in seinem Studium, sagt er. Kann KI das auch?  © WP | Johannes Esser / KI Adobe Firefly

Seit 2009 ist er selbstständiger Grafikdesigner für Handwerker, Bäckereien, Firmengründer und Illustrationen jeglicher Art. Er arbeitet nach wie vor mit seinem Bleistift. „Ich skizziere mit meinem Bleistift.“ Dann kommen Spezialprogramm wie InDesign, Illustrator und/oder Photoshop ins Spiel. Zeitlicher Aufwand? Im Bestfall einen Tag. „Die Daten werden per Internet an die Druckerei verschickt – ein Katalog in wenigen Stunden.“

Und wen braucht’s dafür noch? Zwei Personen. Einen Grafiker und einen Fotografen (je nach Motiv).

Wird die KI auch den Job des Grafikers an sich ersetzen?

Nicht sofort, denkt Johannes Esser, aber wenn die KI weiterhin viel lerne – und das tue sie –, könne sie sicherlich irgendwann auch den Job des Grafikers übernehmen. Bisher jedoch sieht er die KI lediglich als „gute Unterstützung in der Bildrecherche“ oder auch als „helfendes Tool“. Echte, gut durchdachte und auf den Kunden individualisierte Grafik- und Fotoergebnisse sieht er bislang noch nicht.

Arbeitsauftrag an die KI: Eine winzige Comicfigur mit Locken, Brille und einem gelben Pullover und einer hellblauen Jeans bekleidet, drückt angestrengt die vergleichsweise riesige Hand ihres Zeichners vom Papier, auf dem die Comicfigur gezeichnet ist. Das ist das Ergebnis der KI. 
Arbeitsauftrag an die KI: Eine winzige Comicfigur mit Locken, Brille und einem gelben Pullover und einer hellblauen Jeans bekleidet, drückt angestrengt die vergleichsweise riesige Hand ihres Zeichners vom Papier, auf dem die Comicfigur gezeichnet ist. Das ist das Ergebnis der KI.  © WP | Johannes Esser / KI Adobe Firefly

„Es gibt viele wichtige Einzelheiten, die KI noch nicht kann“, sagt er, „das fängt bei der zielgruppenorientierten Konzeptionierung und Corporate Identity an, geht über Schrifttypen Genauigkeit der Grafiken und hört bei Details wie Augen, einzelne Körpergliedmaßen oder Haarstrukturen auf.“ Gleichzeitig zeige sie eindeutig, dass die Eingabe - so genau sie auch ist - nicht das wiedergeben kann, was im Kopf des Kreativen herumschwirrt.

Als zusätzliches Beispiel zeigt er eine Grafik, die er von der KI erstellen lässt: Eine Herzschlaglinie mit angrenzendem Herzen. Die Grafik zeigt sich sehr ungenau und abstrakt.

Der Grafiker schaffe Visualisation und Konzept, indem er auf einen Wissensschatz zurückgreife, der von Markting über Schrift-, Form- und Farbenlehre bis zur Kunst und Illustration gehe – das könne eine KI aktuell nicht ersetzen. Aber wer weiß, wie lange noch.

„Kunstlehrer oder Werbetechniker wäre krisensicherer gewesen“

Insgesamt, auch fernab der KI, sei der Beruf des Grafikers/Illustrators seit jeher von Krisen geprägt. „Wenn mich jemand fragte, ob ich meinen Berufsweg noch einmal ginge, dann würde ich vermutlich antworten, dass Kunstlehrer oder Werbetechniker krisensicherer gewesen wäre. Reizvoll beim Grafiker ist, dass er sich in jedes Produkt und jede Dienstleistung eindenken muss. Das wäre beim Werbetechniker nicht unbedingt der Fall, sofern er nur ausführendes Organ ist.“

Genau das rate er auch jungen Menschen, die ihm hin und wieder eine Blindbewerbung sendeten. „Werbetechnik oder Kunstlehrer, je nach Bildungsweg und handwerklicher Begabung.“

„Wenn mich jemand fragte, ob ich meinen Berufsweg noch einmal ginge, dann würde ich vermutlich antworten, dass Kunstlehrer oder Werbetechniker krisensicherer gewesen wäre.“
„Wenn mich jemand fragte, ob ich meinen Berufsweg noch einmal ginge, dann würde ich vermutlich antworten, dass Kunstlehrer oder Werbetechniker krisensicherer gewesen wäre.“ © WP | Thora Meißner

Johannes Esser wird auch die nächsten Jahre noch als Grafiker arbeiten, und sich mit der modernen KI beschäftigen. „Gerne würde ich im Alter ein Kinderbuch illustrieren. Oder eine Bilderserie über Arnsberg. So oder so – solange ich sehen kann, werde ich zeichnen und gestalten. Was mit dem Nachzeichnen von Comics begann, findet so für mich ein gutes letztes Kapitel.“

Er verschließe sich der KI nicht, aber werde sie eher für Inspirationen und als Bilddatenbank nutzen. „Solange man sie noch gekonnt verbessern muss, bin ich nicht vollkommen ersetzbar.“