Hüsten. So setzen sich Schulen mit Radikalismus auseinander und vermitteln den Schülern demokratische Grundwerte. Karsten Dülberg im Interview.
Am 2. Februar setzt die geplante Demonstration vieler Arnsberger Akteure ein Zeichen gegen wachsende Rechtsradikalisierung. Wie sich Schulen mit dem Radikalismus auseinandersetzen und den Schülern demokratische Grundwerte vermitteln, erklärt der 49-jährige Karsten Dülberg, der am Franz-Stock-Gymnasium die Fächer Mathematik und Politik unterrichtet, im Interview.
Welche Aufgabe hat die Schule bei der Demokratieerziehung?
Das Schulgesetz gibt den Schulen einen Bildungs- und Erziehungsauftrag. Schüler sollen lernen, ihre Meinung zu vertreten und für ein friedliches und diskriminierungsfreies Zusammenleben und für die Demokratie einzutreten. Das soll eine zentrale Aufgabe der Schulen werden. Die Schüler sollen motiviert und befähigt werden, ihre Mitwirkungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Es soll auch eine Beteiligungskultur in Fragen der Schulentwicklung systematisch verankert werden.
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Wie wichtig ist eine intensive Beschäftigung mit der Demokratie im Unterricht?
Der Philosoph Julian Nida-Rümelin und der Pädagoge Klaus Zierer sehen die Demokratie wegen unzureichender politischer Bildung in Schulen aktuell bedroht. Warnzeichen seien z.B. die Zunahme von politischem Extremismus und gesellschaftlicher Polarisierung, das Vertrauen in Parteien und die Demokratie sinke. Das lasse sich nur mit Bildung wieder reparieren. Im Zuge der Pisa-Studien erfolge jedoch eine zu starke Konzentration auf Fächer wie Mathematik, Naturwissenschaften oder Sprachen. Daher wehe an Schulen eher der Geist von Pisa als ein demokratisches Grundverständnis. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung kritisiert, dass Politik häufig in Kombination mit anderen Fächern unterrichtet werde und um Stunden konkurrieren müsse.
Sehen Sie das auch so?
Am Gymnasium ist aus dem Fach Politik das Fach Wirtschaft-Politik geworden. Im Entwurf für unseren Lehrplan wurden wirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Themen stark aufgewertet. Einige demokratiebildende Themen waren nur randständig vorhanden, z.B. das Thema Mitbestimmung in Schule, Gemeinde und Betrieb. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus war zunächst gar nicht vorgesehen. Erst nach der Verbändebeteiligung wurde das Thema in den Lehrplan aufgenommen. Wir haben jetzt einen sehr umfangreichen Lehrplan, eine vertiefende Behandlung rein demokratiebildender Themen ist da schon eine Herausforderung.
Wie vermitteln Sie demokratische Werte?
Schulklassen benötigen z.B. Unterstützung bei der Gestaltung ihrer SV-Stunden. Dort werden Kompetenzen gelernt, die für das Demokratielernen wichtig sind: Wie erstelle ich eine Tagesordnung? Wie moderiere ich eine SV-Stunde? Wie gestaltet man Abstimmungen? Wie führe ich eine Rednerliste? Wie werden Anträge in schulische Gremien eingebracht? Am FSG haben wir in Fragen der Schulentwicklung eine demokratische Beteiligungskultur etabliert. Fortbildungstage zur Schulprogrammarbeit wurde für alle Mitglieder der Schulgemeinde geöffnet. Hier ist unsere Schülervertretung sehr engagiert, so dass wir Arbeitsschwerpunkte gemeinsam beschließen.
Gibt es auch klassenübergreifende Aktionen?
Wir haben das wir im Arbeitsbereich „Soziales Lernen“ auf unserer Homepage dokumentiert. Da wären z.B. die Aktivitäten im Zusammenhang mit unserem Namensgeber Franz Stock, insbesondere im Hinblick auf dessen Beitrag zur Völkerverständigung. Wir sind außerdem Mitglied im Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und hatten die Ausstellung „Demokratie stärken – Rechtextremismus bekämpfen“ zu Gast. Dabei wurden Schüler zu Guides ausgebildet. Diese haben die Klassen dann durch die Ausstellung geführt und rechtsextreme Weltbilder und Argumentationsweisen erklärt. Wir nehmen auch am Anne-Frank-Tag teil, der von der Anne Frank Stiftung organisiert wird. Damit wollen wir die Erinnerung an die Opfer des Holocausts lebendig erhalten.
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Wie gut nehmen die Schülerinnen und Schüler Ihre Angebote an?
Schule ist immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft. Daher ist es plausibel, dass die Angebote unterschiedlich angenommen werden. Wir bekommen aber viele positive Rückmeldungen. Häufig wird der Wunsch geäußert, dass es noch mehr solcher Angebote geben könne. Herausragend waren die vielen Rückmeldungen und Diskussionsbeiträge beim Besuch von Katrin Himmler, der Großnichte von Heinrich Himmler, Reichsführer SS und Organisator des Holocaust. Frau Himmler berichtete unserer Schülerschaft von ihrer kritischen Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte. Das hat viele in den Bann gezogen.
Ist die Schule zukunftsfähig aufgestellt?
Engagierte Kolleginnen und Kollegen investieren viel Herzblut. Aber wir können das schon finanziell nicht alleine auf die Beine stellen. Die Veranstaltung mit Frau Himmler war nur möglich, weil uns der Arbeitskreis Dorfgeschichte Niedereimer unterstützt hat. Es war auch lange ungewiss, ob der Anne-Frank-Tag in diesem Jahr wegen Einsparungen im Bundeshaushalt stattfinden kann. Gleichzeitig ist belegt, dass antidemokratische und menschenverachtende Positionen auch in der Mitte der Gesellschaft anschlussfähig geworden sind. Jugendliche sind eine wichtige Zielgruppe und ein begehrtes Objekt der Radikalisierung. Wenn wir als Anwälte der Demokratie wirksam tätig werden sollen, dann bedarf es Bemühungen, die über den Einsatz engagierter Lehrkräfte hinausgehen. Als Politiklehrer findet man es da schon fragwürdig, wenn ausgerechnet bei der politischen Bildung gespart werden soll.