Endorf. Beim Umbau der ehemaligen Sebastianschule Endorf stößt Investor auf ein historisches Fundstück, das sehr nachdenklich macht.
Beim Umbau der einstigen Sebastianschule Endorf in eine Caritas-Tagespflegeeinrichtung und unabhängig davon in ein Wohnhaus wurde eine gefundene Zeitkapsel im Gründungsstein aus dem Jahr 1950 geöffnet. Gefunden wurde ein historisches Schriftstück mit außergewöhnlichem Gegenwartsbezug. Eine handbeschriebene Urkundenrolle erläutert den Kontext des damaligen Schulneubaus und drückt die Sehnsucht nach Frieden aus. „Das ist doch heute wieder so aktuell wie damals“, sagt Bauherr Peter Braukmann aus Neheim. Ihm ist es zu verdanken, dass das Dokument erhalten blieb.
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Eigentlich war es ihm nur um den Ausbau einer Frontplatte des Gründungssteins gegangen. Dass sich dahinter dann eine steinerne Box mit einer Zeitkapsel verbarg, wusste der 65-jährige Unternehmer da noch nicht. Dann aber wurde diese geheimnisvolle Dose gefunden, die nun mit einer Flex am Tag der offenen Tür zur offiziellen Einweihung der Caritas-Tagespflege im Untergeschoss der ehemaligen Schule feierlich geöffnet wurde. Der Inhalt: die Urkunde mit Siegel, ein Satz Münzen mit einem 50-Pfennig-Stück, einem Zehn-Pfennig-Stück, einem 5 Pfennig-Stück und einem einzelnen Pfennig (die wertigeren Münzen waren kurz nach der Währungsreform 1948 noch nicht eingeführt) sowie die komplett ausgetrockneten Reste eines Pflanzenstraußes.
Peter Braukmann ist fasziniert von seinem Fund. „Das war sehr emotional“, sagt er. Ohnehin hat er einen engen Bezug zu Endorf und dem Gebäude. Er ist im Dorf groß geworden und hat auch die Sebastianschule als Kind besucht. „Der Umwandlung des Gebäudes ist aber eindeutig keine heimliche Rache an meiner alten Schule“, sagt er und verweist auf die „historische Bedeutung des Umbaus“. Auch deshalb bleibt der Schriftzug „Sebastianschule“ erhalten. Neben der Tagespflege (460 Quadratmeter im Untergeschoss) entstehen im gleich großen oberen Teil des Gebäudes auch sechs barrierefreie Wohnungen zwischen 45 und 80 Quadratmetern. Sie sollen im Frühjahr beziehbar sein.
Holzverkauf für Schulneubau
Wie es zum damaligen Schulneubau kam, erzählt die Urkunde. So habe es bereits 1938 Planungs- und Vorarbeiten für eine neue Schule in Endorf gegeben, die vom Krieg gestoppt wurden. Nach dem Krieg wuchs der Bedarf, weil „als Folge der 1946 gegen alles Recht erfolgten Austreibung der Deutschen ostwärts der Oder-Neiße-Linie“ auch in Endorf „über 200 deutsche Brüder und Schwestern aus Ostdeutschland“ aufgenommen wurden, sodass die Schülerzahl von 120 auf 180 stieg. 1200 Menschen lebten in der Gemeinde, zu der auch Recklinghausen, Brenschede, Bönkhausen, Röhrenspring, Kloster Brunnen, Endorferhütte und Gehren gehörten. Es brauchte eine große Schule. Endorfs Bürgermeister Johannes Hammecke, so schreibt die Urkunde weiter, habe sich „durch keinen Rückschlag und noch so große Widerstände entmutigen“ lassen. Die Baukosten beliefen sich damals auf 220.000 Mark, von denen die nach der Währungsreform ohne Rücklagen da stehende Gemeinde 50.000 Mark „aus einem außerordentlichen Holzeinschlag“ übernommen hatte.
Die am 2. August 1950 von Bürgermeister Hammecke, dem Hauptlehrer Zeppenfeld und dem Architekten Alfred Neuhaus aus Stockum unterzeichnete Urkunde fasst Peter Braukmann auch deshalb emotional an, weil in ihr von den Schäden der letzten Kriegstage bei einem Artilleriebeschuss vom 10. bis 12. April 1945 berichtet wird und dabei auch von der Schreinerei seines Großvaters Franz Braukmann die Rede ist. Jetzt überlegt Peter Braukmann, was mit der Urkunde zu tun ist. Auf jeden Fall will er Kontakt mit dem Heimatmuseum in Endorf aufnehmen. Und irgendwie soll die Urkunde - ob als Replik oder im Original - auch wieder zurück in das Gebäude kommen. „Ich betrachte das als einen Wert und fasse es mit Vorsicht an“, so der Bauherr.
Wirklich bewegt ist Peter Braukmann aber von der im letzten Absatz der Urkunde geäußerten Sehnsucht nach Frieden. „Im Jahr der Grundsteinlegung 1950 ist immer noch kein Friede“, heißt es. Verwiesen wird auf Gegensätze der Weltanschauungen und einen Krieg in Korea, „der die Entschlossenheit der westlichen Welt dokumentiert, für Gerechtigkeit und gegen brutale Gewalt mit allen Mitteln einzustehen“. Und möge der Herrgott verhüten, dass sich der Konflikt „zu einem neuen Weltenbrand ausweitet“. 73 Jahre später tobt der Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten. Die Welt hat wohl doch nicht so viel gelernt wie die Kinder in der alten Schule.