Neheim. Reel der Neheimer Ruth-Cohn-Schule geht viral: So nutzt das Kollegium negative Kommentare positiv zur Resilienzförderung und Medienkompetenz.
„Klasse, so lernen die Schüler auch mal was Richtiges. Super gemacht“ oder auch „Die Jungs machen was, sind produktiv, haben Spaß daran und die Eier, im Internet zu promoten. Riesen Lob an diese Männer“ sind Kommentare, die den Jungs der Ruth-Cohn-Schule viel Mut geben, weiterzumachen. Aber auch Negativkommentare, wie „Was für eine scheiße“ oder auch „Digga, einfach Kinderarbeit“, flattern herein.
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Was war geschehen? Die Schüler der achten Klasse und des Wahlpflichtfachs „I just do“ kreierten aus Holz, Kordeln und Stroh ein Pferdespielzeug und veröffentlichten ein Kurzvideo (genannt: Reel) auf der Social-Media-Plattform Instagram. Der von der Schulleitung selbst administrierte Account soll allen Interessierten die Möglichkeit geben, Einblicke in den Schulalltag der Förderschule im HSK für emotionale und soziale Entwicklung der Sekundarstufe I zu nehmen.
Instagram Account der Neheimer Schule zwecks Info
Bisher gelang dies - mal mit mehr Resonanz, wie „Likes“ und „Views“ (das Anklicken von „gefällt mir“ und die Häufigkeit der Videoansicht selbst), mal mit weniger. Doch diesmal geschah etwas, mit dem weder Lehrerkollegium, noch Schülerschaft gerechnet hatten: Das Reel (Video) ging viral. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass das Video so durchschlägt“, sagt Claudia Brozio, Schulleiterin der Ruth-Cohn-Schule in Neheim.
Denn kurzerhand stieg die Zahl der Views auf über 100.000 an - aktuell wurde das Video sogar ganze 220.646 Mal angesehen. 6.213 Personen (Accounts) gefällt das Video. Und 263 Kommentare gibt es mittlerweile.
Im ersten Moment eine kleine Überforderung für Claudia Brozio. „Ich musste mir erst einmal überlegen, wie ich nun mit den ganzen Kommentaren umgehe“, sagt sie, „vor allem auch gemeinsam mit den Schülern.“ Natürlich löscht sie die Kommentare, die gänzlich unter die Gürtellinie gehen - rassistisch, hetzerisch, gewaltverherrlichend oder auch sexistisch sind.
Kommentare aus der Fremde in Neheim eingesetzt
Aber dennoch möchte sie auch die positiven Kommentare (und auch diejenigen, die halt negativ besetzt sind) mit den Schülern besprechen. Letztendlich entscheidet sie sich also für eine pädagogisch und didaktisch abgewägte Konfrontation und die Integration des Themas zum Zwecke der Resilienzförderung und des Aufbaus der Medienkompetenz in den Wahlpflichtunterricht.
Sie nimmt all die positiven Kommentare und zeigt sie den Schülern. Denn die meisten von ihnen haben diese eh schon auf Instagram gesehen. Aber auch die negativen Kommentare nimmt sie mit - bespricht diese mit den Jungs der achten Klasse. Wie haben sie sich gefühlt, als sie die Kommentare lasen? Was ging ihnen durch den Kopf? Welche Statements sollten sie ernstnehmen und welche nicht?
Die Jungs selbst nehmen, und das ist gut so, die positiven Kommentare mehr wahr, freuen sich über den Zuspruch, der ihnen über die Social-Media-Plattform zugetragen wird. „Sehe hier nur Kings“ fällt den Jungs direkt ein. Der Kommentar bekam sogar 651 Likes von anderen Internetusern. „Endlich mal keine Influencer“, auch ein Kommentar, der den Jungs im Kopf bleibt.
Und was sagen sie zu den Kommentaren, die niemand so wirklich gerne lesen möchte? „Dumm. Warum machen die das?“, fragt sich Luca. Julian meint: „Sollen die schreiben, was sie wollen. Mir egal.“ Hinter diesem Statement steht kein „bockiger Jugendlicher“, sondern eine positive Einstellung. Denn 80 Prozent der Kommentare seien ja schließlich positiv gewesen. Und außerdem kenne er die Menschen, die da kommentiert haben, ja nicht persönlich.
Kommentare werden anders gewertet - unpersönlicher
Die Schüler werten die Kommentare der wildfremden und mit Fakenamen betitelten Accounts anders. Nehmen sie offensichtlich nicht so ernst, als stünde eine oder einer dieser Kommentatorinnen oder Kommentatoren direkt vor ihnen. „Schlimmer wäre es, wenn meine Mutter oder meine Familie beleidigt würden“, sagt einer der Schüler.
„Ein paar Kommentare haben wir dann auch auf die Rechtschreibung hin überprüft“, sagt Claudia Brozio, „da sind den Schülern natürlich auch viele Fehler aufgefallen.“ Letztendlich nehmen sie die Kommentare auch nicht mehr so ernst. Beispielsweise ebensolche, in denen sich über die Schulform lustig gemacht und diese sogar herabgewertet wird. „Von wem kommen solche Kommentare?“, analysiert das Kollegium der Ruth-Cohn-Schule mit den Schülern.
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Letztendlich jedoch sind ihnen die negativen Kommentare völlig egal, während sie sich über die positiven Kommentare freuen - und noch etwas Erfreuliches hat sich aus diesem Video ergeben: Es gehen sogar Bestellungen für das Pferdespielzeug ein. „Wir haben jetzt viel zu tun“, sagt Claudia Brozio und lacht. Gemeint ist die nunmehr zusätzliche Administration der Kommentare, aber auch das Interesse an dem Pferdespielzeug. Denn die Schüler werden im Wahlpflichtunterricht nun auch noch ein bisschen zu tun haben.