Arnsberg. Teamarbeit in Arnsberg: 13 Frauen und Männer knüpfen Tarnnetze für Soldaten in der Ukraine. Nadja (73) ist eine von ihnen. So geht´s ihr hier.

„Alle sind dort gestorben - also möchte ich das auch dort“, sagt Nadja. Gemeint ist die Ukraine. Ihre Heimat. Die 73-Jährige ist eine von vielen Menschen, die am 6. März vergangenen Jahres vom Hilfskonvoi nach Arnsberg gebracht wurden. Gemeinsam mit ihrer Schwiegertochter und ihrer Enkelin. Ihr Sohn, heute 51 Jahre alt, musste in der Ukraine bleiben. Durfte nicht weg.

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Damals trug sie gerade einmal eine Handtasche bei sich. Denn alles musste ganz schnell gehen - von Charkiw nach Lwiw, und von dort aus weiter, zuletzt nach Arnsberg. Heute, knapp ein Jahr später, ist sie dankbar dafür - und doch wünscht sie sich nichts mehr, als zurück in die Ukraine zu können.

„Wenn´s vorbei ist, gehe ich nach Hause.“ Hoffnung spricht aus ihrem Mund - ihre Augen jedoch teilen Schmerz. Vielleicht, sofern ihre Wohnung dann noch existiert, geht das. Heute, so weiß sie, sind ihre vier Wände noch da. Was morgen ist, weiß niemand.

Nadja ist fast täglich im Mehrgenerationenhaus, um die Tarnnetze zu knüpfen. Die Arbeit entlockt ihr auch ein sachtes Lächeln.
Nadja ist fast täglich im Mehrgenerationenhaus, um die Tarnnetze zu knüpfen. Die Arbeit entlockt ihr auch ein sachtes Lächeln. © Thora Meißner

Fingerfertig und gezielt knüpft sie ein Bändchen nach dem anderen an das aufgespannte Netz. Die Gespräche um sie herum scheinen sie nicht zu interessieren - sie knüpft, knüpft und knüpft. „Ich möchte aktiv bleiben - helfen, wo ich kann“, sagt sie. Und das tut sie.

Denn sie ist eine von 13 Frauen und Männern, die sich Tag für Tag im Mehrgenerationenhaus in Arnsberg treffen, um gemeinsam Tarnnetze für die ukrainischen Soldaten zu knüpfen. Bereits vor den Winterferien 2022/2023 starteten die Planungen für diese Aktion - initiiert durch Galina, die diesmal nicht dabei sein kann. Sie und ihr Team kauften Stoffe, Netze und einige Holzpfosten, aus denen die Männer dann ein Gestell bauten, um das Netz darüber zu spannen.

Lebensaufgabe in Arnsberg, für jetzt

„Das tun die Frauen in Kiew auch“, erzählen sie, „wir möchten irgendetwas tun, nicht nur untätig hier herumsitzen.“ Es sind weiße Tarnnetze, denn aktuell ist Winter in der Ukraine. Im Frühling jedoch, soweit denkt das Team bereits, sollen auch Netze in üblichen Tarnfarben geknüpft werden - auch wenn die Hoffnung natürlich darauf liegt, dass der Krieg bis dahin vorbei ist.

Das Knüpfen der Tarnnetze ist eine echte Lebensaufgabe, zumindest für jetzt. Auch für Nadja. „Ich habe immer gearbeitet - bis ich 70 Jahre alt war“, sagt sie, „in der Fabrik, als Kassiererin - und auch nebenbei noch in der Rente.“

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Doch diese Zeiten sind vorbei. Denn auch, wenn es ihr tatsächlich gelänge, ihren Lebensabend in ihrer Heimat zu verbringen, so weiß sie: Nichts wird sein wie vorher. „Wir müssen dann alles neu machen - die Häuser und alles.“ Ihre Schwiegertochter scheint dies ebenfalls zu ahnen. Sie möchte in Deutschland bleiben - und ihren Mann, Nadjas Sohn, nach Deutschland holen. Nadja verkneift sich eine Träne: „Aber ich will zurück!“

Sprachvorkenntnisse helfen beim Deutschlernen

Als sie damals in den Bus nach Arnsberg einstieg, wusste sie noch nicht, wohin er sie bringt. „Das war mir auch egal“, sagt sie, „Hauptsache in Sicherheit.“ Alles sei sehr gut organisiert gewesen - man habe ihr in Arnsberg Kleidung, Nahrung und eine medizinische Versorgung gegeben. Ihre Leber sei kaputt.

Einmal in der Woche besucht sie einen Deutschkurs „am Nordring“. Trotz ihres hohen Alters scheint sie nicht allzu große Probleme mit der Sprache zu haben. „Ich habe früher in der Schule auch Deutsch gelernt“, erzählt sie stolz, „zwar keine Praxis, aber deshalb fällt es mir nicht ganz so schwer.“ Am schwierigsten, hier in Deutschland, fiele ihr eher das Abhören der Nachrichten. Nachrichten aus der Ukraine. Nachrichten über die Ukraine. “Das ist das Schwierigste“, sagt sie und richtet ihren Blick ins Nichts.

Nadja knüpft weiter. Ein sachtes Lächeln liegt auf ihren Lippen. Es scheint sie glücklich zu machen, etwas für die Soldaten in ihrer Heimat zu tun, die Tag für Tag ihr Leben riskieren, um die Ukraine zu verteidigen. Und es scheint ihr Kraft zu geben. Kraft, weiterzumachen. Kraft, um trotz ihres hohen Alters den Lebensmut nicht zu verlieren.

Gemalte Bilder der Kinder motiviert Soldaten

Schon bald sind fünf Netze fertig. Für sie geht es dann ins Kriegsgebiet. Gemeinsam mit Bildern, die die ukrainischen Kinder gemalt haben. Auf den Bildern sind ukrainische Flaggen zu sehen, auch Herzen. Und motivierende Botschaften. „Diese Bilder machen den Soldaten Mut. Motivieren“, sagen die Frauen.

Die Frauen und Männer versuchen, sich ihre Laune nicht verderben zu lassen, auch wenn der Krieg in der Ukraine es ihnen nicht leicht macht.
Die Frauen und Männer versuchen, sich ihre Laune nicht verderben zu lassen, auch wenn der Krieg in der Ukraine es ihnen nicht leicht macht. © Thora Meißner

Ein Ehrenamtler wird die Tarnnetze und Bilder in die Ukraine bringen - an einen der zahlreichen „Checkpoints“. Weiter geht es nicht - zu gefährlich. Die Soldaten kämen dann zu den Stützpunkten, um das Material abzuholen. Schon einmal sei das so gelaufen - das Team hätte sogar eine SMS der Soldaten erhalten, zum Dank.

Zukunftsperspektiven? Offen.

Auch Nadja und die anderen Frauen sind dankbar. Dankbar, dass sie in Arnsberg so freundlich und herzlich aufgenommen wurden. Dankbar, dass so viele Menschen sie im Alltag unterstützen. Dankbar, dass sie im Mehrgenerationenhaus ihre Tarnnetze knüpfen dürfen. Dankbar, dass sie noch leben - trotz des schlechten Gefühls gegenüber denjenigen Menschen, die aktuell in der Ukraine um ihr Überleben kämpfen.

Galina, die Initiatorin des Knüpfprojektes, ist diesmal leider nicht anwesend. Jede und jeder der 13 Frauen und Männer helfen, wann immer sie können.
Galina, die Initiatorin des Knüpfprojektes, ist diesmal leider nicht anwesend. Jede und jeder der 13 Frauen und Männer helfen, wann immer sie können. © Thora Meißner

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