Was bringen Flaggen, Demos und orangene Sitzbänke in Arnsberg gegen Gewalt an Frauen, wenn diese Zeichen nur zwei Wochen greifen? Ein Kommentar:

Sonntagmorgen. Die ersten Sonnenstrahlen erschleichen sich den Weg durch die Jalousien. Ein Mann setzt sich auf die Bettkante eines jungen Mädchens. Der Freund der Mutter. Nervös dreht er an seiner Bierflasche. Senkt seinen Kopf. Alles sei nicht so gewollt gewesen – aus Versehen geschehen. Es passiere nie wieder. Was genau meint er? Die Mutter kommt herein. Keine klaren Augen, wie sonst um diese Tageszeit. Nicht glasig, wie am Abend zuvor. Sie sehen eher aus wie die eines Boxers. Eines gescheiterten Boxers. Dunkelblau unterlegt, geschwollen. Leer. Ebenso wie ihr Blick. Das Mädchen schweigt, erzählt es niemanden – um ihrer Mutter Willen. Aus Scham. Aus Angst vor dem, was dann passiert.

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Dreißig Jahre später stehen drei orangene Sitzbänke mit der Nummer des Hilfetelefons im Stadtgebiet Arnsberg; seit dem 25. November sollen Roll-ups, Demos und „orangenes Licht“ im Rahmen der jährlich stattfindenden Aktion „Orange your City“ auf Gewalt an Frauen aufmerksam machen. Gehisste „Terre de femmes-Flaggen“, die Beteiligung an der Mitmachaktion #schweigenbrechen über Social Media, Online-Diskussionen – all dies soll bis zum 10. Dezember das Augenmerk der Menschen auf eben diese, im Übrigen seit Jahrzehnten bekannte, häusliche Gewalt an Frauen legen.

Gewalt an Frauen aus der Tabuzone holen

Die Tabuzone scheint zu bröckeln, wenn auch langsam. Beratungsangebote des Vereins Frauen helfen Frauen e.V. und dem dazugehörigen Frauenhaus unterstützen direkt Betroffene und Kinder – von der Beratung bis hin zum Handeln. Top! Etliche Menschen setzen Zeichen, auf Demos, im Internet – im orangenen Schaufenster.

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Es scheint, als habe sich das gesellschaftliche Problem auch endlich in die Mitte derselben manövriert – gefühlt aber nur zwei Wochen im Jahr, eben vom „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“, bis zur Fokussierung der Gedankenwelt auf das bevorstehende Weihnachtsfest. Das hilft weder, die Kindheitssplitter des Mädchens wegzufegen, noch die der aktuell Betroffenen zu vermeiden.

Taten statt Worte

Es braucht Taten statt Worte: Aus Ideen zwecks Resilienzförderung müssen echte Aktionen werden; aus politischen Statements handfeste Handlungskonzepte; aus einem grobem Überschlag eine konkrete Kosteneinplanung. Das ganze Jahr über – nicht nur für zwei Wochen. Mädchen, die zu Frauen werden, müssen bereits in frühen Jahren sensibilisiert, aufgeklärt und vor allem in ihrer Resilienz gestärkt werden – nicht durch „Abendkurse und -veranstaltungen“, zu denen sie oft nicht gehen und die ihnen zudem keinen „sicheren Raum“ bieten.

Was sonst? Die Mädchen müssen regelmäßig aus ihrer „Bubble“ abgeholt werden, da, wo sie sich aufhalten. In Schulen, Jugendzentren und Co. – durch Erfahrungsberichte, kreative Aufkläraktionen und Beratungen. Damit aus einem „auch in diesem Jahr wieder“ endlich ein „immer“ wird. Vor allem aber, damit es in dreißig Jahren keine Kindheitssplitter mehr wegzufegen gibt!