Arnsberg. Zunehmende Zahl von Abmeldungen von Stationen vor Ort bringt auch Krankentransportwesen ans Limit. Das sind die Gründe und Probleme.
Das medizinische Versorgungssystem im Hochsauerlandkreis in Arnsberg stößt an Grenzen. Sowohl behandelnde und einweisende niedergelassene Hausärzte als auch Rettungsdienste schlagen Alarm, weil die Versorgung vor Ort in Krankenhäusern aufgrund von Stationsabmeldungen der Kliniken oft nicht gewährleistet ist. Die Folge: Patienten können nicht aufgenommen werden oder aber müssen in Häuser außerhalb des Kreisgebietes gefahren werden.
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„Aktuell ist der Rettungsdienst und Krankentransport absolut am Limit“, sagte kürzlich Dr. Marcel Kaiser, Geschäftsführer vom Arnsberger Rettungsdienst Hagelstein, auf Nachfrage unserer Redaktion, „wir machen uns große Sorgen über die angespannte Situation“. Die Gründe liegen aus seiner Sicht bei der deutlich gestiegenen Anzahl an Transporten, Personalknappheit im Rettungsdienst und eben auch „der Abmeldung von Kliniken mit dadurch deutlich längeren Anfahrtswegen“, was die begrenzten Ressourcen der Rettungsdienste zeitintensiv binde.
Bis 200 Abmeldungen pro Jahr
„Abmelden“ bedeutet, dass die Krankenhäuser der Rettungsleitstelle des Kreises über ein elektronisches Meldesystem eine zeitweilige Vollauslastung der Intensivkapazitäten melden. „So etwas ist grundsätzlich nicht außergewöhnlich“, sagt Richard Bornkeßel, Sprecher des Klinikums Hochsauerland. Bislang lag die Zahl der Abmeldungen seines Hauses durchschnittlich bei 150 bis 200 im Jahr. Aufgrund der im Pandemieverlauf geänderter Meldevorgaben, die nun auch eine Teilabmeldung einzelner Stationsteile wie zum Beispiel nur Beatmungsplätze ermöglichen, sei „die nominelle Gesamtzahl der Abmeldungen im Klinikum zuletzt deutlich angestiegen“.
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Und wann meldete eine Station im Klinikum ab? „Das erfolgt, wenn die Bettenkapazität der jeweiligen Fachabteilung oder Station ausgeschöpft ist“, so Bornkeßel. Die Entscheidung zur Abmeldung werde vom jeweils leitenden Chef- oder Oberarzt getroffen. Der Workflow dazu ist im Klinikum klar definiert: „Abmeldungen können pro Standort nur von einer Stelle vorgenommen werden“, so Bornkeßel. Bei Abmeldungen von Fachabteilungen erfolge vorab eine Abstimmung mit artverwandten Fachabteilungen anderer Klinikum-Standorte, die dann nach Möglichkeit die Versorgung übernehmen sollen.
Engpässe im Klinikum
In jüngerer Vergangenheit hatte es im Klinikum immer wieder auch diese Engpässe gegeben. Viele Patienten und Notfälle mit intensivmedizinischen Behandlungsbedarf hätten für Vollbelegung gesorgt. „Neue krankheits- und quarantänebedingte Personalausfälle haben die Situation zwischenzeitlich ebenfalls belastet“, gibt Bornkeßel zu. Er schildert, dass diese Situation sehr dynamisch sein kann.
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Betroffen ist nicht nur das Klinikum. „Abmeldungen von Versorgungseinrichtungen und Transporte in entferntere Kliniken kommen vor. Für den Rettungsdienst führt dies vermehrt zu längeren Transportwegen“, bestätigt auch HSK-Sprecher Martin Reuther mit Blick auf die Statistik, „der Großteil der Abmeldungen bezieht sich auf konservative Intensivplätze und Infektionsstationen.“ Es gäbe aber kreisweit in allen Krankenhäusern Versorgungseinrichtungen, die über das ganze Jahr nicht einmal abgemeldet wurden, wie zum Beispiel Schockräume für Schwerverletzte, Kreißsäle oder Spezialstationen mit Herz-/Lungenmaschinen. „Auch zentrale Notaufnahmen, Herzkatheterstationen, Schlaganfallaufnahmen und Kinderstationen werden so gut wie nie abgemeldet“, teilt der Hochsauerlandkreis mit.
Dem Klinikum Hochsauerland mit Standorten in Neheim, Hüsten, Arnsberg und Meschede ist das Problem durchaus bewusst. „Die Versorgungskapazitäten in der Intensivmedizin liegen kreisweit deutlich unter dem Bedarf“, so Richard Bornkeßel. Mit der Eröffnung des großen Notfall- und Intensivzentrums in Hüsten Mitte 2023 und der Zusammenführung der bisherigen Intensivstationen der drei Arnsberger Standorte zu einer neuen großen interdisziplinären Intensivstation mit bis zu 51 Betten sowie der Fortsetzung des Ausbaus der Pflegeteams soll die Lage optimiert werden. Bornkeßel: „Damit will das Klinikum Hochsauerland dazu beitragen, die bestehende kreisweite Unterversorgung in der Notfall und Intensivmedizin zu beheben.“
Dr. Decker besorgt
Besorgt zeigt sich auch Heiner Decker, Arnsberger Bezirks-Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. „Der derzeit bundesweit hohe Krankenstand verursacht sowohl in den Arztpraxen und Krankenhäusern zunehmende Personalausfälle, die Einfluss auf die Patientenversorgung nehmen“, sagt der Hüstener. Mit dezimierter Mitarbeiterzahl könne nicht überall die Vollbelegung der Stationen und Pflegeheime sichergestellt werden. „In Verbindung mit erhöhter Einweisungsquote unter Corona-Bedingungen hat dies in den zurückliegenden Wochen oft zu Überlastungen geführt, so dass sich bestimmte Stationen aufgrund erschöpfter Kapazitäten abmelden mussten“, so Dr. Heiner Decker, „diese Tendenz gibt Anlass zur Sorge und besonderen Wachsamkeit, da die typischen Erkältungswellen des Herbstes und Winters erst noch vor uns liegen“.
Er fürchtet, dass ähnlich wie in der frühen Pandemiephase 2020 voraussichtlich elektive (langfristig geplante) stationäre Aufnahmetermine teilweise ausgesetzt werden müssten, um die sonst bedrohte Notfallaufnahme von Schwerkranken unbedingt zu gewährleisten. „Eine enge und vertrauensvolle Abstimmung zwischen den Ärzten in Krankenhaus und Praxis ist deswegen frühzeitig erforderlich.“