Brilon. . Die Handwerksbetriebe in Südwestfalen haben seit Jahren Nachwuchsprobleme. Beflügelt durch Erfolgsmeldungen aus dem Polizeidienst wirbt die Handwerkskammer Arnsberg seit Anfang 2013 gezielt Nachwuchskräfte mit ausländischen Wurzeln.
Turgay Tirasoglu ist ein echter Sauerländer Junge. „Voll integriert“, weiß der 72 Jahre alte Karl-Heinz Eckhoff über den Dachdecker der Firma Prange zu berichten. Widerspruch sucht man in den Werkshallen des Briloner Unternehmens vergebens. Ganz im Gegenteil. Seine Kollegen, sein Chef halten viel von dem 39 Jahre alten Handwerker mit türkischen Wurzeln. „Und von dieser Sorte brauchen wir mehr“, ergänzt Eckhoff, Ur-Sauerländer und Subunternehmer im Betrieb.
Die Handwerkskammer Südwestfalen hört so etwas gern. Sie setzt angesichts der Nachwuchsprobleme auf Deutschtürken wie Turgay Tirasoglu. Beflügelt durch Erfolgsmeldungen im Polizeidienst, wird seit Anfang des Jahres in den Schulen um junge Migranten geworben.
Schon früh stand für Turgay Tirasoglu fest, Dachdecker zu werden. Er erzählt von seiner Kindheit in einem Dorf nahe Adana, einer Stadt am Mittelmeer, die im Südosten der Türkei liegt. Dort, so berichtet er, habe Regen immer wieder die Lehmdächer aufgeweicht. „Es tropfte in die Wohnungen. Die angespannten Gesichter der Älteren kann ich nicht vergessen.“
Das kannst du halten wie ein ...
Seit 1984 lebt Tirasoglu im Sauerland, seit 1992 arbeitet er für die Firma Prange. Sein Können an Dachdeckerbeil und Schieferhammer wird ebenso anerkannt wie seine traumwandlerische Sicherheit auf Steildächern oder seine Zuarbeit in der Werkshalle.
Heute bezeichnet sich Tirasoglu stolz als „deutscher Handwerker“. „Ich möchte Türken nicht zu nahe treten, aber hier in Brilon habe ich selbstständiges, qualitätsorientiertes Arbeiten gelernt.“ Seine Zunft sei sein Zuhause. Und darin kenne er sich aus. Auch auf „historisch-theoretischer Ebene“: Obwohl Sauerkraut und Pumpernickel nach wie vor nicht zu seinen Lieblingsspeisen gehören, weiß er, woher die Redewendung „Das kannst du halten wie ein Dachdecker“ kommt. „Früher“, erklärt der Deutschtürke, „hat sich kein Bauherr auf das Dach getraut, um unsere Arbeit zu kontrollieren.“
Der Weg zum „glücklichen deutschen Handwerker“, so Tirasoglu, sei nicht einfach gewesen. Seine Eltern, die 1970 als Gastarbeiter ins Sauerland gezogen seien, hätten keine leichte Zeit gehabt. „Eben ein Leben zwischen den Kulturen.“ Als „Initialzündung“ für seinen beruflichen Werdegang bezeichnet er den Schulausflug zum Tag der offen Tür der heimischen Handwerksbetriebe. „Da war ich 14 Jahre alt.“ Es folgten Ferienjobs. Mit 17 gab ihm Heiner Prange eine Chance. Loyal präsentiert sich denn auch der Deutschtürke, der Mitarbeiter und „seine Chefs“ als Freunde und Familie bezeichnet.
Kein Integrationsmärchen
Hubert, Sebastian, Alexander, Manfred, Turgay - seit 21 Jahren ist der 39 Jährige als einer von 16 Dachdeckern für die Briloner Firma in ganz Deutschland im Einsatz. 90 Prozent der Schieferdächer in der Briloner Innenstadt sind das Werk des mittelständischen Unternehmens, aus dem Tirasoglu kaum wegzudenken ist. Und an vielen Häusern hat der Deutschtürke mit Hand angelegt.
„Es ist ein ganz besonderer Arbeitsplatz“, sagt Tirasoglu. Aber auch dem Himmel so nah, bleibt er bescheiden: „Ob am Boden oder auf dem Dach, ich mach’ nur meinen Job“, sagt er akzentfrei in gutem Deutsch. Natürlich genieße er die Aussicht an sonnigen Tagen, Sicherheit und gute Arbeit hätten aber Vorrang.
Der Dachdecker, verheiratet, Vater zweier Kinder, wird beim Gang über den Briloner Marktplatz freundlich gegrüßt. Er sei zufrieden, freue sich über 30 Tage Urlaub im Jahr, über 1800 Euro Netto, die nach allen Abzügen übrig blieben. Das Projekt der Handwerkskammer bezeichnet er als „den richtigen Weg“. Zwischen Handwerksbetrieben und Migranten, vor allem türkischer Herkunft, gebe es immer noch Berührungsängste. Sacharbeiter wie der von der Kammer eingesetzte Mesut Özen könnten dem entgegenwirken.
An Integrationsmärchen glaubt aber selbst Tirasoglu nicht. Es treffe ihn immer noch hart, wenn er wegen seines südländischen Aussehens Vorurteilen begegne. Aussagen wie „armes Deutschland“ in Bezug auf seine Tätigkeit kontert er mit freundlicher Zuvorkommenheit und konzentrierter Arbeit.
Heimweh verspürt Turgay Tirasoglu nicht. Nur selten überkomme ihn die Sehnsucht nach Sonnenuntergang am Mittelmeer, nach Mandarinen-Duft und dem Geschmack von Honigmelonen. „Heimat“, sagt der Sauerländer mit dem türkisch klingenden Namen trocken, „ist Brilon.“