Marsberg-Westheim. . Franz Müntefering besucht die Streikenden beim Betonfertigteile-Hersteller KMB in Marsberg-Westheim und will sich in Berlin für sie einsetzen. Die alte Aura des Vizekanzlers a.D. wirkt immer noch. Er hat sich bei der IG BAU als Vermittler angeboten, heißt es in Gerüchten aus Gewerkschaftskreisen.
Die Grenze ist unscheinbar. Keine Mauer, kein Zaun, kein Absperrband. Doch sie trennt Welten. Da, wo der Asphalt der öffentlichen Straße in den Klinker der Firmenparkplätze übergeht, beginnt das Reich des Hermann Jakobs (60). Zusammen mit seinen beiden Töchtern ist er Geschäftsführender Gesellschafter des Stahlbetonfertigteile-Herstellers KMB, der es mit seiner Haltung dem Betriebsrat gegenüber auch überregional zu trauriger Berühmtheit gebracht hat.
Wuchtig ragt die Firmenhalle mit den überdimensionalen Buchstaben KMB, von der vorbeiführenden B7 schon von weitem sichtbar, aus dem angrenzenden Stoppelfeld. Weites Land - wilder Osten. Hier scheinen andere Gesetze zu gelten. Die, die das seit Wochen leidvoll erfahren, sind 22 streikende Beschäftigte, die in geringer, aber respektvoller Entfernung zum Werksgelände ihre Stände aufgebaut und ihre Transparente entrollt haben.
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22 sind es noch - von 30, die Mitte Juli angefangen haben. Ein paar sind krank oder im Urlaub, einige haben ein Angebot von einer anderen Baufirma erhalten, erklärt der stellvertretende Regionalleiter der IG BAU, Bodo Matthey. Seinen Worten zufolge hat es keinen Millimeter Bewegung gegeben, der Unternehmer aus Warburg, dem die Marsberger Matthey zufolge Dinge an den Hals wünschen, die nicht druckbar sind, fordert weiterhin den Rücktritt des gesamten Betriebsrates, bevor er über einen Lohn in Höhe des Tarifniveaus auch nur reden will.
Auseinandersetzungen haben Spuren hinterlassen
Die Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen haben Spuren in den Gesichtern der Männer hinterlassen. Müdigkeit und Trotz sind dabei, aber keine Resignation - noch nicht. Denn für heute hat sich Franz Müntefering angesagt. Das sorgt für Spannung. „Wir können jede Form von Öffentlichkeit gebrauchen“, gesteht Betriebsrat Thomas Süß (55). „Denn so wird Druck auf die Geschäftsführung ausgeübt.“ Müntefering, der Sauerländer aus Passion, kann Öffentlichkeit herstellen, auch wenn er als einfacher Bundestagsabgeordneter in Herne lebt.
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Plötzlich ist er da. Unbemerkt von der Polizei wird er in einem roten Fiat-Kleinwagen mit HSK-Kennzeichen vorgefahren. Im dunklen Zwirn mit Krawatte und korrekt gescheitelt wie immer - so, als käme er als Schlichter im Auftrag von Bundeskanzler Schröder. Er hat sich bei der IG BAU angeboten, wispert man in Gewerkschaftskreisen. Die alte Aura wirkt immer noch.
Wird Müntefering in Marsberg zum Arbeiterführer?
Mit einem Mal sind auch Radio und Fernsehen da. Matthey, der Müntefering ironisch „auf Gut Jakobs“ begrüßt, trägt den Sachstand vor, ohne zu dramatisieren. Die öffentlichen Vorwürfe, die harten Fronten, die Angst der Streikenden. Jetzt muss sich Müntefering entscheiden - wird der Agenda-Setter in Marsberg zum Arbeiterführer?
Nein, diese Befürchtung erweist sich als grundlos. „Das ist aus der Zeit gefallen“, entfährt es ihm nur. „Vor 50 Jahren gab es das noch.“ Um danach sofort zu analysieren, was zu tun sei: Den Landesschlichter ansprechen und klären, ob es rechtens sei, einfach kein Geld auszuzahlen. Vor allem aber: ins Gespräch kommen. So wie jetzt. Das kann er. In 20 Minuten ist alles vorbei. Müntefering muss weiter, gibt noch rasch Interviews. Die Gesichter der Streikenden sehen müde aus.