Brilon/Winterberg. Für Bagatelldelikte muss ein 19-jähriger Winterberger fast zwei Monate in Untersuchungshaft. Doch die Zeit im Gefängnis war nicht umsonst.
Immer wieder blickt der junge Mann nervös hinab auf seine Hände, knetet sie auf seinem Schoß. Neben seinem Rechtsbeistand Oliver Brock wirkt der 19-Jährige schmächtig, wie er da zusammengekauert auf der Anklagebank des Briloner Amtsgerichtes sitzt. Fast zwei Monate Untersuchungshaft hat der Winterberger hinter sich: Er war nicht zu einem angesetzten Verhandlungstermin erschienen und musste deshalb in Sicherungshaft. Die Taten, die ihm zur Last gelegt und vor dem Schöffengericht in Brilon verhandelt werden, wirken eher wie Bagatellen, wie die unbedachten Handlungen eines Jugendlichen, der langsam auf die schiefe Bahn gerät.
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Ihm wird von der Staatsanwaltschaft Unterschlagung vorgeworfen: Er habe im Frühling 2023 bei einer Zugfahrt eine Brieftasche mit persönlichen Ausweisdokumenten gefunden und diese behalten, statt sie bei nächster Gelegenheit dem zuständigen Bahnhofspersonal zu übergeben. Außerdem soll er eine minderjährige Bekannte zum Diebstahl angestiftet haben: Das Mädchen habe eine Bierflasche im Wert von 1,40 Euro in einem Supermarkt in Dortmund stehlen sollen. Der dritte Tatvorwurf gegen den heute 19-Jährigen bezieht sich auf Trunkenheit am Steuer: Er soll unter dem Einfluss von Drogen mit dem Fahrrad im Winterberger Verkehr unterwegs gewesen sein und mit seiner auffälligen Fahrweise sich und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet haben.
Winterberger gesteht Unterschlagung und Trunkenheit am Steuer
Vor Gericht zeigt sich der junge Winterberger reuevoll und geständig. Er räumt die Unterschlagung des Portemonnaies ein, ebenso das Radfahren unter Betäubungsmitteleinfluss. Er habe zu dem Zeitpunkt ein Drogenproblem gehabt und häufig THC und andere Substanzen konsumiert. Lediglich den Vorwurf über die Anstiftung einer Minderjährigen zum Diebstahl weist er von sich: Er könne sich nicht daran erinnern, jemals mit dem Mädchen zusammen in dem Supermarkt gewesen zu sein. Da das Mädchen selbst als Zeugin nicht vom Amtsgericht Brilon ausfindig gemacht werden konnte, wird der Anklagepunkt fallen gelassen.
Ein Problem ist die Vergangenheit des 19-Jährigen, der bereits als Jugendlicher mehrfach strafrechtlich aufgefallen ist: wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und versuchter Erpressung in mehreren Fällen sowie dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln hatte er bereits mehrere Jugendstrafen erhalten, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Dass seine jüngsten Vergehen, die nun vor Gericht verhandelt werden, in einen noch laufenden Bewährungszeitraum fielen, wirke im Prozess nun strafverschärfend, wie Richter Dietmar Härtel erklärt. Doch die Geständigkeit des jungen Mannes und die Reue, die er in seiner Ansprache vor dem Schöffengericht beteuert, mildern die Härte. Vor allem Zeit, die der 19-Jährige seit Ende Januar in Haft verbracht hat, habe ihn nachhaltig geprägt: „Ich hatte viel Zeit, um über mein Leben nachzudenken“. Die Drogen hätten ihn schlecht beeinflusst, er wolle davon loskommen und eine Therapie machen. „Ich möchte meine Mutter stolz machen“ - er blickt auf die blonde Frau, die angespannt neben der Großmutter im Zuschauerraum des Amtsgerichts sitzt. „Ich will mein Leben in den Griff bekommen.“
Dank seiner Untersuchungshaft entgeht der 19-Jährige weiteren Strafen
Vier Wochen Arrest fordert die Staatsanwaltschaft als Strafe, aus erzieherischen Gründen. Diese sei mit der Zeit, die der Angeklagte bereits in Sicherungshaft verbracht hat, abgegolten. Dem stimmen auch der Richter Dietmar Härtel, Anwalt Oliver Brock und die beiden Schöffen zu. „Der Angeklagte hat seine Lektion gelernt“, so der Richter. Mit nahezu filmreifen Worten schließt er die Urteilsverkündung ab: „Sie verlassen den Gerichtssaal als freier Mann.“ Darauf fließen Freudentränen, die Mutter des Winterbergers atmet erleichtert auf.
Dass es am Ende die zwei Monate Untersuchungshaft waren, die dem 19-Jährigen nun zur Straffreiheit verholfen haben, findet Oliver Brock ironisch. Denn diese habe der junge Mann gar nicht selbst verschuldet, wie der Rechtsanwalt nach Verhandlungsende verrät. Ob es nun ein Missverständnis war oder schlichtweg eine Fehlinformation - der Grund dafür, dass der Angeklagte den früheren Verhandlungstermin verpasste und dafür in Sicherheitshaft kam, liege bei dessen damaligem Anwalt. „Der hat dem Angeklagten gesagt, dass er bei dem Termin nicht persönlich anwesend sein müsse“, erklärt Oliver Brock, der die Betreuung des Falls daraufhin übernahm. Ob die Familie des jungen Mannes nun, da der Prozess überstanden ist, noch gegen den früheren Rechtsbeistand klagen möchte, ist unklar. Jedenfalls habe die Geschichte jetzt ein gutes Ende, wie Oliver Brock erleichtert feststellt. Es sei die Zeit in Haft gewesen, die den Angeklagten so sehr beeindruckt habe, dass er für seine Zukunft einen anderen Weg einschlagen will. Und es sei die Haft gewesen, die ihm am Ende eine weitere Strafe erspart hat. „Manchmal kommen die Dinge so zusammen.“