Hochsauerlandkreis. Die erste Bilanz der Apotheken für das E-Rezept im HSK ist durchwachsen: Verzögerungen, Wartezeiten und Verunsicherung bei Patienten.

Seit Jahresbeginn ist die Zahl der E-Rezepte, die in Praxen ausgestellt werden, rasant gestiegen. Jedes zweite Rezept werde im Durchschnitt elektronisch ausgestellt, heißt es in einer Pressemitteilung des Apothekerverbands Westfalen-Lippe e.V. (AVWL). Seitdem sich immer mehr Ärzte dem System anschließen, treten jedoch auch immer mehr Probleme in den Vordergrund.

Diese stellen vor allem die Apotheken auf eine Belastungsprobe, wie Sandra Dietrich-Siebert erklärt. Sie ist Vorsitzende der AVWL-Bezirksgruppe Hochsauerland und Inhaberin der Adler-Apotheke in der Briloner Innenstadt. Was die technische Infrastruktur beim Thema E-Rezept betrifft, seien die Apotheken gut aufgestellt. „In Brilon sind aktuell etwa 70 Prozent der Rezepte, die ausgestellt werden, E-Rezepte“, erklärt Sandra Dietrich-Siebert.

Patienten kommen oft vor dem E-Rezept in die Praxis

Mit dem Anschluss von immer mehr Arztpraxen an das System träten jedoch auch immer öfter Probleme auf, nicht nur hier in Brilon. „Das häufigste Problem gibt es bei der Signierung“, so die Apothekerin. Oft komme es vor, dass die Patienten schon in der Apotheke erscheinen, bevor das E-Rezept vorliegt, sodass die Mitarbeiter nicht darauf zugreifen können. Während die Patienten häufig direkt nach dem Arztbesuch in die Apotheke kämen, würden viele Ärzte das Signieren der Verordnungen erst am Ende eines Praxistags gebündelt vornehmen. „Gerade bei uns im ländlichen Raum ist das ein Problem, denn die Wege bis zur Arztpraxis und zur Apotheke sind für Patienten häufig weit“, erläutert Sandra Dietrich-Siebert. Es sei dann besonders ärgerlich, wenn diese Patienten in die Apotheke kämen und die Rezepte nicht vorlägen: „Das ist für uns in der Apotheke dann auch schwer vermittelbar.“ Damit derartige Verzögerungen vermieden werden, gebe es für die Praxen die Option einer Komfortsignatur, mit der die E-Rezepte direkt freigeschaltet werden können. „Die technischen Möglichkeiten sind gegeben.“

Weiter gebe es bei den Patienten auch viel Verunsicherung im Hinblick auf das E-Rezept. „Keine Einsicht mehr in die Verordnungen des Arztes zu haben und nicht kontrollieren zu können, was auf dem Rezept steht - damit fühlten sich viele Patienten erst einmal unwohl.“ Das Resultat sei ein gestiegenes Beratungsbedürfnis bei Kunden, das auch Sandra Dietrich-Siebert und ihr Team in der Adler-Apotheke spüren: „Pro E-Rezept haben wir aktuell fast fünf Minuten Mehraufwand.“ Erläuterungen zum Rezept und zu der dazugehörigen App, zu Freischaltung und Pin - die Belastung für die Mitarbeiter in Apotheken sei insgesamt gestiegen, mehr Flexibilität sei gefordert. Die Stimmung im Team der Adler-Apotheke sei aber dennoch gut, erklärt die Inhaberin: „Wir sind gut darauf vorbereitet und es ist absolut machbar. Außerdem wird es nach und nach immer besser.“ Das E-Rezept-System sei eben Teil der digitalen Transformation, und die brauche nun mal Zeit: „Wir wollen dazu unseren Beitrag leisten.“

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Große Sorge der Apotheken vor Regressen

Die größte Sorge bereite den Apotheken aktuell jedoch der fehlende Schutz vor Regressen, die von den Krankenkassen in Anspruch genommen werden können. Aktuell sei es technisch möglich, dass von Ärzten Rezepte elektronisch gespeichert würden, die formale Fehler aufwiesen. Für die Apotheken gebe es da kaum Möglichkeiten zur Kontrolle. Krankenkassen könnten bei solchen fehlerhaften Rezepten jedoch die Apotheken haften lassen. „Für die Apotheke bedeutet der Regress ein Verlustgeschäft“, erklärt Sandra Dietrich-Siebert. So können die Krankenkassen beispielsweise bei einem 4000 Euro teuren Medikament den übernommenen Betrag auf null Euro kürzen, wenn ein formal fehlerhaftes Rezept vorliege. Die Apotheken trügen jedoch keine Schuld an den Formfehlern: „Es kann in meinen Augen nicht sein, dass Apotheken für unverschuldete Fehler in Regress genommen werden. Das ist unfair.“ Die Gesetzgebung weise dahingehend große Lücken auf. Deshalb müsse schnell ein Weg gefunden werden, um die Apotheken vor diesen Regressen zu schützen, so Sandra Dietrich-Siebert: „Wir wünschen uns da eine Friedenspflicht für Krankenkassen bis zum Ende des jeweiligen Jahres. In der Zeit können solche Fehler aufgearbeitet werden.“

Grundsätzlich sieht die Apothekerin in dem E-Rezept jedoch einen Schritt in die richtige Richtung und für die Patienten eine große Chance: „Es vereinfacht vieles und bietet langfristige Vorteile.“ Die Kommunikation im Gesundheitswesen könne dadurch direkter werden, verschiedene Bereiche seien unmittelbarer vernetzt. So sei es z. B. für Folgerezepte nicht mehr zwingend nötig, dass Patienten in einem laufenden Quartal nochmals ihre Gesundheitskarte in der Arztpraxis vorlegen müssen. Die Übermittlung der Rezepte könne in vielen Fällen kontaktlos nach einer Videosprechstunde erfolgen. Durch das E-Rezept und die elektronische Patientenakte werde die Versorgung der Patienten auf lange Sicht verbessert, so Sandra Dietrich-Siebert: „Deshalb müssen diese Startprobleme nun schnell gelöst werden.“