Medebach/Lishui. Die Vereinten Nationen befassen sich weltweit mit dem Thema Leben auf dem Land. Eine Delegation aus Medebach war zur Tagung in China.
Wie lebt es sich in einem kleinen chinesischen Dorf unweit der 2,5-Millionen-Einwohner-Stadt Lishui? Können die Menschen dort zu Hause wohnen und arbeiten? Gibt es Gemeinschaftsprojekte, die von der Basis angestoßen werden? Inwieweit steuert die chinesische Regierung eine Art „Dorfentwicklung“? Und wie beurteilen andere Länder das, was die Dörfer im Sauerland tun, um lebens- und liebenswert zu bleiben?
Viele Fragen, viele Antworten: Auf Einladung der Vereinten Nationen hat eine Delegation aus Medebach an einer wichtigen, weltweiten Tagung der Arbeitsgruppe UN-Habitat in China teilgenommen (wir berichteten). Die Gruppe bestand aus dem Architekten Christoph Hesse (gebürtig aus Referinghausen, mit Büros in Korbach und Berlin), dem Wirtschaftsförderer der Stadt Medebach, Michael Aufmhof, dem Ortsheimatpfleger von Referinghausen, Frans van Hulten und der Architektin Michela Quadrelli, die im Berliner Büro des Architekten arbeitet.
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„Die Atmosphäre war sehr herzlich und gastfreundlich. Wir haben wirklich spannende und interessante Einblicke gewonnen“, bilanziert Christoph Hesse. Nur zum Auftakt und zum Ende habe man das Hauptauditorium mit rund 400 Gästen genutzt. „Die eigentlichen Impulsvorträge wurden ansonsten in Dörfern in der Umgebung gehalten. Eine sehr schöne Idee. Wir haben zum Beispiel unseren ersten Beitrag ,Youth‘ - also über Jugend und Landleben - in einem landwirtschaftlichen Lern- und Gemeinschaftszentrum inmitten von Teefeldern gehalten. Der zweite Vortrag über ,Rural Development‘ – ländliche Entwicklung - fand in einem Kunst- und Begegnungsgebäude in einem Bergdorf statt“, so Hesse.
Viele Projekte von Menschen vor Ort getragen
Sein Eindruck war, dass es in China eine ländliche – vielleicht auch staatlich geförderte - Entwicklungsstrategie gibt, viele Projekte aber dort – wie bei uns - von den Menschen selbst initiiert und getragen werden. „Sehr beeindruckt haben mich die kleinen Kulturzentren in den Dörfern, in denen kreative Workshops stattfinden, Bücher ausgeliehen und gelesen werden und Teekultur zelebriert wird.“ Das Prinzip ist ähnlich wie in Deutschland, wo Büchereien immer mehr zu sogenannten dritten Orten werden – wohingegen diese Idee in China aber auch in kleinsten Dörfern umgesetzt und mit Leben erfüllt wird. Hesse: „Die Menschen dort lesen offenbar sehr viel und lieben die Gemeinschaft. Zudem gab es Museen und andere kulturelle Einrichtungen, selbst in den kleinsten Bergdörfern.“
Honig via E-Commerce
Beeindruckt hat ihn auch ein Internet-Händler, der zum Beispiel mit den Bergbauern zusammenarbeitet, die fantastischen Honig produzieren. „Der Händler verkauft den Honig via E-Commerce auf verschiedenen Online-Plattformen. Er verkauft aber nicht nur das Produkt, sondern auch Geschichten dazu. Das Ganze hat uns an einen Verkaufssender im Fernsehen erinnert; ich glaube, der Mann hatte eine Million Follower.“ Für die chinesischen Bergbauern, die zum Beispiel hauptsächlich Tee anbauen, ist die Honigproduktion ein guter Zusatzverdienst. Ebenso wie ein sanfter Tourismus, der in den Dörfern eine Rolle spielt. „Man hatte nicht das Gefühl, dass die mitunter über tausend Jahre alten Orte ein lebendiges Freilichtmuseum sind.“ Auch dort sei der allgemeine Grundgedanke der UN deutlich geworden, dörfliche Strukturen zu erhalten und das Leben auf dem Land nachhaltig zu ermöglichen und zu fördern.
Christoph Hesse ist davon überzeugt, dass die Zielvorgaben der UN - eine stärkere Verbindung zwischen Stadt und Land insbesondere auf den Ebenen Kultur, Ökologie und Ökonomie zu fördern – aus vielen Blickwinkeln beleuchtet wurde und neue Impulse bekommen hat. „Ich würde rückblickend sagen, dass der Gemeinschaftsgedanke der asiatischen Kulturen noch stärker ausgeprägt ist als bei uns. Seit der Renaissance ist das bei uns schrittweise weniger geworden. Die Idee dieser Bookhouses, also einer Mischung aus Bibliothek, Gemeindezentrum und Kulturzentrum, finde ich sehr faszinierend. Insbesondere wird hier die Kreativität der Kinder und Jugendlichen gefördert.“ Hesse selbst hat ein solches Bookhouse in Xingyang geplant und bei der Reise auch die Baustelle besucht. „Wir haben uns gefreut, wie begeistert die Menschen dort sind und sich auf die Eröffnung freuen. Es ist schön zu sehen, wenn Orte für die Gemeinschaft entstehen.“
Große Investitionen im ländlichen Raum
Auch Wirtschaftsförderer Michael Aufmhof war beeindruckend von den enormen Investitionen, insbesondere im Bereich sogenannter Public-Places (oft kulturelle Gemeinschaftsräume, wie Museen, Bibliotheken). „Aber auch im Bereich der Erschließung des ländlichen Raums zum Beispiel von alten Bergdörfern wird viel und in einem rasanten Tempo in Straßen- und Brückenbau investiert.“ Neben diesen baulichen Maßnahmen in einer Region, die für den klassischen Tee-Anbau mit diversen Aufenthaltsplätzen und Locations steht, ging es aber in den Exkursionen auch um das Thema E-Commerce. „Da ist der Kreis Songyang mit Chinas erfolgreichsten Tick-Tockern wirklich beispielhaft.“
Aufgrund der politischen Verhältnisse müsse man relativieren, dass den Konferenzteilnehmern sicherlich nur das gezeigt worden sei, was man zeigen wollte, so Aufmhof weiter. „Dennoch werden die Erfahrungen auch an der einen oder anderen Stelle in den Arbeitsalltag einfließen. Vieles, was in den Fachvorträgen angesprochen wurde, war allerdings nicht gänzlich neu für uns. Das waren durchaus Themen aus dem Tagesgeschäft, wenn man über ländliche Entwicklung spricht. Die Vorträge mit Beispielen aus dem Sauerland und dem angrenzenden Hessenland sind meines Erachtens aber sehr gut bei den Konferenzteilnehmern angekommen.“ Zudem sei es interessant gewesen, internationale Mitstreiter aus den unterschiedlichen Bereichen kennengelernt zu haben, die auch den Netzwerkgedanken pflegen.
Mehr als nur eine Episode
Waren die Tagung und die Teilnahme der Sauerländer nur eine Episode? Hesse. „Das glaube ich nicht. Neben den offiziellen Programmpunkten haben wir uns mit Leuten aus der ganzen Welt ausgetauscht – aus Ägypten, Kuba, Brasilien, Jordanien. In den südlichen Ländern spielen Fernwärmenetze, wie wir sie am Beispiel von Referinghausen und Titmaringhausen vorgestellt haben, keine Rolle. Aber dort geht es um Wärmepumpen, die ja auch kühlen können. Der künstlerische, gesellschaftliche, kreative Ansatz ist aber allen Regionen, die sich mit dem Thema Landleben beschäftigen, gemein. Und ich glaube, dass wir mit unseren Vorträgen und unserer Präsentation UN-weit durchaus punkten konnten und beeindruckt haben.“
Aufmhof: „Christoph Hesse hat die Gespräche dahingehend weiter angestoßen, dass wir als Orte im Sauerland und Nordhessen eine Modellregion bei der UN-Habitat werden, bzw. hier mit Best-Practise-Beispielen fungieren könnten. Dieser weitere Kommunikationsprozess verbunden mit inhaltlicher Ausarbeitung bleibt gespannt abzuwarten.“