Tina Schwefer leitet kommissarisch die Telefonseelsorge im Hochsauerlandkreis. Sie erzählt offen, was Menschen bewegt, die bei ihr anrufen.

Hochsauerland. Einsamkeit, Depressionen und Ängste sind einige von vielen Themen der Telefonseelsorge. Als Organisation auch für Suizidprävention befasst sie sich mit den unterschiedlichen Sorgen hilfesuchender Menschen. Tina Schwefer, kommissarische Leiterin der Telefonseelsorge des Hochsauerlandkreises in der Diakonie Ruhr-Hellweg, verdeutlicht die gesellschaftliche Bedeutung der Organisation. „Es kann jedem passieren, eine Notlage, eine schwierige Situation, drückende Sorgen und Ängste. Niemand ist da, mit dem man darüber sprechen kann, aber es bleibt das Bedürfnis, sich jemandem anzuvertrauen, sich auszutauschen. Dann sind wir da, oft die erste Annahmestelle oder sogar der einzige Ansprechpartner.“ Auch wenn mittlerweile per Mail, Chat oder in einigen Städten in den Offenen Türen beraten werden kann, bleibt die Beratung am Telefon als Herzstück die schnellste Möglichkeit zur Hilfe.

Krisenintervention in jeglicher Form, eine Art Hilfe zur Selbsthilfe.

Tina Schwefer, kommissarische Leiterin der Telefonseelsorge des Hochsauerlandkreises in der Diakonie Ruhr-Hellweg.
Tina Schwefer, kommissarische Leiterin der Telefonseelsorge des Hochsauerlandkreises in der Diakonie Ruhr-Hellweg. © WP

Doch was bewegt die Menschen zum Anruf? „Sie suchen ein offenes Ohr,“ so Tina Schwefer, „und das haben wir. Wir haben Zeit und hören zu.“ Die Anrufenden haben sehr verschiedene, teils tiefgründige Beweggründe für ihren Anruf. Eine komplexe Aufgabe für die Mitarbeitenden. „Wir nehmen an, schauen, was der Anrufende benötigt, sind aufmerksam, geben menschliche Nähe und Zuwendung. Manchmal kann der Anrufgrund vielschichtiger sein als es anfangs scheint. Wir können Probleme nicht lösen, aber wir können die Anrufenden auf ihrem Weg zur Lösung begleiten. Wir fragen nach Ursachen, Erfahrungen und Möglichkeiten der Veränderung, sodass bestenfalls am Ende des Gespräches Klarheit, ein besseres Gefühl wie z.B. Erleichterung und ein Impuls nach Veränderung da ist.“ Eine Krisenintervention in jeglicher Form, eine Art Hilfe zur Selbsthilfe.

Ausbildung zu Telefonseelsorgenden dauert 15 Monate

Viele Anrufer melden sich in akuten Lebenskrisen, aus denen sie aus eigener Kraft wieder herausfinden. Einige Menschen haben diese Kraft nicht. Sie brauchen häufiger, dauerhaft oder langfristig Hilfe und Unterstützung, sei es durch häufigere Gespräche bei der Telefonseelsorge, kontinuierlichen Kontakt mit Mitarbeitenden oder weitergehende Hilfs- und Beratungsangebote. Die mehr als zwei Millionen Anrufenden jährlich fühlen sich verstanden und gut aufgehoben.

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Und was ist mit suizid-gefährdeten Personen? „Die Ausbildung zu Telefonseelsorgenden dauert 15 Monate, ist intensiv und für jedes Thema wird man sensibilisiert, natürlich auch in der Suizidprävention. Nicht nur der Umgang mit Anrufenden und Gefährdeten, sondern auch die Selbstwahrnehmung wird thematisiert. Nach der Ausbildung werden die Mitarbeitenden in Supervisionen begleitet und in unterschiedlichen Foren weiter geschult“, so Tina Schwefer. „Wir achten sehr auf Aussagen wie ‚Ich will nicht mehr, keine Lust mehr‘, fragen nach, schauen hin.“

Zahl der Suizide seit den 80er Jahren rückläufig

Bei suizidalen Menschen liegen unterschiedliche Beweggründe vor. Finanzielle Probleme, Trennung oder Verlust des Partners, familiäre Schwierigkeiten, Versagensangst, psychische Erkrankungen und dem von der Gesellschaft erschaffenen Erwartungsdruck nicht standhalten zu können sind nur einige Beispiele. „Oft steckt dahinter auch ein Schamgefühl, das Gefühl, für die Gesellschaft und andere nicht auszureichen, nicht genug zu sein. Schamgefühle haben wir alle, aber vielen fällt es schwer, darüber zu sprechen“, erläutert Tina Schwefer.

Zum Glück kommt diese Situation am Telefon seltener vor. Seit den 80er-Jahren halbierte sich sogar die Zahl der Suizide – auch ein Verdienst der Telefonseelsorge. Die Zahl an Beratungsangeboten, Selbsthilfegruppen, Therapiemöglichkeiten ist gestiegen, die Gesellschaft, die Menschen sind offener für Hilfe und Unterstützung geworden, psychische Erkrankungen sind akzeptierter.

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Jener positive gesellschaftliche Wandel spiegele sich in den Anrufen wider. Nicht nur Anrufe mit suizidalem Hintergrund sind zurückgegangen, auch das Klientel hat sich verändert. Immer mehr Männer und auch ältere Personen befassen sich mit ihren Ängsten und nutzen die Möglichkeit, rund um die Uhr einen Gesprächspartner bei der Telefonseelsorge zu erreichen. Auch an Feiertagen, wie Ostern und Weihnachten, kennt das Engagement der Mitarbeitenden keine Grenzen. „Menschen, die einsam sind, sind es auch ohne Ostern oder Weihnachten“, erklärt Tina Schwefer. „Die Einsamkeit wird manchmal verstärkt, wenn z.B. die Kinder an diesen Tagen nicht kommen. Aber die Einsamkeit sitzt tiefer.“

40 Ehrenamtliche bei der Telefonseelsorge Hochsauerland

Jene Themen finden bei den ehrenamtlichen Mitarbeitenden Gehör. Die Ausbildung, Weiterbildung und jahrelange Erfahrung sind die Basis für den Umgang mit dem Gehörten. Die Beendigung des Gespräches ist für die Mitarbeitenden verknüpft mit der Hoffnung, dass der Anrufende durch die gesprochenen Worte klarer sieht, Mut und Hoffnung fasst, Ideen und Impulse für sich gewinnen und eine Veränderung möglich sein kann. „Und manchmal sprechen wir noch ein Gebet“, sagt Schwefer. Für sie stehen aber nicht nur die Anrufenden im Fokus, sondern auch die Mitarbeitenden, mit denen sie im ständigen Austausch steht.

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An 104 Standorten in Deutschland helfen ca. 8000 Mitarbeitende mit Herzblut den Menschen am Telefon, davon 40 Ehrenamtliche bei der Telefonseelsorge Hochsauerland. Im September startet die neue Ausbildungsgruppe.

Interessierte können sich bei Tina Schwefer informieren: tschwefer@diakonie-ruhr-hellweg.de oder 02921-3620-140.