Brilon. Umstritten ist sie lange. Eine Forschung von Dr. Hans-Günther Bracht zeigt nun die Nähe der Heimatdichterin Maria Kahle zur NS-Ideologie.

Die Sauerländische Schriftstellerin Maria Kahle ist wegen ihrer Nähe zum Nationalsozialismus schon in der Vergangenheit in die Kritik geraten. In Olsberg beispielsweise wurde 2013 eine nach ihr benannte Straße in Josef-Rüther-Straße umbenannt. Damals hatte es viele Diskussionen um das Leben und Wirken von Maria Kahle gegeben: Während die einen in ihr eine verdiente Heimatdichterin sahen, kritisierten andere sie als „völkisch rassistische Propagandistin.“ Jetzt hat Dr. Hans-Günther Bracht eine umfangreiche Forschungsdokumentation veröffentlicht: „Maria Kahle – Einblicke in Leben und Wirken einer rechtskatholischen Schriftstellerin.“ Wir haben mit dem Briloner Autor gesprochen.

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Dr. Hans-Günther Bracht aus Brilon hat ein Forschungsdokumentation über Maria Kahle veröffentlicht.
Dr. Hans-Günther Bracht aus Brilon hat ein Forschungsdokumentation über Maria Kahle veröffentlicht. © Jutta Klute | Jutta Klute

Emotionale Reaktionen

Was hat Sie dazu bewogen, sich näher mit dem Leben und Wirken von Maria Kahle zu beschäftigen?

Vor 35 Jahren hatte ich Einblick in das Archiv des Briloner NS-Gegners Josef Rüther erhalten, der sich sehr kritisch zu Maria Kahle geäußert hatte. Das wollte ich überprüfen und habe angefangen, Bücher von Kahle antiquarisch zu sammeln und natürlich zu lesen. Als Maria Kahle dann in der Presseberichterstattung und von Heimatautoren immer wieder gelobt bis verherrlicht wurde, habe ich Bedenken angemeldet. Die öffentliche Reaktion war emotional: Es gab Beleidigungen und auf Belege und Argumente wurde nicht eingegangen. Seitdem forschte ich verstärkt auch über Maria Kahle, denn mein Hobby ist die Lokalgeschichte der Weimarer Republik und der NS-Zeit.

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Eine Postkarte, die der Jungdeutsche Orden, Bruderschaft Nordhausen, vertrieben hat mit einem Zitat von Maria Kahle.
Eine Postkarte, die der Jungdeutsche Orden, Bruderschaft Nordhausen, vertrieben hat mit einem Zitat von Maria Kahle. © Privatsammlung | Privatsammlung

Nationalistisch-völkische Radikalisierung

Können Sie Beispiele nennen, die die Nähe von Maria Kahle zur nationalsozialistischen Ideologie belegen?

Ihre nationalistisch-völkische Radikalisierung begann schon während des ersten Weltkrieges, als bei einem Aufenthalt in Brasilien von 1913 bis 1920 ihre lebenslange Mission für das ‚Auslandsdeutschtum‘ grundgelegt wurde. Nach der Rückkehr aus Südamerika war sie erfolgreiche Vortragsrednerin und Aktivistin des Jungdeutschen Ordens. Seit 1921 stand sie in engem Kontakt mit dem früh zur NSDAP gehörenden Priester Lorenz Pieper. Nach dem Putschversuch der Republikfeinde in München schrieb die Rechtskatholikin mit Blick auf Adolf Hitler: ‚Einst sollst du stolz uns deine Jünger heißen.‘ Ab 1933 erfolgte eine problemlose Integration in die NS-Kulturarbeit. Ende 1939 beantragte M. Kahle die Mitgliedschaft in der NSDAP und stellte sich als Aktivistin in den Dienst der Kriegspropaganda. Nach 1945 verhielten sich die Wahl-Sauerländerin jahrzehntelang so, als wäre nichts geschehen.

Durchhaltekommentare

Und so hatte sie auch nach der NS-Zeit noch eine Anhängerschaft hier im Sauerland?

Ja, aber das Interessante dabei ist, dass man sich nie konkret mit den kritischen Hinweisen auf Kahles Kampf gegen die Weimarer Demokratie und auf ihre Unterstützung des NS-Regimes auseinandergesetzt hat. Man hatte vielleicht Maria Kahle bei Vorträgen in der Nachkriegszeit erlebt, als sie nur gegen die gesellschaftliche Entwicklung opponierte. Man kannte vielleicht einige der eher trivialen Heimatgedichte. Platt gesagt: Man kannte Kahles umfangreiches Werk und Wirken einfach nicht. Allein im NSDAP-Gauorgan „Westfälische Tageszeitung“ habe ich für die Zeit von 1940 bis 1945 31 Gedichte und Prosatexte gefunden - von schlichten Geschichtchen bis zu Durchhaltekommentaren.

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Straßenumbenennung

Inzwischen werden das Leben und Wirken von Maria Kahle ja viel kritischer gesehen und es wurden sogar Straßen umbenannt. Wie ist es dazu gekommen?

Änderungen von Straßennamen sind nicht neu. Schon vor Jahrzehnten wurde in Brilon der Name des NS-Funktionärs Carl Diem gestrichen. Vor ca. 10 Jahren entwickelten sich verstärkt in vielen Städten des Sauerlandes Initiativen, die Straßennamen nach Personen in Frage stellten, deren Demokratieverständnis nicht vorbildhaft gewesen war. Meine verschiedenen Aufsätze zu Kahle lieferten auch eine Grundlage, dass sich auch im Sauerland Bürgergruppen in verschiedenen Orten bilden konnten, die sich kritisch zu Maria-Kahle-Straßen äußerten und dann in den Stadträten erfolgreich auf Änderung drängen konnten. Aus meiner Sicht war die Lösung in Olsberg am besten, indem an die Stelle der Hitler-Verherrlicherin Maria Kahle der NS-Gegner Josef Rüther als Namensgeber gewählt wurde.

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Umfangreiche Quellenforschung

Welche Quellen haben Sie für Ihre Forschung benutzt?

Das Wichtigste waren für mich immer Kahles Veröffentlichungen, ihre zahlreichen Bücher, ihre vielen Aufsätze in teils entlegenen Zeitungen; aber auch die Zeitungsberichte über ihre zahllosen Vorträge. Sehr interessant waren ihre Entnazifizierungsunterlagen im Landesarchiv NRW: Die eingereichten „Persilscheine“, die Vergesslichkeit, die geschickte Ungenauigkeit, die Lügen. Für die Nachkriegszeit erbrachte der umfangreiche Briefwechsel mit einer Freundin von Maria Kahle, der im Archiv der Heimatbücherei Olsberg liegt, sehr persönliche Eindrücke. Eine kaum auszuschöpfende Quelle war der Nachlass von Maria Kahle, der in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster erschlossen ist. Tausende von Schriftstücken können dort eingesehen werden, die Maria Kahle gesammelt hatte. Sie zeigen auch, dass Maria Kahle sich nie an den demokratischen Neuaufbau nach 1945 gewöhnen konnte und ihn auf keinen Fall unterstützte. Alle Veröffentlichungen, die ich gefunden habe, werden in meinem Buch mindestens auszugsweise wörtlich wiedergegeben und chronologisch dargestellt – von Kahles Jugendzeit bis ins hohe Alter. Jede Leserin, jeder Leser kann sich ein selbstständiges Urteil bilden, eine Kommentierung erfolgte bewusst nur sehr knapp.

Aus der Geschichte lernen

Warum ist es aus Ihrer Sicht notwendig, sich auch in der heutigen Zeit mit Persönlichkeiten wie Maria Kahle zu beschäftigen?

Maria Kahle prägte mit ihren zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen die Weimarer Republik und besonders die NS-Zeit mit. Sie stellte sich in den Dienst der Demokratiegegner. Aufklärung gerade über diese Zeiten liegt in meinem Interesse, um die damalige gesellschaftliche Entwicklung besser zu verstehen – mit dem Ziel, unsere Demokratie zu wahren bzw. weiterzuentwickeln. Um aus Geschichte zu lernen, muss man sie erst einmal kennen. Das gesellschaftlich verbreitete Beschweigen über die Zeit von 1933 bis 1945 nach der Befreiung vom Nationalsozialismus hat dem Wissen über diese Epoche und ihrer Aufarbeitung nicht geholfen. Man könnte heute vielleicht sagen, die Zeit geht über Maria Kahle hinweg und es gibt kaum noch Menschen, die sich für sie interessieren. Doch leider gibt es auch junge Leute, die Kahles völkische Vorstellungen erneut teilen. In unserer Gesellschaft gibt es auch aktuell Vorstellungen, die auf Abgrenzung und Ausschließung abzielen, einen völkischen Heimatbegriff popularisieren.

Hans-Günther Bracht: Maria Kahle - Einblicke in Leben und Wirken einer rechtskatholischen Schriftstellerin. Eine dokumentarische Darstellung entlang der Originalquellen. Norderstedt: BoD 2022. (592 Seiten). Auch überall vor Ort im Buchhandel bestellbar; Hardcover-Ausgabe (33 Euro)