Medebach/Solingen. In Medebach demonstrieren 150 Arbeiter gegen die Schließung des Borbetwerks Solingen. Die Kritik ist rigoros. Das Unternehmen rechtfertigt sich.

Wir sind hier, wir sind laut, weil Borbet uns die Zukunft klaut.“ Oder: „Insolvenz: Lüge!“ Ungewohnt lautes Pfeifen, Trommeln und Sprechchöre schallen am Donnerstagmittag durch Medebach. Rund 150 entlassene Mitarbeiter des Borbet-Werkes in Solingen sind mit Bussen und Privatautos ins Sauerland gekommen, um „an der Wiege von Borbet“, wie sie es nennen, ihrem Unmut lautstark Luft zu machen. „Die lassen uns im Regen stehen“, heißt es mit einem Blick zum wolkenverhangenen Himmel.

600 Mitarbeiter verloren ihren Arbeitsplatz

Ende November hatte die Geschäftsführung von Borbet angekündigt, ihr seit einem Jahr in Insolvenz in Eigenverwaltung befindliches Werk in Solingen zum Jahresende zu schließen, 600 Mitarbeiter verloren damit ihren Arbeitsplatz. Die Wurzeln des Familienunternehmens Borbet GmbH reichen bis ins Jahr 1881 in eine Messinggießerei in Altena. 1962 gründete Peter-Wilhelm Borbet den Hauptsitz in Hesborn, wo seit 1977 als Zulieferer der Autoindustrie Leichtmetallräder produziert werden. 2001 wurde der Standort in Medebach eröffnet. Neben Thüringen, Sachsen und Bayern gibt es aktuell noch weitere Werke in Österreich und Südafrika. Laut Angaben auf der Firmen-Homepage beschäftigt Borbet weltweit 4.255 Mitarbeiter, davon knapp 1.000 im Raum Hallenberg/Medebach.

Demo entlassener Borbet-Arbeiter aus Solingen in Medebach

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© Rita Maurer | Rita Maurer
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IG-Metall: Borbet will unbequemen Standort mit Scheinschließung loswerden

In Solingen bangen nun jedoch hunderte Menschen mit ihren Familien um die Existenz. Marko Röhrig von der IG Metall Remscheid-Solingen richtet deshalb deutliche Vorwürfe an die Firma Borbet. „Im Werk Solingen wurde im Gegensatz zu den anderen Standorten nach Tarif gezahlt, die Belegschaft ist überdurchschnittlich gut gewerkschaftlich organisiert. Wir glauben deshalb, dass Borbet diesen unbequemen Standort mit einer Scheinschließung loswerden wollte.“ Früher sei es so gewesen, dass die einzelnen Borbet-Werke auch finanziell füreinander eingestanden sind, Solingen habe sehr gute Zahlen gehabt. Doch dann habe jeder Betrieb für sich wirtschaften müssen, aus Solingen seien lukrative Aufträge abgezogen worden, um bewusst die Zahlen zu drücken und in Insolvenz zu gehen. Das biete die politisch abgesicherte Möglichkeit, die Mitarbeiter mit deutlich kürzeren Kündigungsfristen und niedrigen Abfindungen loszuwerden. „Die Politik zahlt ohne Zögern Milliarden, um Banken, Konzerne und Superreiche zu retten oder Kriege zu finanzieren, aber sie lässt es zu, dass Firmen ihre Arbeiter mit schäbigen Tricks in wirtschaftliche und soziale Krisen stürzen und Betriebe bewusst vor die Wand fahren.“

Der Demozug zieht Richtung Borbetwerk
Der Demozug zieht Richtung Borbetwerk © Rita Maurer

Nurettin Akar vom Betriebsrat klagt an: „Wenn irgendwo eine Brücke gebaut wird, dauert es Jahre, bis das Umfeld von Tieren überprüft ist. Aber wenn wir unsere Jobs und unsere Zukunft verlieren, fragt da keiner nach.“

Ayan Türkoglu kommt mit Frau und drei kleinen Kindern nach Medebach

Wut, Verzweiflung und Zukunftsangst sind bei allen Teilnehmern zu spüren. Ayan Türkoglu ist mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern nach Medebach gekommen. Seit 21 Jahren arbeitet er als Alleinverdiener bei Borbet, jetzt fragt sich die Familie, wie es weiter gehen soll.

Von den Borbet-Standorten aus Medebach und Hesborn sind ebenfalls Mitarbeiter da, möchten aber nicht namentlich erwähnt werden: „Leute, die ihre Meinung sagen und in der Gewerkschaft sind, werden unter Druck gesetzt“, sagen sie. Es gebe viel Fluktuation und schlechte Stimmung im Betrieb. Wer die Verträge für ein neues Lohnsystem nicht unterschrieben habe, hätte Weihnachtsgeld und Zulagen gestrichen bekommen. Überall klingt die Sorge durch, dass das Vorgehen in Solingen auch in den anderen Standorten angewandt werden könnte.

Olsbergs IG-Metallchef: Frau Borbet hat heute Nacht sicher nicht gut geschlafen

Olsbergs IG Metall-Chef Kreutzmann: „Frau Borbet sieht unsere Bilder und Videos ganz genau, sie hat heute Nacht sicher nicht gut geschlafen.“
Olsbergs IG Metall-Chef Kreutzmann: „Frau Borbet sieht unsere Bilder und Videos ganz genau, sie hat heute Nacht sicher nicht gut geschlafen.“ © Rita Maurer

Von der IG Metall aus Olsberg ist Helmut Kreutzmann vor Ort und ergreift das Wort. Er sei mehrfach gefragt worden, warum die Kundgebung in Medebach und nicht am Hauptstandort in Hesborn stattfinde. „Glauben Sie mir, Medebach ist das Wohnzimmer von Borbet. Frau Borbet sieht unsere Bilder und Videos ganz genau, sie hat heute Nacht sicher nicht gut geschlafen.“ „Wir schlafen schon seit Wochen nicht mehr gut“, ruft eine Frau dazwischen.

Der Niedersfelder Hartmut Langbein stammt aus Solingen, dort kennt er Borbet und viele Mitarbeiter seit Jahrzehnten. Ihm ist eines wichtig: „Die Belegschaft in Solingen ist international, aber allen geht es um die gleiche Sache. Da kämpfen türkische, kurdische, russische oder ukrainische Mitarbeiter gemeinsam. Grenzen gibt es dabei nicht zwischen den Menschen, sondern nur zwischen Arbeitnehmern und dem Kapital.“

Demo zieht durch den strömenden Regen zum Borbet-Werk

Nach der Kundgebung auf dem Marktplatz ziehen die Teilnehmer laut pfeifend mit Transparenten und Plakaten in Begleitung von drei Polizeiwagen durch den strömenden Regen zum Borbet-Werk im Industriegebiet. Das Gelände ist durch Schlagbäume abgesperrt, Sicherheitskräfte in Warnwesten stehen dahinter. Die Demonstranten bleiben vor der Absperrung stehen, keiner macht den Versuch, das Grundstück zu betreten. Redner mit Megafon und Sprechchöre rufen abwechselnd ihre Parolen. Einige Fenster am Gebäude stehen auf Kipp, aber niemand der Medebacher Belegschaft lässt sich blicken. Nach einer guten halben Stunde machen sich die Demonstranten auf den Rückweg zu ihren Bussen. Denn in Solingen steht nach der Rückkehr aus dem Sauerland noch die tägliche Mahnwache an, die seit Weihnachten abgehalten wird und an der teilweise über 100 Menschen teilnehmen. Noch geben sie alle die Hoffnung auf ihre Zukunft nicht auf.

Borbert: Keine Chance auf die Fortsetzung des Betriebes in Solingen

.„Es besteht für das Werk in Solingen keine Chance auf die Fortsetzung des Betriebes. Die Mitarbeiter aus Solingen erhalten die Möglichkeit in die Transfergesellschaft einzutreten. In den anderen Standorten gibt es Jobangebote, auf die sich die Kollegen bewerben können“, heißt es in einer Stellungnahme des Unternehmens auf Anfrage der Westfalenpost. Häufig stünde dem aber der Wohnortwechsel im Weg. „Jeder Standort wirtschaftet eigenständig und die Muttergesellschaft unterstützte seit Jahren die Borbert Solingen GmbH, Auch die durch die eigenverwaltete Geschäftsführung gestarteten Restrukturierungs- und Investorenprozesse scheiterten aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung.“

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Brief von Margot Borbet an die Geschäftsführung

In einem Schreiben, das der Westfalenpost vorliegt, von Ende November hatte sich Borbert-Geschäftsführerin Margot Borbert an die Mitarbeiter in Solingen gewandt: „Die Borbert Solingen GmbH schließt ihren Betrieb zum 31. Dezember 2022 Alle Versuche, für den Standort eine wirtschaftlich tragfähige Zukunft zu finden, waren zuvor gescheitert“, heißt es darin. Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat werde eine Transfergesellschaft eingerichtet. Nach dem Wechsel in diese Transfergesellschaft würden die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter u.a. Hilfe bei der Vermittlung in eine neue Beschäftigung und die Möglichkeit, an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen.

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Ukrainekrieg, wirtschaftlichen Situation, Rohstoff- und Energiepreise

Seit Dezember 2021 befinde sich die Borbet Solingen GmbH in einem Schutzschirmverfahren. „Trotz der sehr schwierigen Rahmenbedingungen gelang es seitdem, den Geschäftsbetrieb fortzuführen und die Arbeitsplätze zu erhalten. Parallel dazu wurden umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um für das Unternehmen ein tragfähiges Zukunftskonzept zu entwickeln und umzusetzen. Dazu startete die eigenverwaltende Geschäftsführung einen breiten Restrukturierungs- und Investorenprozess, in den auch der Betriebsrat, die Großkunden aus der Automobilindustrie, Borbert und potentielle Investoren eingebunden waren“, schreibt Margot Borbet. Aufgrund der sich in Folge des Ukrainekrieges nochmals stark eintrübenden wirtschaftlichen Situation, der stark gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise und der zu verzeichnenden Absatzrückgänge in der Automobilzulieferindustrie, seien die zwingenden Voraussetzungen für einen Erhalt des Produktionsstandortes in Solingen letztlich nicht erfüllt worden. „Im Verfahren in Eigenverwaltung muss die Geschäftsführung daher den in dieser Situation bestehenden rechtlichen Verpflichtungen nachkommen und die Standortschließung zum Ende des Jahres umsetzen.“

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Unternehmensführung spricht von zweistelligen Millionenverlusten

Der Standort in Solingen schreibe hohe Verluste und sei im internationalen Vergleich nicht wettbewerbsfähig. „Das Werk war von Hilfen der Schwesterwerke und der Muttergesellschaft abhängig. Zu hohe Kosten bei steigendem Preisdruck machen Borbert Solingen schon lange zu schaffen. Die weltweite Corona-Pandemie, massiv steigende Energie- und Materialpreise sowie die globale Halbleiter-Krise hatten die Lage – wie in der gesamten Zulieferbranche – erheblich verschärft. Wir, die Muttergesellschaft Borbet GmbH, hatten den Restrukturierungsprozess mit Finanzhilfen in Millionenhöhe unterstützt. In den letzten drei Jahren hatten wir bereits 40 Millionen Euro in den Standort Solingen investiert und Verluste von 30 Millionen Euro allein seit Anfang 2020 getragen. Weitere Gesellschaften seien nie von dem Schutzschirmverfahren betroffen.