Brilon-Thülen. In Thülen haben Flüchtlinge aus der Ukraine Schutz gefunden. Beim Besuch mit Helfern aus dem Ort geben sie Einblick in berührende Schicksale.

Im ehemaligen Schwesternwohnheim in Brilon-Thülen sind zurzeit 26 Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht. Einige Menschen aus dem Ort sorgen dafür, dass sie sich in Deutschland wohl fühlen und Hilfe bei Behördengängen, Arztbesuchen und der Bewältigung des Alltags fern ab ihrer Heimat bekommen. Die Verständigung ist zwar sehr schwierig, aber mit Händen und Füßen und vor allem mit Hilfe der Übersetzer-App auf dem Handy klappt es erstaunlich gut.

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Der Empfang in der Unterkunft ist herzlich. Es gibt Kaffee und Weihnachtsplätzchen, alle sitzen in gemütlicher Runde zusammen. Nach außen sieht alles nach einer fröhlichen Runde aus. Doch alle, die hier sitzen, haben Schlimmes erlebt, haben wegen des Krieges ihre Heimat verlassen, haben Angehörige zurückgelassen und vieles, was ihnen in ihrem bisherigen Leben wichtig war. Wenn sie davon erzählen, wird es still in der Runde und manch einer kämpft mit den Tränen. Doch immer mal wieder kommt auch Heiterkeit auf - manchmal sorgt die Übersetzer-App für fragende Blicke und kuriose Momente. Mit Deutsch und Englisch kommt man hier jedenfalls nicht weiter.

Durch Stress und die ständigen Sorgen Baby verloren

Im Gespräch zeigt sich auch: „Wir halten hier alle zusammen und unterstützen uns gegenseitig“, sagt Nina. Sie ist auf Wunsch ihrer Tochter nach Deutschland gekommen, die mit ihren Kindern in Hamm lebt und sich Sorgen um ihre alleinstehende Mutter gemacht hat. Nina erzählt, dass ihre zweite Tochter mit ihrem Mann in der Ukraine geblieben ist. Allein der Gedanke füllt ihre Augen mit Tränen. Sie reicht das Handy, das als Sprachvermittler fungiert, an Olesia weiter. Auch sie trägt schwer an dem, was sie durch den Krieg erleiden muss: Die 41-jährige stammt aus Odessa. Ihr Mann ist noch in der Ukraine. „Ich war schwanger und habe deshalb deshalb beschlossen, das Land zu verlassen, um das Baby zu retten. „Aber durch den Stress und die ständigen Sorgen habe ich das Baby verloren“, spricht sie auf ukrainische in das Handy, das ihre Antwort auf deutsch anzeigt. Betroffenes Schweigen bei allen, die ihre Antwort ohne Übersetzung verstanden haben. Sie spricht auch aus, was viele denken: „Ich vermisse mein Zuhause, obwohl ich es hier sehr gut habe.“ Und mit viel Entschlossenheit sagt sie: „Wir leben hier als wie eine große Familie zusammen und werden hier auch zusammen Weihnachten feiern.“

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Heimatstadt Kramatorsk bombardiert

Julia stammt aus der Region Donezk. Die 36-Jährige erzählt, dass ihr Mann und auch ihr Bruder in der Ukraine geblieben sind und sich in der Armee „für den Schutz der Heimat“ einsetzen. „Die Menschen hier stammen aus verschiedenen Regionen in der Ukraine. Viele haben schwierige Erinnerungen. Jeder hat eine eigene Geschichte“, sagt Julia und dann spricht sie auch von sich selbst: „Als meine Heimatstadt Kramatorsk bombardiert wurde, sind viele Menschen verletzt worden. Und an diesem Tag musste ich auch gehen. Meine Eltern sind in der Stadt geblieben. Sie können nicht weg, weil sie eine Bauernhof haben und ihr Haus nicht verlassen wollen. Ich mache mir große Sorgen um sie.“ Und so ist sie dankbar über die Hilfe, die sie in Deutschland, aber vor allem auch in Thülen bekommt: „Als wir angekommen sind, hatten wir keine Sachen. Wir sind sind froh, dass hier Menschen sind, die uns helfen.“ Die anderen in der Runde machen deutlich, dass sie ihnen aus dem Herzen spricht.

Heimatstadt vom ersten Tag an beschossen

Schutz gefunden hat in Thülen auch eine vierköpfige Familie. Alexander und seine Frau Maria leben mit ihren beiden kleinen Töchtern in der Unterkunft. Sie stammen aus Ismail, wo Alexanders Eltern noch leben. Er erzählt, dass es dort zwar keinen Beschuss gebe, die wirtschaftliche Situation aber sehr schwierig sei und es zum Beispiel kein Licht gebe. Alle freuen sich auf Weihnachten, denn dann kommen die Großeltern zu Besuch nach Thülen. Alexander sagt, dass sie sich Sorgen gemacht hätten, dass sie in Deutschland nicht akzeptiert werden. Doch inzwischen ist er beruhigt: „Es stellte sich heraus, dass es hier sehr freundliche Menschen gibt, die helfen.“

Ludmilla (65) und ihre 85-jährige Mutter Alevtina sind froh, dass sie in Thülen einen sicheren Ort gefunden haben. Die beiden stammen aus Charkiw. Sie erzählen, dass ihre Heimatstadt vom ersten Tag an beschossen worden sei. „Viele Gebäude sind komplett zerstört worden. Auch die Infrastruktur ist zum Großteil zerstört. Es gibt kein Licht, kein Gas und kein Wasser. Wir haben humanitäre Hilfe aus vielen Ländern erhalten, aber wir konnten nicht bleiben“, sagt Ludmilla. Und ihre Mutter ergänzt: „Aber wir wollen trotzdem wieder nach Hause. Zuhause ist Zuhause, Heimat ist Heimat, auch wenn es hier sehr gut für uns ist.“ Die anderen im Raum nicken zustimmend und blicken traurig.

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Anne Grießhaber und Brigtte Stein haben schon viele dieser Geschichten gehört. Die beiden Thülenerinnen engagieren sich gemeinsam mit Franz-Josef Stein und Ortsvorsteher Johannes Becker für die Flüchtlinge im Ort. Sie begleiten die Ukrainer/innen zu Behörden und Arzttermin, erledigen Dinge gemeinsam mit ihnen, organisieren Hilfsgüter, eine Kleiderstube und gemeinsame Treffen. Erst kürzlich fand zum Beispiel ein Adventsnachmittag der Caritaskonferenz statt, bei der die beiden Frauen aktiv sind. Und das wohl wichtigste: Sie sind regelmäßig vor Ort, sprechen mit den Menschen, hören zu, nehmen in den Arm, wenn die Trauer oder Sorge jemanden überwältigt, sind einfach da.

„Die Bereitschaft zu helfen, ist hier im Dorf sehr groß. Wenn wir um Hilfe bitten, kommt auch Hilfe“, freut sich Anne Grießhaber. Und Brigitte Stein ergänzt: „Wenn wir in ein fremdes Land kommen würden, dann wären wir auch froh, wenn uns geholfen würde und wir eine Anlaufstelle hätten.“ Und so werden die Flüchtlingshelfer auch zum bevorstehenden Weihnachtsfest die Menschen, die jetzt in ihrer Nachbarschaft leben, nicht vergessen und dafür sorgen, dass sie trotz der schrecklichen Ereignisse in ihrer Heimat, zumindest ein bisschen Weihnachtsfreude erleben. Wir wünschen allen: Ein gesegnetes Weihnachtsfest.