Marsberg/Hochsauerland. Rüdiger Diesel organisiert Demos in Marsberg – und hofft auf eine Massenbewegung. Ein Porträt des Mannes, der die Politik aufrütteln möchte.
Es wird schon früh dunkel in Marsberg. In der Innenstadt ist kaum etwas los, um 19 Uhr haben alle Geschäfte am Montagabend geschlossen. Durch die Straßen rund um die Kirche hallt eine Stimme. Nur schwer zu verstehen, dumpf aber laut. Auf dem Kirchplatz stehen vielleicht 50 höchstens 60 Menschen. Sie sind gekommen, um friedlich zu demonstrieren. Wegen der hohen Energiepreise. Der Insolvenzen, der Heizkosten, dem Politikversagen. So steht es auf einem der Plakate, die ganz am Anfang vom Organisator und „Verein zur Unterstützung der Bürger und Betriebe in Marsberg“ im Netz geteilt wurden. Gründer und Ideengeber ist Rüdiger Diesel aus Marsberg.
Unmut über die aktuelle Politik nach dem Kriegsbeginn der Ukraine
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Rüdiger Diesel ist eigentlich Versicherungskaufmann, aber keiner, der gerne Krawatte und Hemd trägt, wie er selbst über sich sagt. Wache Augen, skeptischer Blick. Er spricht laut und selbstbewusst, ereifert sich insbesondere wenn er über Politik oder Weltgeschehen spricht. „Ich kenne eine Rentnerin, die zu mir ins Versicherungsbüro kam, die bekommt 950 Euro und muss nun 270 Euro Gas bezahlen. Das Geld wird knapp und woran spart man nun als erstes? Am Konsum und der Absicherung“, sagt er zu Beginn des Gesprächs in der WP-Redaktion – ohne Umschweife beim Thema seines Vereins. Ein Verein, der sich aus Unmut über die aktuelle Politik nach dem Kriegsbeginn der Ukraine heraus gegründet hat. „Was die Politik macht, das ist großer Blödsinn. Ich will nicht unterstellen, dass Politiker fahrlässig handeln, aber Hilfe sollte nicht mit dem Gießkannenprinzip ausgekippt werden. Eine Steuerberatungskanzlei braucht keine Entlastungen, energieintensive Unternehmen aber sehr wohl.“ Rüdiger Diesel will für den Kleinen Mann eintreten, für die Betriebe aus dem Mittelstand. Er sagt: „Deutschland muss den Betrieben helfen, wenn das nicht passiert, gibt es ein wirtschaftliches Desaster, und endet in einem Aufstand.“ Ein Mob, das ist seine Furcht. Das will er nicht still abwarten. „Wir müssen anfangen aufzustehen. Zeigen, dass gefällt uns nicht. Energie betrifft uns alle.“
Montagabend, 19 Uhr. Der Zug der Menschen, die zur friedlichen Demo gekommen sind, laufen durch die Innenstadt. Eine kleine Runde. Kötterhagen, Hauptstraße, vorbei am Eiscafé. Eine Frau spricht über Kanzler Scholz. „Wer braucht schon 250 Quadratmeter Kanzlerbüro? Die sollten sich mal verkleinern. Echt!“ Ein Stück weiter vorn im Zug geht es um Kitas. „Ich würde meine Enkelin nicht mehr ohne Bauchweh in die Kita schicken.“ Zwei Frauen unterhalten sich über die Lebensmittelpreise: „Früher konnte ich eine Wurst am Stück kaufen, aber jetzt nehm ich lieber ein paar Scheiben nur.“
Enttäuscht über die geringe Zahl an Demonstranten
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Zurück am Kirchplatz steht Rüdiger Diesel im Schein einer Laterne. Neben ihm Michaela Linnemann, Schriftführerin des Vereins. Kinder spielen am Brunnen, das Metall quietscht. Rüdiger Diesel blickt in die Runde. Sichtlich enttäuscht über die geringe Zahl an Demonstranten. Er spricht über Warenknappheit, über Blackouts, fehlende Fiebersäfte für Kinder, Hamstern. Er sagt: „Manchen Politikern in unserer Stadt passt es nicht, dass wir Demos veranstalten. Aber die müssen mit Kritik leben. Es ist wichtig und richtig, dass wir von unserem Grundrecht Gebrauch machen. Jeder muss Strom zahlen. Jeder ist betroffen.“ Wieder quietscht der Brunnen. Rüdiger Diesel will das Mikrofon weitergeben. Erst will niemand was sagen. Michaela Linnemann zieht am Arm einer Frau. Die nimmt das Mikro. „Nach unserem ersten Treffen habe ich mit dem Bürgermeister einen Termin gemacht. Damit er auch an die armen Leute denkt. Ich hab gesagt, er soll die Bürger informieren und er machte Augen und war froh drum, als ich erzählte. Er wollte etwas in den Diemelboten setzen, aber da kam nichts.“
Angst davor, den Wohlstand zu verlieren
Rüdiger Diesel glaubt, dass die Demonstration die er organisiert, von Anfang an in eine falsche Schublade gesteckt wurde. „Wer mich kennt weiß, dass ich weder rechts noch links bin.“ Das Plakat, die brennenden Geldscheine, das ist nachjustiert worden. Es heißt jetzt auch nicht mehr Demonstration, sondern Bürgerdialog. Zu schnell ist der Eindruck entstanden, der Marsberger Verein schlägt in dieselbe Kerbe wie die Querdenker. „Dabei ist das Wort Querdenken immer eines gewesen, das ich mochte. War ja etwas positives. Trotzdem distanzieren wir uns von dieser Bewegung. Wir sind nicht politisch. Wir wollten einfach Aufmerksamkeit erregen und haben daher dieses Plakat so gestalten lassen.“ Es sind Ängste, die Rüdiger Diesel antreiben. Angst vor dem Blackout. Angst davor, dass sich „Deutschland als Wirtschaftsstandort abschafft“. Angst davor, den Wohlstand zu verlieren, vor Knappheit von Strom, Gas und Lebensmitteln. Er sagt oft, dass der Krieg „scheiße“ sei. Er sagt genauso oft, dass Deutschland helfen müsse. Dass er selbst jemand sei, der gerne helfe. Schon für das Aatal hat er Spenden gesammelt. Hat angepackt. Jetzt will er wieder anpacken. Auf die Straße gehen. Die Aufmerksamkeit der Politiker erregen. Ihre Politik ändern. Politisch sein?
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Rüdiger Diesel bemüht ein Beispiel. „Wenn Olaf Scholz in eine Kneipe geht und eine Runde nach der anderen schmeißt, und dann heim geht und seine Frau fragt ihn, wo das Geld ist. Das ist ein gravierendes Problem.“ Diesel glaubt, dass die Politik erst alle Missstände im eigenen Land beseitigen muss, bevor die Regierung in der ganzen Welt hilft. Zusammen mit den Demonstranten wurden Fragen gesammelt, an die Bundestagsabgeordneten geschickt. Zufrieden sei Diesel nicht gewesen mit den Antworten. Nur Parteigeplänkel, sagt er.
Wohin sich der Verein entwickelt - das weiß Rüdiger Diesel nicht
Politikverdrossen sei er nicht. Er sei auch kein Globalisierungsgegner. „Ich lege einfach den Finger auf die Wunde.“ Wohin es mit dem Verein geht, den er mit einigen anderen Marsberger Unternehmern gegründet hat, weiß er selbst nicht. Das komme auf die Resonanz an, bleibt die aus, dann könne es auch sein, dass der Verein sich wieder auflöse. Im besten Fall soll ein Unterstützungsnetz aufgebaut werden. Wie das aussehen kann, weiß Rüdiger Diesel aber noch nicht. „Wir wollen den Leuten erstmal eine Plattform geben, um ihren Unmut zu äußern. Eine Menge ist besser als eine Einzelperson.“
Am Montagabend tritt eine Frau ans Mikrofon, das Rüdiger Diesel ihr gibt. Sie arbeite beim LWL, dort würden die Menschen angeblich kalt geduscht. Ein Marsberger Unternehmer spricht danach, er bezahle nun 90.000 Euro für Strom, allein im September. Eine Frau ist wütend: „Die Politiker arbeiten für uns. Die haben aber total den Bezug zu uns verloren. Den meisten ist es egal. Wir müssen uns mal besinnen, wer hier eigentlich die Macht hat.“ Rüdiger Diesel nimmt das Mikrofon. Seine Stimme hallt über den Kirchplatz. „Sie sprechen mir aus der Seele. Wir haben das Sagen, aber die machen ihre eigenen Sachen und lassen uns hier stehen. Sagen wir es weiter, jeden zweiten Montag treffen wir uns hier. Sagt es auch Auswärtigen. Eine Demo anmelden ist kein Hexenwerk, ich gebe gerne Hilfestellung. Wir können nur was erreichen, wenn wir mehr werden.“