Hochsauerland. Wird Pflegebedürftigkeit zur Armutsfalle? Höhere Preise für Energie und Lebensmitteln sorgen für Kostenexplosionen in Pflegeheimen.
Es kommt knüppeldick: Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sowie deren Angehörige werden in nächster Zeit Post von den jeweiligen Einrichtungen bekommen. Und darin wird stehen, dass die Kosten für Unterbringung und Versorgung steigen. Je nach Pflegegrad, Dauer des bisherigen Aufenthalts und anderen Kriterien können es locker 800 Euro oder mehr sein - pro Monat. Das bedeutet: Der Anteil, der aus eigener Tasche zu zahlen ist, steigt dann zum Beispiel von 2000 auf 2800 Euro an. Vielen bleibt da nur noch der Weg zum Sozialamt. Den gehen schon jetzt mehr als ein Drittel aller Bewohner einer Pflegeeinrichtung im HSK (siehe Grafik).
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Die Gründe für die Kostenexplosion sind vielfältig. Einer davon: Steigende Energie- und Lebenshaltungskosten. „In allen stationären Einrichtungen der Pflegeheime und der Einrichtungen der Behindertenhilfe kalkulieren wir für 2023 allein im Bereich Lebensmittel, Strom und Gas Mehrkosten von 836.000 Euro ein. Täglich gibt es neue Szenarien, die die Situation beeinflussen. Vermutlich wird es deutlich mehr“, sagt Heinz-Georg Eirund, Vorstand Caritasverband Brilon. Der Verband hat solche Schreiben an Heimbewohner bzw. deren Angehörige noch nicht verschickt. Klar ist aber auch hier: die Kosten werden steigen. Falls bei den Verhandlungen mit den Pflegekassen alle Forderungen durchkommen, rechnet Eirund mit monatlichen Mehrkosten zwischen 350 und 400 Euro.
„Eine existenzielle Bedrohung“
Für den Caritas-Vorstand ist die aktuelle Situation eine „ernsthaft und mittelfristig existenzielle Bedrohung für Hilfsangebote aller Alters- und Bedürftigkeitsgruppen“. Investiert habe man in die Absicherung der Dienste und Einrichtungen, wenn eine Versorgung durch Gas komplett ausfallen sollte. Ebenso ist eine Vorratsplanung für Lebens- und Pflegemittel abgesichert. Eirund: „Wir sind also auf das Schlimmste eingestellt.“ Ähnlich sieht die Situation beim DRK-Kreisverband Brilon aus. Thorsten Rediger, hauptamtlicher Vorstand: „Wir sind derzeit durch allgemeine Mehrausgaben z.B. bei Energie und Lebensmitteln sehr stark betroffen. Beim Thema Energie haben wir uns schon vorher mit guten Rahmenverträgen eindecken können. Ob diese so bestehen bleiben, muss man abzuwarten. Extreme Engpässe sehen wir derzeit nicht.“
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Lohnsteigerungen greifen
Ein weiterer Aspekt für Kostensteigerungen: Auf Grundlage des Gesundheitsversorgungs-Weiterentwicklungsgesetzes steht für die Beschäftigten in der Pflege eine Lohnsteigerung an. „Die Lohnerhöhungen“, so Eirund weiter, würden in den Caritas-Einrichtungen nicht sonderlich zu Buche schlagen, „da wir schon immer im Branchenvergleich mit unserem Tarif AVR sehr gute Löhne zahlen. Die Unternehmen bzw. Träger meistens privat geführter Häuser, die bislang diese Gehaltskosten nicht hatten, werden allerdings jetzt durch das Gesetz zu höheren Zahlungen verpflichtet.“ Das DRK orientiert sich in seinen Pflegeeinrichtungen nach dem TVÖD-Pflege. Rediger: „Das heißt: Alles was hier verhandelt wird, übernehmen wir für unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen automatisch.“ Im Juli 2023 tritt dann noch die neue Personalbemessung für vollstationäre Pflegeheime in Kraft. Auch dadurch sind weitere Kostenerhöhungen denkbar.
Verhandlungen mit den Pflegekassen
Aktuell ist einiges in Bewegung. Die Verhandlungen mit den Pflegekassen um die Vergütungen laufen. Aber offenbar schleppend: „In den Verhandlungen ziehen sich die Kostenträger zunehmend darauf zurück, dass sie keine gesetzlichen Grundlagen haben, mehr Geld für Hilfen zu geben, obwohl die Unkosten real sogar weiter gestiegen sind“, sagt Eirund. Auch beim Caritasverband Brilon treffen – genau wie in Privathaushalten oder der Freien Wirtschaft – täglich Briefe von Dienstleistern und Lieferanten ein, die in Folge der globalen Krisenlagen Preiserhöhungen ankündigen müssen. „Von den Kostenträgern ist bislang weder das laufende, noch das kommende Jahr angemessen gewürdigt worden“, sagt Eirund. Allein in der ambulante Pflege habe man aufgrund gestiegener Spritpreise 40.000 Euro Mehrkosten im Jahr 2021 gehabt. „Die pauschale Vergütung ist nicht angepasst worden. In den Werkstätten für Menschen mit Behinderung steigen ebenfalls die Kosten für Energie drastisch neben der Gebäudeversorgung auch für die Produktion. Nur ein Teil kann an die Kunden weitergegeben werden.“
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Das alle muss refinanziert werden. Dafür gibt es nach Einschätzung von Hans-Georg Eirund im Prinzip nur zwei Wege: Entweder die Kostenträger (Krankenkassen, Pflegekassen, Landschaftsverband, Kommunen) erhöhen die Vergütung oder der Staat stützt die Sozialsysteme durch Rettungsschirme. „Gibt es keine Rettungsschirme, müssen Bewohner und Angehörige beispielsweise von Pflegeeinrichtungen durch die Anhebung von Sozialleistungen (Pflegewohngeld) gestützt werden.“
Die Situation ist für alle Beteiligten sehr unglücklich. Eirund: „Systeme, die von uns allen getragen, weil bezahlt werden, und die uns allen in Krankheit oder Not helfen sollen, blockieren sich, weil konkrete und zeitnahe Rahmen- und Gesetzesvorgaben fehlen, damit sowohl die Kostenträger wie wir als Hilfeanbieter unsere Aufgaben erfüllen können. Wir wollen Menschen helfen.“
Er fordert von der Politik schnelle wie schlüssige Entscheidungen zur Sicherung von Gesundheits- und Hilfeangeboten sowie von den Kostenträgern deren zeitnahe, transparente und wirksame Umsetzungen. „Angesichts immer neuer und schnelleren Veränderungen und Verwerfungen dürfen wir keine Zeit verlieren. Wir müssen unsere Systeme und Hilfen immer wieder den Bedürfnissen und Realitäten der Menschen anpassen, um den Einzelnen zu helfen, aber auch um unsere Gesellschaft in diesen Umbruchs- und Neuordnungszeiten zusammenzuhalten“, plädiert Heinz-Georg Eirund.