Brilon. Der Briloner Anwalt Oliver Brock verklagt die Postbank. Seine Mandantin hat 52.000 Euro durch den Enkeltrick verloren. Was ein Urteil bedeutet.
Ein Präzedenzfall. „Da würden viele aufspringen, wenn wir gewinnen“, sagt Anwalt Oliver Brock. „Da sind ganz viele heiß auf das Urteil. Ein Opfer traut sich endlich, den Mund aufzumachen“, sagt Martina Schletter, Tochter des „Opfers“. „Das hat es so noch nicht gegeben“, sagt der Briloner Anwalt. Enkeltrick, oder „Staatsanwalttrick“ nennt sich der Betrug, dem Maria Plempe aus Bochum zum Opfer fiel. 52.000 Euro verlor die 85-Jährige. Weggegeben an Betrüger in dem Glauben, damit ihre Tochter aus dem Gefängnis zu holen. Der Briloner Anwalt Oliver Brock will der Seniorin ihr Geld wiederholen – und verklagt die Postbank, die Maria Plempe 27.000 Euro in Bar ausgehändigt haben ohne nachzufragen, wofür das Geld gedacht ist. Ein Urteil könnte Signalwirkung haben – und das ist auch allen Beteiligten bewusst.
Anwalt aus Brilon verklagt die Postbank in Bochum
„Meine Mandantin ist aus Bochum, ihre Tochter lebt hier in Brilon. Sie sind auf mich zugekommen, nachdem meine Mandantin Opfer des Enkeltricks wurde.“ So erklärt es Oliver Brock. Sowohl die Sparkasse, als auch die Postbank, hätten der Frau tausende Euro ausgehändigt, ohne die eigenen Vorgaben zur Prävention und zum Schutz der Kunden zu beachten. „Deswegen verklagen wir die Postbank“, sagt Brock. „Ein Präzedenzverfahren, dass es so noch nicht gegeben hat und auf das viele aufspringen würden, wenn wir Erfolg haben.“
Betrüger rufen Martina Schletters Mutter an – und belügen sie
Martina Schletter sitzt in ihrer gemütlichen Küche. Eine Mappe mit Unterlagen liegt vor ihr, Kopien von Sparbüchern der Eltern, Anwaltsschreiben. Auf dem IPad hat sie wichtige Fotos gesammelt. Ihre Eltern wohnen in Bochum, sie in Brilon. Jede Woche fährt sie sie besuchen, kümmert sich um den pflegebedürftigen Papa. „Nur in dieser einen Woche, da bin ich erst zwei Tage später als gewöhnlich gekommen“, sagt sie. In diesen zwei Tagen riefen Betrüger ihre Mutter an. Sie sagten ihr, Martina Schletter – ihre Tochter – hätte eine schwangere Frau angefahren, sei nun im Gefängnis. Sie spielten die Schluchzer einer weinenden Frau ein. Maria Plempe erkannte nicht, dass es nicht ihre Tochter war. Dann rief ein angeblicher Staatsanwalt bei Maria Plempe an. Sagte ihr, er würde gegen seine eigentliche Arbeit handeln, aber wenn Maria Plempe Gerichtskosten und Gehalt übernehme, lasse er ihre Tochter gehen. Mehr als 50.000 Euro sollte Maria Plempe bezahlen. Und Maria Plempe nahm ihre Sparbücher, ließ ihren Mann allein Zuhause und ging zur Bank.
Lesen Sie auch:Überteuerte Winterreifen: Autofahrer im HSK sollten handeln
Lesen Sie auch:Fahrkartenautomaten im HSK abgebaut - nur zwei Ausnahmen
„Ich bin in die Wohnung gekommen und keiner war da“, sagt Martina Schletter über jenen Tag im Mai 2021. Irgendwann ist ihr Papa mit dem Bruder vom Arzt gekommen. Er ist seit zwei schweren Gehirn-OPs pflegebedürftig. Martina Schletter schickt ihren Bruder heim, macht Frühstück für den Papa. Der sagt irgendwann: „Du bist doch über rot gefahren. Mama ist los, die holt Geld.“ Die Brilonerin begreift sofort. Sie versucht, ihre Mama zu erreichen. Sie geht nicht ans Handy. Sie ruft bei der Sparkasse an, die Filiale haben sie oft gemeinsam besucht. Die dürfen keine Auskunft geben, der Bruder hat die Vollmacht. Martina Schletter informiert erst ihren Bruder, dann die Polizei. Die Beamten kommen schnell, beschließen, dass Handy von Maria Plempe zu orten. Auf 200 Meter können sie den Standort eingrenzen. Mit einem Bild aus dem selbstgebastelten Fotokalender ziehen sie los, suchen nach der 85-Jährigen. Irgendwann kommt Maria Plempe heim. Im Treppenhaus sieht sie ihre Tochter – und bricht zusammen.
Zwei Tage halten die Betrüger ihre Mutter in Atem
„Zwei Tage haben die Betrüger meine Mutter am Handy gehalten, sie immer wieder angerufen. Sie hat das Ladekabel ihres Handys mit an ihr Bett genommen, um ja keinen Anruf zu verpassen“, sagt Martina Schletter. Ihre Mutter sei an und für sich gut zurecht. Habe ein gutes Gedächtnis, könne gut für sich sorgen. „Aber wenn es um die eigenen Kinder geht. Wenn man Angst um sie hat, dann ist man in einem Tunnel. Dann tut man alles“, sagt Martina Schletter.
Maria Plempe lief an jenem Morgen zu ihrer Sparkassenfiliale. Fragte nach 20.000 Euro. Die Mitarbeiterin wurde misstrauisch, erkundigte sich, wozu das Geld gebraucht werde. Maria Plempe wiederholte die Lügen, die ihr die Betrüger am Telefon in den Mund gelegt hatten. „Meine Tochter hat Geburtstag, ich will sie überraschen. Neue Möbel.“ Die Mitarbeiterin verwies auf die bankeigenen Regeln, zahlte nur 5000 Euro aus. Maria Plempe ging daraufhin einfach in die nächste Sparkassen-Filiale. Und in die nächste. In die nächste. Martina Schletter zeigt ein Foto des Sparbuchs. Am 19. Mai 2021 sind vier oder fünf Beiträge untereinander. 5000 Euro, 5000 Euro, 5000 Euro, 15.000 Euro. „Da hätte doch jemand stutzig werden müssen“, sagt sie. Bei der Postbank fragte Maria Plempe nach 27.000 Euro in drei Umschlägen. Der Mitarbeiter händigte ihr das Geld ohne Nachfrage aus, er habe nur gesagt: „In die Umschläge müssen sie das Geld selbst verteilen.“ Vor ihrer Wohnung holen die Täter das Geld, 52.000 Euro weg. Geld, das das Ehepaar für die Pflege des Mannes zurückgelegt hatte.
Familie wendet sich an den Weißen Ring – und kontaktieren den Briloner Anwalt
Die Familie wendet sich an den Weißen Ring, der gibt ihnen einen Gutschein über 200 Euro für die Erstberatung beim Anwalt. „Die sind sehr interessiert daran, dass es zum Urteil kommt, weil sich bisher keines der Opfer eines solchen Betrugs gewehrt hat“, sagt Martina Schletter. Mithilfe von Oliver Brock kontaktieren sie die Postbank. Überwachungsvideos seien gelöscht, man könne auch kaum nachvollziehen, welcher Mitarbeiter an diesem Tag das Geld herausgegeben habe. So habe sich die Postbank eingelassen. Martina Schletter schnaubt. „Dabei gibt es so viele Präventionsmaßnahmen, sogar Umschläge in denen vor dem Trick gewarnt wird, aber der wurde nicht rausgegeben.“ Auf WP-Anfrage will sich die Postbank zu einem laufenden Verfahren nicht äußern. Weiter heißt es seitens eines Sprechers: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gehalten, vorsichtig zu sondieren, wenn Sie den Verdacht haben, dass Geldbeträge auf der Grundlage des sogenannten „Enkeltricks“ abgehoben werden sollen. Sie sollen dann das Gespräch mit der meist betagten Kundin oder dem Kunden suchen und aufklären. In der Vergangenheit ist es aufmerksamen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer wieder gelungen, Kunden vor Schaden zu bewahren. In einigen Fällen sind sie dafür von der Polizei ausgezeichnet worden.“ Man unterweise die Mitarbeitenden täglich, um Betrugsmaschen zu erkennen, auf der Website der Postbank gebe es eigens Warnungen vor verschiedenen Tricks der Betrüger.
Lesen Sie auch:Linie RE 57: Massive Einschränkungen von Brilon nach Dortmund
Maria Plempe will sich ihr Geld zurückholen
Schnell ist klar, Maria Plempe will sich ihr Geld zurückholen. Einen ersten Sieg haben sie schon errungen. Die Postbank wollte die Gerichtsbarkeit in Frankfurt erreichen, jetzt findet die Verhandlung in Bochum statt. „Ich hätte mit meiner Mutter nicht so weit fahren können.“ Jetzt entscheiden Richter in Bochum am 20. Oktober über den Fall. „Die Banken müssen in die Pflicht genommen werden“, sagt Martina Schletter. „Man ist nicht mehr geschäftsfähig, wenn man gerade erpresst wird.“ Ein Argument, das auch Oliver Brock vorbringen will. „Wir versuchen, uns den Betrag zurückzuholen.“
Maria Plempe geht es, mehr als ein Jahr nach dem Vorfall, gut. „Sie spart schon wieder fleißig, legt alles zurück“, sagt Martina Schletter.