Hochsauerlandkreis. Schwester Judith Beule (30) unterrichtet Gebärdensprache an der VHS des HSK. Die junge Frau schildert ihren Alltag ohne Gehör.
„Gebärdensprache ist im HSK zu wenig präsent,“ sagt Schwerster Judith Beule. Deswegen gibt die 30-Jährige im Oktober einen Gebärdesprachkurs an der Volkshochschule Hochsauerlandkreis. Die gebürtige Meschederin wünscht sich, dass die Sprache auch in Deutschland alltäglicher wird. Deswegen richtet sich ihr Kurs an „Hörende, die Interesse haben und teilhaben möchten am Leben Tauber Menschen. Die Spaß und Freude haben, eine neue Sprache zu lernen.“
Sie selbst ist mit einer Hörbehinderung aufgewachsen. Dank starker Hörhilfen sei es ihr aber möglich sich mit Hörenden zu verständigen, erklärt die ausgebildete Erzieherin. „Aber ich empfinde es als Wohltat, wenn ich die Hörhilfen ablegen und gebärden kann.“ Wenn sie unterwegs ist, funktioniere die Verständigung in Geschäften, mit Hörenden durch Zeigen oder Schreiben und ohne Maske auch durch Ablesen der Lippen. Trotzdem sagt sie: „Gebärdensprache ist mehr meine Sprache und meine Welt.“
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Schwester Judith schreibt grundsätzlich das Wort „Taub“ groß. „Taub ist eine positive Selbstbezeichnung nicht hörender Menschen. Damit wird auch gezeigt, dass Taubheit nicht als Defizit angesehen wird. Es handelt sich hierbei um die Wiederaneignung eines Begriffes, der lange Zeit als abwertende Beschreibung verwendet wurde. Einige Mitglieder der Tauben Community verwenden inzwischen wieder das Wort „Taub“ für sich, weil es im Gegensatz zum Begriff „gehörlos“ nicht schon im Wort selbst einen Mangel benennt.“
Das Wort „taubstumm“ sei immer noch viel zu gängig, obwohl jemand erst stumm sei, wenn er nicht sprechen könne und keine Sprache habe, findet sie. Taube Menschen könnten außerdem meist trotzdem Töne mit ihren Stimmbändern produzieren. „Diese klingen nur ungewöhnlich, da Taube Menschen ihre Stimme nicht kontrollieren oder steuern können. Außerdem haben sie die Gebärdensprache, also ebenfalls eine Sprache“, erklärt Schwester Judith. „Die meisten Menschen denken auch, dass die Gebärdensprache eine willkürliche Aneinanderreihung von einzelnen Gesten ist. Aber Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache mit einer eigenständigen, vollwertigen, erforschten Grammatik.“
Die Entscheidung ins Kloster zu gehen
Den Schritt ins Kloster machte die junge Frau nach ihrer Ausbildung nicht leichtfertig. „Auf die Idee, ins Kloster zu gehen, kommt man nicht von jetzt auf gleich. Das ist ein innerer Prozess, das sind Überlegungen, Abwägungen und Fragen. Schließlich habe ich eine Entscheidung getroffen, weil ich eine Berufung zum Leben in einer Ordensgemeinschaft immer intensiver in mir wahrgenommen habe.“
Nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin am Berufskolleg in Bestwig und dem Montessori Diplom begann Schwester Judith mit ihrer Ordensausbildung. Die Schwestern der Heiligen Maria Magdalena Postel, die im Bergkloster Bestwig leben, lernte die junge Frau schon während ihrer Ausbildungszeit am Berufskolleg kennen. Sie habe aber auch vorher schon aktiv und ehrenamtlich in der Kirche mitgearbeitet und hatte auch Kontakte zu Ordensschwestern anderer Ordensgemeinschaften, erzählt sie.
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Ihr Noviziat und ihre ersten Gelübde liegen inzwischen schon etwas zurück. Im September 2023 plant sie ihr nächstes Gelübde abzulegen. „Ich freue mich sehr, wenn ich meine ewigen Gelübde ablegen darf. Dann bin ich Ordensschwester auf Lebenszeit. Während dieser Zeit kann die Schwester in ihrem Beruf arbeiten, sich neu ausrichten oder auch studieren.“
Im März dieses Jahres konnte Schwester Judith ihr eigenes Bachelor-Studium im Fach „Deaf Studies“ (zu deutsch: Gehörlosenkunde oder Gehörlosenpädagogik) bereits erfolgreich beenden. „Da ich selbst Taub bin, die Gebärdensprache auch schon gelernt hatte, wollte ich mich intensiver mit dieser Thematik auseinandersetzen und mich fortbilden,“ erläutert sie. In Absprache mit der Ordensleitung wurde ihr dann das Studium ermöglicht. Da Mitschwestern in Berlin Marzahn im Don Bosco Zentrum arbeiten, habe sie sich für Berlin entschieden, um an der Humboldt Universität zu studieren.
Die Situation für Gehörlose in Deutschland
Sie scheint zufrieden mit ihrer Wahl: „Mein Studium „Deaf Studies“ hat mir ermöglicht, mich selbst mit meiner Identität „Taub“ auseinanderzusetzen und Gebärdensprache nach System zu lernen,“ sagt sie. Dadurch sei sie in ihrer eigenen Identität gestärkt worden. Einer ihrer erfahreneren Tauben Dozenten habe auch veranlasst, dass sie sich einer speziellen Untersuchung in der Charité unterzog. Nach komplizierten Untersuchungen wurde sein Verdacht bestätigt, dass es sich bei ihrer Behinderung um das sogenannte „Usher-Syndrom“ handelt - eine vererbte Hörsehbehinderung.
Die Situation der Gehörlosen in Deutschland befindet sich Schwester Judiths Meinung nach im Mittelfeld. Andere Länder seien da schon deutlich weiter. „In Amerika gibt es beispielsweise bereits eine Universität für Gehörlose und bessere technische Ausstattung. Auch in Skandinavien gibt es eine bessere Bildungsmöglichkeit für Gehörlose und auch das Recht für den Einsatz an Gebärdensprachdolmetschern in mehr Bereichen als in Deutschland.“ Dem Fortschritt stehe hier vor allem noch die Bürokratie im Weg.
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Andererseits seien die Gehörlosen in Deutschland in einer besseren Situation als zum Beispiel in Italien. Dort wurde die Gebärdensprache erst 2021 als eigenständige Sprache anerkannt. Ohne Anerkennung der Gebärdensprache haben Gehörlose kein Recht auf Kostenübernahme von Gebärdensprachdolmetschern seitens des Staates, sondern müssten selbst zahlen oder dürfen manchmal gar keine Übersetzer zu einem Termin mitbringen.
Der Kurs an der VHS bringt Erfahrung
Wenn sie nicht gerade ihren Mitschwestern bei technischen Problemen mit Handy, Tablet und Co. hilft, engagiert sich Schwester Judith im Netzwerk „Taub und Katholisch“. Zudem hat sie zwei Jobs als Gehörlosenseelsorgerin: Einen seit September im Bistum Paderborn, den anderen ab Oktober in Bigge. „Um außerdem als Gebärdensprachdozentin arbeiten zu können, benötige ich noch mehr Erfahrung und nehme deshalb an einer Fortbildung in Köln teil“, erzählt sie. „Dafür muss ich unter anderem VHS-Kurse ausarbeiten und durchführen, um die abschließende Qualifikation zu bekommen.“ Deswegen sei sie auch auf die VHS im Hochsauerlandkreis zu gegangen, um Praxiserfahrungen zu sammeln.
„Ich möchte Neues aufbauen und Kirche für Taube Menschen attraktiver machen“, sagt Schwester Judith. Während für hörende Gläubige zahlreiche Gottesdienstbesuche möglich seien, gebe es für Gläubige mit einer Gehörbehinderung oft nur einen Gottesdienst im Monat, der häufig auch eine weite Anreise mit sich brächte. „Deshalb sind unbedingt gebärdensprachliche Mitarbeiter in der Kirche notwendig.“ Ihr nächster Schritt ist es aber erst einmal Gebärdensprache in ihrem Kurs an der Volkshochschule HSK zu vermitteln.