Hallenberg. Pause beendet: Die Freilichtbühne Hallenberg startet durch. Wie aus einem 65-Kilo-Mann ein Bauchträger und dann eine Dragqueen wird:

„Es wird wirklich ganz schön dick aufgetragen“, sagt Georg Glade. Dick auftragen – das ist nun mal die Kunst im Theater. In diesem Fall meint der 65-Jährige aber die Schminke, die ihm ins Gesicht kommt. Denn in dem Reeperbahn-Musical „Heiße Ecke“, das nach der Sommerpause nun wieder auf der Freilichtbühne Hallenberg zu sehen ist, spielt er gleich zwei Figuren. Für das Team der Maske bedeuten die kleinen Rollen aber großen Aufwand. Erst wird Glade zum künstlich bebauchten, biederen Frittenbuden-Fan „Günther Krumpendorf“, dann zum Travestiestar auf hochhackigen, roten Lackschuhen.

Lesen Sie auch: Coole Sprüche an der Heißen Ecke in Hallenberg

Ins komische Fach gerutscht

Eigentlich ist Georg Glade ein ganz ruhiger und besonnener Mann. Bis zu seiner Pensionierung arbeitete er als Personalentwickler und Ausbildungsleiter beim Heizungshersteller Viessmann in Allendorf. Glade ist kirchlich engagiert, seit Jahren Stadtarchivar und Kenner der Hallenberger Geschichte. Vor einigen Jahren kam er zum Theater, übernahm die Aufgaben des Bühnensprechers und rutschte mehr oder weniger ungewollt ins komische Fach. „Ich habe auch schon den Papst gespielt und würde bei der Passion gern als Apostel oder im Hohen Rat mitmachen.“ Aber zuletzt landete er immer im Metier Komik. Für die „Heiße Ecke“ wollte Regisseur Uwe Bautz die Rolle eines Transvestiten komplett streichen. Glade fand sie aber eigentlich ganz facettenreich: „Dann musst Du sie aber auch spielen“, so Bautz.

Georg Glade schlüpft u.a. in die Rolle einer Dragqueen. 
Georg Glade schlüpft u.a. in die Rolle einer Dragqueen.  © WP | Thomas Winterberg

Zwei Stunden vor jeder Aufführung ist das Team der Maske schon am Platz: „Noch vor dem Soundcheck muss die Schminke ins Gesicht. Denn bereits für die Proben werden die Mikros auf die Haut geklebt und danach geht nichts mehr“, sagt Uta Paffe, die seit Jahren das Sagen über Puderquaste, Pinsel und Kajalstifte hat. „Wegen Corona ist vieles anders. Längst kann nicht mehr jeder mit seinen Fingern mal eben in den Nivea-Tiegel greifen. Jeder hat seine eigenen Farbtöpfe, seine Schwämmchen und Microfasertücher; manche grundieren auch schon zu Hause“, erklärt die Fachfrau.

Premiere auf der Freilichtbühne Hallenberg

weitere Videos

    Vom Dickbauch zur Dragqueen

    Der Wandel des Georg Glade bzw. des „Günther Krumpendorf“ zur Dragqueen ist auch für sie und ihre Mannschaft immer eine besondere Herausforderung – wenngleich sie seit „Manche mögen’s heiß“ oder „Charley’s Tante“ damit schon Übung haben, Männer zu Frauen zu machen. Es macht den Damen Spaß, dem Georg auch schon mal für die Abendvorstellung besonders lange künstliche Wimpern anzukleben. „Es gibt die inzwischen sogar magnetisch; das ist ein Metall in der Lidschicht eingearbeitet, an dem die Wimpern dann festpappen. Aber wir machen es wie immer mit Klebe“, sagt Uta Paffe.

    Lesen Sie auch: Freilichtbühne Hallenberg inszeniert „Der gestiefelte Kater“

    Georg Glade hat ein Weilchen gebraucht, um als Mann in aufreizenden Frauenklamotten eine gewisse Schüchternheit abzulegen. So geht es auch manchen Frauen, die in dem Stück mit greller Schminke und schrillen Perücken zu Bordsteinschwalben mutieren. Glade hat zu Hause das Gehen in den Stöckelschuhen geprobt und will auch jetzt zu Beginn der zweiten Spielzeit noch etwas üben.

    Die Verwandlung

    Gute 20 Minuten dauert übrigens seine Verwandlung. „Ich muss sagen, dass ich das durchaus genieße. Die Damen um mich herum sind immer sehr nett, wir scherzen, erzählen dabei und haben immer viel Spaß. Für mich hat das etwas von einer Behandlung im Beauty-Salon. So stelle ich es mir jedenfalls vor“, sagt Glade.

    Die Verwandlung an sich könnte aber auch nicht krasser sein. Das maximal 65 Kilo schwere Leichtgewicht wird in der Anfangsszene zum Kiezbesucher mit Wohlstandsbauch gemacht. „Dafür muss ich mir einen Gürtel umschnallen, der vorne einen Schaumstoffbauch hat. Das geht ja noch fix.“ Danach geht es zurück in die Maske, wo der Günther zu einer Art Olivia Jones wird. „Ich habe mir sogar ihre Biografie gekauft und mich eingelesen. Das hat geholfen, um mich mit der Rolle zu identifizieren.“

    Noch Karten für alle Vorstellungen erhältlich

    Die Sommerpause auf der Freilichtbühne ist zu Ende. Am Samstagabend um 20 Uhr geht die „Heiße Ecke“ über die Bühne und am Sonntag um 15.30 Uhr läuft das Familienstück „Der gestiefelte Kater“. Bislang ist beim Publikumsbesuch aber noch jede Menge Luft nach oben; die sonst üblichen Zuschauerzahlen sind noch lange nicht erreicht. Dabei sind die Besucher, die bislang dort waren, sehr begeistert. Das Reeperbahn-Musical besticht durch seine eingängigen Songs und das rasante Tempo, in dem 24 Stunden Hamburg-Alltag mit Freund und Leid abgebildet werden.

    Aber auch das Familienstück „Der gestiefelte Kater“ ist eine zauberhafte Geschichte und ein Beispiel dafür, wie man einen bekannten Märchenstoff für die heutige Zeit kindgerecht und mit sehr schöner Musik (Stefan Wurz) frisch und erfrischend in Szene setzen kann. „Nicht nur die Zuschauer haben viel Spaß - auch das Ensemble“, sagt Bühnensprecher Georg Glade und berichtet von einem Termin vor einigen Wochen, der wegen Corona unter einigen Mitspielern fast ins Wasser gefallen wäre. „Dem Team war es freigestellt, die Aufführung abzusagen oder dennoch zu spielen. Es gab Umbesetzungen und selbst Regisseurin Bärbel Kandziora ist mit eingesprungen, damit tatsächlich gespielt werden konnte.“

    Bis zum 4. September läuft die Spielzeit. Wer sich im Familienstück „Der Gestiefelte Kater“ den einzigen Abendtermin am 19. August ausgewählt haben sollte, den erwartet eine Vorstellung mit Lichteffekten nach der Aufführung.

    Karten und weitere Infos unter www.freilichtbuehne-hallenberg.de oder 02984 929190.

    Der zweite Teil der „Heißen Ecke“ beginnt mit dem Einzug der Dragqueen von hinten durch den Zuschauerraum nach vorne auf die Bühne. „Ich taste mich dann vorsichtig heran, damit mich das Publikum vorher nicht sehen kann. Wenn dann trotzdem zwei, drei Zuschauer noch nicht auf ihrem Platz sind, dann mache ich sie ein wenig an; ,Na, ihr Süßen, wollt ihr nicht langsam mal auf eure Plätzchen gehen?“

    Das Team der Maske nimmt sich Georg Glade vor.
    Das Team der Maske nimmt sich Georg Glade vor. © WP | Bühne

    Das Team von der Maske steht nie im Rampenlicht. Wie arm und matt würde dies aber dümpeln, wenn es nicht auf konturierte Augen, breite Brauen, prall-rote Münder oder schräge Frisuren stoßen würde. „Ja, gerade bei den Frisuren sind wir froh, dass uns mit der amtierenden Schützenkönigin eine Friseurmeisterin zur Seite steht.“ Denn manchmal muss es schnell gehen, zumal einige Akteure mehrere Rollen spielen. Dann stehen Uta Paffe und ihr Team schon startklar hinter der Bühne und machen aus dem Schnorrer einen Mann von der Müllabfuhr oder aus der Prostituierten eine Dame vom Grill - oder eben den Herrn Glade zur schrillen Kiezfigur.