Hochsauerland. Der Tod eines Kleinkindes in Winterberg und die juristische Aufarbeitung haben nachhaltige Auswirkungen auf die Jugendarbeit – nicht nur im HSK:
Jugendarbeit, Kinderfrühförderung, Unterstützung bei der Erziehung - das Feld „Familie“ ist groß. Und die Nachfrage nach Hilfen auch. Mit einer neuen Koordinatorin ist jetzt die Netzwerkarbeit der Frühen Hilfen wieder gestartet. Anna Reich hat im August 2021 die Aufgabe im Kreisjugendamt im Hochsauerland übernommen, die kommunalen Netzwerke aufzubauen und zu organisieren. Nachdem es wegen Corona kaum möglich war, Treffen zu organisieren, nimmt die Arbeit vor Ort jetzt wieder Fahrt auf. Anna Reich erklärt, warum das Arbeiten mit Netzwerken so wichtig ist.
Kinderschutz ist ein heikles Thema: Erst Ende 2020 hat das OLG Hamm einer Mitarbeiterin des HSK Jugendamtes eine Mitschuld am Tod eines zweijährigen Jungens gegeben. Hat das Urteil Auswirkungen auf Ihre Arbeit und die der Kollegen/innen?
Der Prozess hat erhebliche Auswirkungen nicht nur auf die Fachkräfte des Kreisjugendamtes sondern auf die Fachwelt insgesamt. Unter Berücksichtigung des Urteils und rechtlicher Neuerungen hat das Kreisjugendamt die „Handlungsanweisung zur Kindeswohlgefährdung“ überarbeitet. Diese war Inhalt einer gemeinsamen Fortbildung und soll dem Kreisjugendhilfeausschuss am 24. Mai vorgestellt werden.
Netzwerk „Starke Kinder – starke Jugend“
Können Sie bitte kurz erklären, worum es bei der Netzwerkarbeit der Frühen Hilfen geht? Was ist das? Wer kann das wie in Anspruch nehmen?
Der Gesetzgeber hat im Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) die Jugendämter verpflichtet, alle Berufsgruppen, die mit (werdenden) Eltern, Kindern, Jugendlichen und Familien arbeiten, miteinander zu vernetzen, um zur Verbesserung des präventiven und strukturellen Kinderschutzes beizutragen. So sollen flächendeckend alle Träger der Jugendhilfe und der sozialen Dienste, Polizei und Ordnungsbehörden sowie Kindertageseinrichtungen und Schulen, das Gesundheitsamt und die verschiedenen Heilberufe in einem Netzwerk zusammenfinden.
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Was passiert bei diesen Netzwerktreffen?
In den Netzwerktreffen geht es dann darum, sich über bestehende Angebote und Strukturen gegenseitig zu informieren und vor allem auch strukturelle Fragen zur Angebotsgestaltung und Weiterentwicklung zu klären. Die Schwerpunktthemen der Treffen sind vielfältig. Der Austausch über Angebote und Strukturen vor Ort ist dabei genauso wichtig, wie z.B. Fachvorträge zum Umgang mit bestimmten Alltagssituationen wie Migration, Coronapandemie, psychische Erkrankungen oder auch Handlungsschritte bei Kindeswohlgefährdung.
Vermutlich haben nicht alle Städte und Kommunen dieselben Probleme?
Die Gewichtung der Themen variiert von Kommune zu Kommune. In Vorgesprächen mit regionalen Vertretern wird besprochen, welches Thema für die jeweilig tätigen Fachleute vor Ort derzeit Priorität hat. Der Name „Netzwerk Frühe Hilfen“ wurde in diesem Jahr geändert in Netzwerk „Starke Kinder – starke Jugend“, um auch Fachleute, die mit älteren Kindern und Jugendlichen arbeiten, stärker anzusprechen und mit einzubeziehen. Darüber hinaus sollen neben dem Thema Kinderschutz auch weitere Aspekte Berücksichtigung finden. Themen wie Sozialraumanalyse, Angebotsvielfalt/kommunale Präventionsketten etc. sollen Aufschluss über die Lebenssituation von Kindern, Jugendlichen und Familien in der Region geben und Bedarfe verdeutlichen. Ein spannendes Thema, welches ohne eine Zusammenarbeit verschiedener Fachexpertisen kaum möglich erscheint.
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Können Sie bitte ein, zwei Beispiele nennen und schildern, bei denen Ihre Hilfe in Anspruch genommen wird?
Beispiel A: Familie X äußert einen Hilfebedarf, der sich, wenn keine Abhilfe geschaffen wird, auf lange Sicht sehr negativ auf die Entwicklung ihres Kindes auswirken wird. Die Fachstelle - das kann die Arztpraxis sein, der Kindergarten, Schule, Beratungsstelle, Jobcenter oder die Polizeiwache - in der das Gespräch stattfindet, würde gerne helfen, hat aber selbst nicht die geeigneten Mittel und passenden Hilfsangebote. Im Netzwerktreffen sollen alle Teilnehmer die Möglichkeit haben, sich über Angebote für Familien gegenseitig zu informieren und ihre Kooperation zu intensivieren. So kann eine Vermittlung von Hilfsangeboten für Familie X schnell und effektiv stattfinden. Im besten Fall weiß dann die Fachstelle sowohl welche Angebote sich für die Familie eignen und wie sich der Zugangsweg gestaltet. All diese Informationen tragen zu einem besseren präventiven Kinderschutz bei.
Angebot aktuell nur auf Medebach, Brilon, Winterberg und Olsberg
Haben Sie noch ein zweites Beispiel?
Ja, der Jugendtreff teilt im Netzwerk mit, dass viele Jugendliche nicht mehr kommen. Im Austausch mit der ebenfalls anwesenden Schule wird deutlich, dass Schulschluss und Öffnungszeiten des Jugendtreffs besser aufeinander abgestimmt werden müssen.
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Wie, wo und wann finden diese Treffen statt?
In Kooperation mit den sozialen Fachbereichen der Kommunalverwaltungen wird eine Teilnehmerliste erstellt, die möglichst alle genannten Berufsgruppen, Träger und Anbieter berücksichtigen soll. Die Treffen finden in der Regel mittwochs nachmittags von 16 bis 18 Uhr statt. So soll auch Ärzten und medizinischen Angestellten die Gelegenheit zur Teilnahme ermöglicht werden. Die Räumlichkeiten werden individuell ausgewählt.
Warum ist das Angebot aktuell nur auf Medebach, Brilon, Winterberg und Olsberg beschränkt?
Der Aufbau der Netzwerke erfolgt schrittweise, besteht aber grundsätzlich als Angebot für alle Städte und Gemeinden des Einzugsgebietes des Kreisjugendamtes. Seitens des Jugendamtes ist ein weiterer Ausbau erwünscht, um den multiprofessionellen präventiven Kinderschutz flächendeckend weiter zu entwickeln. Nach den Errichtungen der Netzwerke in den Kommunen Brilon, Olsberg, Winterberg, Meschede und Medebach, finden derzeit auch Gespräche mit den Städten und Gemeinden Marsberg, Eslohe, Hallenberg und Bestwig statt. Allerdings ist es nicht das Ansinnen des Jugendamtes, um jeden Preis ein Netzwerk aufzubauen. Es gibt in vielen Kommunen bereits Netzwerkstrukturen und es gilt individuell zu überprüfen, inwiefern ein weiteres Netzwerk auch den erwünschten Zweck und Nutzen erfüllt. Daher ist es kein Automatismus, in jeder Kommune auch ein Netzwerk „Starke Kinder – Starke Jugend“ zu errichten.
Warum ist es so wichtig, Netzwerke zu bilden?
Eine Redewendung lautet: „Ein ganzes Dorf erzieht ein Kind!“ Wie schön wäre es da für ein Kind, wenn sich die einzelnen Erziehungsakteure miteinander abstimmen und eine Familie an vielen verschiedenen Stellen kompetente Beratung und Vermittlung erfährt. Nicht jeder Elternteil schafft es, sich via Internet den richtigen Ansprechpartner zu suchen oder kapituliert, wenn er zum 12. Mal den Satz: „Dafür sind wir nicht zuständig!“ hört. Durch ein kompetentes Begleiten und Vermitteln von Eltern in Helfersystemen erhalten letztlich deren Kinder und Jugendliche die Hilfe, die sie benötigen und die ihnen auch zusteht. Die Netzwerkteilnehmer tragen so zu mehr Chancengleichheit und -gerechtigkeit für junge Menschen bei. So werden Bedarfe in Familien oft frühzeitig aufgefangen und ein gelingendes Aufwachsen wird gefördert.