Marsberg. Die Sorge ist groß: Würde Russland seine Gaslieferung für Deutschland einstellen, gingen beim Glashersteller Ritzenhoff in Marsberg die Öfen aus:
Polen und Bulgarien bekommen schon mal kein Gas mehr aus Russland. Deutschland und die deutsche Industrie sind alarmiert. Viele Unternehmer fürchten sich vor einem Lieferstopp für Gas aus Russland. Für viele von ihnen geht es um nicht mehr, als die Existenz. So auch für den Glashersteller Ritzenhoff aus Essentho. Ohne Erdgas würden die Anlagen erkalten und zerstört – das Unternehmen bereitet sich auf das Schlimmste vor.
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160.000 Gläser pro Tag
Seit über 100 Jahren stellt die Ritzenhoff AG Gläser her. Von Biergläsern für die Schützenfeste bis zu Designer-Champus-Gläsern aus Bleikristall, mit Kristallen veredelt. Mit über 430 Mitarbeitern werden an vier parallellaufenden Glasproduktionslinien täglich bis zu 65 Tonnen flüssiges Rohglas zu 160.000 Gläsern verarbeitet. „Mit über 30 Vertriebspartnern weltweit produzieren und vertreiben wir Glas in jeder Form und Funktion“, sagt Matthias Mönnighoff. Der Marsberger ist stellvertretender Betriebsleiter und zuständig für den Energieeinkauf. Eine solche Situation hätte er sich vor dem Ukraine-Krieg niemals auch nur vorstellen können, sagt er im Gespräch mit der WP. Ganz zu schweigen von den enorm gestiegenen Energiepreisen.
Firmeninterner Krisenstab
Allein 100 Gigawatt Erdgas im Jahr wird für die Hightech-Produktion verbraucht. Das Erdgas hält bei 1.500 Grad Celsius die Glassuppe in den zwei Schmelzwannen am Kochen, ein Gemisch aus Quarzsand, Soda, Kalk, Pottasche und Kalisalpeter, „Ohne Gas kein Glas, so einfach bringt es unser Vorstandsvorsitzender Dr. Axel Drössler auf den Punkt“, sagt Matthias Mönnighoff und wird ernst. „Ohne Gas können wir nicht mehr produzieren.“ Dann droht uns ein Totalschaden.
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Ein firmeninterner Krisenstab hält die Lage um die Gaslieferungen aus Russland genau im Blick. Täglich veröffentlicht die Bundesnetzagentur den Notfallplan Gas. Schon im März hatte die Regierung die erste Stufe des Plans ausgerufen. Mönnighoff: „Im Moment gibt es keine Mangellage. Der Füllstand der deutschen Gasspeicher ist normal.“
Da aber niemand wirklich weiß, wie weit der russische Aggressor tatsächlich gehen wird, „arbeiten wir an mehreren Notfallplänen zur Reduzierung oder Abschaltung der Produktion“, so Mönnighoff weiter. Mit dem Haltebetrieb würden die Anlagen warmgehalten aber nicht mehr produzieren.
Glasproduktion rund um die Uhr
Das Problem ist, die Produktion muss rund um die Uhr laufen. „Die Schmelzwannen haben das heiße
Wenn Putin Gas abdreht
Bei einem Stopp der Gaslieferungen aus Russland würde die dritte Stufe des Notfallplans Gas der Bundesregierung greifen, in der die Bundesnetzagentur bei akuten Engpässen entscheidet, welche Abnehmer noch Gas erhalten und welche nicht. Im März hatte die Regierung als vorsorgende Maßnahme die erste Stufe des Plans ausgerufen. Seit Monaten arbeitet das Bundeswirtschaftsministerium daran, die große Abhängigkeit Deutschlands von russischen Gaslieferungen zu verringern. Statt 55 Prozent wie zu Beginn des Krieges kommen laut Habeck aktuell nur noch 35 Prozent des deutsches Gases aus Russland.
geschmolzene Glas in sich und müssen kontinuierlich beheizt werden“, so Mönnighoff. Die Anlagen werden 24 Stunden, sieben Tage die Woche betrieben. Wenn die Öfen ausgeschaltet werden, würde die Rohmasse Glas aushärten.
„Der schlimmste Fall wäre, wir bekommen kein Gas mehr. Dann müssten wir die Anlagen abschalten. Das flüssige Glas müsste abgelassen werden. Und Feierabend. Dann können wird den Laden hier dicht machen.“ Wenn die Schmelzwannen einmal erkaltet sind, lassen sie sich nicht ohne weiteres wieder aufheizen. Eine Anlage kosten zwischen 5 bis 6 Millionen Euro. Alle zehn Jahre werden sie ausgetauscht.
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Das Unternehmen bereitet sich also auf alle Szenarien vor. Mönnighoff: „Wir hoffen und gehen eigentlich nicht davon aus, dass es soweit kommen wird und wir abschalten müssen. Aber zu 100 Prozent kann man es nicht ausschließen.“ Dementsprechend seien alle 430 Mitarbeiter in großer Sorge. „Täglich geben wir den aktuellen Füllstand bekannt“, so Mönnighoff. Für ihn gibt es nur einen Ausweg: „Die Politik muss alles dafür tun, dass der Gasfluss für die Industrie gesichert ist.“