Winterberg. 24-Stunden-Radrennen kennt man. Aber 24-Stunden-Bibellesung? Eine ungewöhnliche Aktion startet Samstag in Winterberg. Warum 24 Menschen das tun:

Es ist eine kuriose, aber spannende Idee. 24 Männer und Frauen lesen 24 Stunden lang aus dem Neuen Testament. Non stop, tagsüber und nachts. Vermutlich schaffen es die 13 Frauen und 11 Männer, die Geschichte von Jesus, seinen Anhängern und sein Wirken komplett vom Anfang bis zum Ende vorzulesen. Am Samstagmorgen um 9.30 Uhr beginnt die Aktion in der Kapelle des Winterberger St.-Franziskus-Hospitals. Am Palmsonntag um 9.30 Uhr endet sie mit einem Gottesdienst in der Winterberger Pfarrkirche. Die Idee zu der 24-Stunden-Lesung stammt von Gemeindereferent Jörg Willerscheidt.

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Einen Tag lang rund um die Uhr aus dem Neuen Testament lesen - was hat Sie zu dieser Aktion inspiriert und was macht für Sie den Reiz aus?

Jörg Willerscheidt: Ich bin ein großer Fan des Schauspielers Ben Becker. Seine Bibel-Lesungen mit dieser markanten tiefen Stimme sind eine echte Performance. Und daher hat es mich gereizt, dass unterschiedliche Menschen mit ihrem jeweils eigenen Sound und ihrer eigenen Art zu sprechen, aus dem Neuen Testament vorlesen. Ein Lektor in der Kirche hat Zeit, um sich auf eine relativ kurze Passage in der Lesung vorzubereiten. Dabei geht ihm das Moment der Spontaneität verloren. Das ist hier anders. Bei der „Staffelübergabe“ macht der nächste Vorleser dort weiter, wo sein Vorredner aufgehört hat. Jeder liest eine ganze Stunde lang nach seinem eigenen Tempo.

So sieht die Krankenhauskapelle in Winterberg aus. 24 Männer und Frauen werden dort nacheinander 24 Stunden in einem Ohrensessel Platz nehmen und non stop das komplette Neue Testament vorlesen.
So sieht die Krankenhauskapelle in Winterberg aus. 24 Männer und Frauen werden dort nacheinander 24 Stunden in einem Ohrensessel Platz nehmen und non stop das komplette Neue Testament vorlesen. © WP | privat

Warum ist diese Spontaneität so wichtig?

Als aktiver Sänger in einer Rockband weiß ich, dass auch ich schnell und spontan reagieren muss. Es gibt im Publikum und bei mir selber immer eine andere Tagesverfassung. Das muss man erspüren, reagieren, weil sich daraus eine eigene Dynamik entwickelt. Es ist spannend für den, der liest. Es ist aber auch spannend für jemanden, der sich vielleicht nachts um 1 Uhr entschließt, für ein paar Minuten oder eine Stunde einfach vorbeizukommen und zuzuhören.

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Beschreiben Sie doch bitte mal die Atmosphäre, in der diese Lesung stattfinden wird?

Kennen Sie das Sofa von Loriot? Wir haben bewusst so einen ähnlichen Sessel gewählt, um den religiösen Part herauszunehmen. Wir lesen aus dem Leben, aus dem Alltag Jesu. Daher benutzen wir übrigens auch nicht die Einheitsübersetzung, sondern die Fassung von Fridolin Stier. Diese Fassung hat für mich eine ganz andere dichterische Schönheit. Sie ist sprachlich nicht so schwärmerisch und verklärend. Jesus wird mir dadurch viel menschlicher, wird ein sehr konkreter Typ. Der Kapellenraum ist abgedunkelt, von einigen bunten Farblichtern illuminiert. Wer will, kann in ein Mikrofon sprechen, muss aber nicht. Es gibt etwa zu trinken, einen kleinen Snack – sowohl für Besucher als auch für die Vorleser.

Bitte vervollständigen Sie diese Sätze:

Ich lese in der Bibel,
weil sie das Leben, unser Leben, fernab jeder Komfortzone abbildet und Hoffnung schenken kann.

Wenn ich mal richtig sauer bin, dann schreibe ich Texte für meine Band oder kaufe Vinylplatten.

Glaube bedeutet für mich,
nicht alleine sein zu müssen.

Kirche bedeutet für mich
Heimat.

Niemals verzichten
könnte ich auf meine Familie, gutes Essen, Rauchen.

Warum findet das Ganze in der Krankenhauskapelle statt?

Das Neue Testament enthält viele Heilsgeschichten. Das sind viele Berichte darüber, dass Jesus den Menschen Besserung oder Genesung gegeben hat. Auf diese Art hören wir die Worte Jesu und seine Geschichten an dem Ort, an dem er damals gewirkt hätte oder heute wirken würde. Das ist ein schöner Gedanke. Die Lesung wird daher auch komplett über den Krankenhaus-Sender in jedes einzelne Krankenzimmer übertragen.

War es schwierig, 24 Leute zu finden, die mitmachen? Ich meine, wer liest schon gerne freitags nachts um 3 Uhr aus der Bibel?

Gemeindereferent Jörg Willerscheidt ist der Initiator der Aktion. Er ist 46 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und sagt von sich selbst, dass er die israelische Küche und das Rauchen liebt. Seine Stimme ist übrigens ähnlich tief wie die von Schauspieler Ben Becker, der ihn zu dieser Aktion inspiriert hat.
Gemeindereferent Jörg Willerscheidt ist der Initiator der Aktion. Er ist 46 Jahre alt, verheiratet, hat zwei Kinder und sagt von sich selbst, dass er die israelische Küche und das Rauchen liebt. Seine Stimme ist übrigens ähnlich tief wie die von Schauspieler Ben Becker, der ihn zu dieser Aktion inspiriert hat. © WP | privat

Ich war überrascht, wie viele die Idee spontan positiv aufgenommen haben. Natürlich ist es eine besondere Herausforderung, spät nachts noch zu lesen. Aber das kann ja auch sehr aufregend sein und Überraschungen mit sich bringen. Die jüngste Teilnehmerin ist 18, die älteste über 60. Aus dem Kreis der Teilnehmer bei den wöchentlichen Friedensgebeten, die wir gemeinsam mit den evangelischen Christen veranstalten, kamen spontan Zusagen. Der Bürgermeister ist dabei, die evangelische Pfarrerin. Ganz unbewusst wird die Aktion dadurch zu einer gemeinsamen christlichen Aktion, zu gelebter Ökumene.

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Mit wie vielen Zuhörern/innen rechnen Sie?

Alles mehr als keiner wäre super. Mir ist bewusst, dass da nicht Scharen von Zuhörern kommen werden. Ich glaube aber, dass es für die 24 Leserinnen und Leser ein besonderes Erlebnis sein wird und dass sie etwas davon haben. Daher wollen wir uns auch in einer Nachbereitung noch einmal treffen und unsere Erfahrungen austauschen.

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Haben Sie mal getestet, wie lange man für das komplette Neue Testament braucht?

Ja, ich bin auf 22 Stunden gekommen. Einen Teil habe ich vor dem Beginn des Ukrainekrieges gelesen, einen weiteren Teil, als der Horror schon begonnen hatte. Ich habe dabei gemerkt, dass ich zum Beispiel die Thematik der Hoffnung ganz anders wahrgenommen habe – nicht mehr hell und bunt, sondern viel intensiver. Unser Alltag ist leider zu schnell und zu egozentrisch geworden, vieles wird in der Hektik erstickt. Beruflich arbeite ich oft mit biblischen Texten und bekomme dadurch eine andere Wahrnehmung davon. Ich finde immer wieder neue Facetten im Neuen Testament mit sehr viel Bezug zum Alltag – das ist alles andere als verstaubt oder uncool.