Brilon/Münster. Eine überraschende Wende nahm die Briloner Redezeit-Klage vor dem OVG in Münster. Damit hatten die Parteien nicht gerechnet.

Der Rechtsstreit um die Redezeit im Rat Brilon ist aus der Welt. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat das Verfahren am Mittwoch eingestellt, nachdem die Vertreter von BBL, FDP und Die Linke ihre Klage zurückgenommen hatten. Freiwillig strichen die Kläger die Segel allerdings nicht. Nach Anhörung der Standpunkte hatte der Vorsitzende Richter des 15. Senats, Sebastian Beimesche, beide Seiten wissen lassen, dass man - im Gegensatz zum Verwaltungsgericht Arnsberg in erster Instanz - Zweifel an der Zulässigkeit der Klage habe und sie im Falle eines Urteils wohl abweisen werde.

Soweit kam es jedoch gar nicht mehr. Die Kläger waren zur Zurücknahme bereit, sofern Bürgermeister Dr. Christof Bartsch als Vertreter der Gegenseite dem Gericht zu Protokoll geben würde, alsbald den von ihm bereits im Januar 2020 vorgestellten Kompromiss erneut dem Rat zur Abstimmung vorzulegen.

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Der als Zuhörer ebenfalls in Münster an der Sitzung teilnehmende SPD-Fraktionssprecher Hubertus Weber gab nach einem Telefonat mit der stv. Fraktionssprecherin der CDU, Karin Bange, dem Bürgermeister und dem Senat das Signal, dass beide Fraktionen nach wie vor zu dem im Januar vergangenen Jahres vom Bürgermeister vorgelegten Kompromiss stehen.

Richter: Rat besitzt Handlungsspielräume

Grund für die Zweifel an der Zulässigkeit der Klage: Nach Ansicht des Senats reiche die abstrakte Festlegung einer Redezeitbegrenzung nicht aus, um damit eine konkrete Beschneidung der Mitwirkungsrechte eines Ratsmitgliedes zu begründen. Wesentlich sei, wie eine solche Regelung „in der Praxis gelebt“ werde. Da hätten die Rats- und Ausschussvorsitzenden auch in Brilon Handlungsspielräume.

Ob die von CDU und SPD beschlossenen Redezeiten von zwei Wortbeiträgen zu höchstens fünf Minuten rechtlich noch vertretbar sind, sei das Eine - „Ob das sinnvoll ist, sei dahin gestellt“, sagte der Vorsitzende Richter. Inhaltlich könne man sich den Aussagen der ersten Instanz in Arnsberg zu den Ausschüssen anschließen: Es gebe „gut Gründe“, der Meinungsbildung dort in kleinerem Kreis „mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das Verwaltungsgericht hatte die Redezeit im Dezember 2019 von zweimal fünf Minuten im Rat zwar für rechtens angesehen, für die Ausschüsse jedoch mehr Zeit eingefordert.

Daraufhin hatte Bürgermeister Dr. Bartsch dem Rat eine neue Redeordnung vorgelegt, die im Rat die beiden Wortbeiträge von höchstens fünf Minuten beibehielt, für die Ausschüsse allerdings drei Wortmeldungen von je sieben Minuten vorsah. Zudem sollten in besonderen Fällen mit besonderem Informations- und Diskussionsbedarf Ausnahmen möglich sein.

Damit konnten letztlich alle Fraktionen leben, nicht aber mit dem Procedere. Die CDU wollte sich nur dann darauf einlassen, wenn BBL, FDP und Die Linke ihre Klage vor einer Beschlussfassung zurückzögen. Das taten sie jedoch nicht - aus verständlichem Grund, wie der Vorsitzende Richter am Mittwoch sagte: „Sie wollten dieses Faustpfand nicht aus der Hand geben.“

An der Verhandlung nahmen von den Klägern Reinhard Loos (BBL), Dr. Alexander Prange (FDP) und Reinhard Prange (Die Linke) teil; verhindert waren die damalige BBL-Stadträtin Christiana Kretzschmar und FDP-Ratsherr Torsten Klaholz. Für die Stadt Bürgermeister Dr. Christof Bartsch.

Reinhard Loos: „Fühlen uns nicht als Verlierer“

„Wir fühlen uns nicht als Verlierer“, so Reinhard Loos nach der Entscheidung zur WP. Man habe das erreicht, was man habe erreichen wollen. Der vor fast zwei Jahren schon vorgelegte Kompromiss habe durch die gerichtsfest protokollierte Zusage des Bürgermeisters „eine andere Qualität“ erhalten.

Stadt trägt Kosten des Verfahrens

Der Senat legte den Streitwert für das Verfahren auf 10.000 Euro fest.

Da es sich um ein sog. Organverfahren handelt, hat die Stadt die Kosten zu tragen; Bürgermeister Dr. Bartsch will die Kosten umgehend ermitteln lassen.

Im Dezember 2019 hatte sich das Verwaltungsgericht Arnsberg mit dem Fall beschäftigt.

Gegen dessen Urteil hatten beide Seiten Berufung eingelegt.

Und auch Reinhard Prange (Die Linke) kann mit dem Vergleich „gut leben“. Ihn stelle zufrieden, dass „die andere Seite jetzt verpflichtet“ sei, diesen anzunehmen.

Karin Bange: Steuergelder verbrannt

SPD-Sprecher Hubertus Weber sagte, dass die Zeit, in der sich Mitte 2017 der Rat für die Reduzierung der Redezeit entschieden habe, nicht mehr mit der heutigen zu vergleichen sei. Anlass waren bekanntlich, so hatte es die CDU seinerzeit in ihrem Antrag formuliert, die vor allem vom damaligen BBL-Stadtrat Reinhard Loos praktizierten „Ermüdungsreden“ und Wortmeldungen, die meistens nicht „zu konstruktiven Lösungen und Erkenntnisgewinnen beigetragen“ hätten. Loos gehört dem im September vergangenen Jahres neu gewählten Rat nicht mehr an. Mit seiner Entscheidung habe der Senat, so Weber weiter, „Herrn Loos recht deutlich zurecht gewiesen“. Das sage er „ohne Häme“.

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CDU-Sprecherin Karin Bange hat die Entscheidung „mit Genugtuung zur Kenntnis genommen“. Der Rechtsstreit sei „völlig überflüssig“ und nur der „Verbohrtheit“ eines einzelnen zu verdanken gewesen. Bange: „Was wurden hier für Steuergelder verbrannt!“

Der Termin am OVG fand übrigens als Hybrid-Verhandlung statt. Per Video-Konferenz aus dem Rathaus Brilon zugeschaltet waren der Leiter des Ratsbüros, Clemens Mund, und Andrea Wind. Dafür hatte das OVG den Sitzungssaal eigens aufwändig technisch ausgestattet. Die beiden brauchten allerdings nicht zur Unterstützung hinzugezogen werden.