Winterberg. Schon sechsmal war Timo Bundkirchen aus Winterberg als Soldat im Afghanistan-Einsatz. Im Interview erzählt er, wie sich das anfühlt.
Krieg, Terroranschläge, Missachtung der Menschenrechte, Armut und Hunger – die Nachrichten aus Afghanistan sind seit vielen Jahren erschütternd und doch so weit weg von uns. Timo Bundkirchen aber hat selbst erlebt, was es heißt, in ständiger Bedrohung zu leben. Der Winterberger war als Bundeswehrsoldat bereits sechsmal in Afghanistan im Einsatz. Im Interview gibt er einen Einblick, wie sich das anfühlt.
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WP: Sie sind seit 2001 Soldat und haben mit der Bundeswehr bereits acht Auslandseinsätze absolviert, waren insgesamt rund drei Jahre außerhalb von Deutschland tätig. Wie ist das für Sie und Ihre Familie?
Zweimal schon war ich aufgrund von Auslandseinsätzen über Weihnachten und Neujahr nicht zu Hause. Das war nicht einfach. Besonders schwer war für mich der Einsatz 2016/2017. Da war ich in Afghanistan und konnte Weihnachten und Silvester nicht mit meiner Familie feiern und ich habe den ersten Geburtstag meiner Tochter verpasst. Es tut einem schon in der Seele weh, wenn man Kinder hat und nur über Video sehen kann, wie sie anfangen zu laufen und zu sprechen. Wenn man 5600 Kilometer weit von zu Hause weg ist, kann man nicht alles hautnah miterleben und man kann auch nicht alle Probleme aus der Ferne lösen. Umso wichtiger ist es, wenn man - wie ich - eine Frau als Rückhalt an seiner Seite hat.
Die ersten Eindrücke
Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Eindrücke in Afghanistan?
Ich war zum ersten Mal im Winter 2004 dort im Einsatz. Die Eindrücke und Erfahrungen, die ich damals dort gesammelt haben, waren nur sehr schwer zu verkraften: Die Kinder liefen barfuß durch den Schnee. Es herrschten bittere Armut, Korruption, Dreck und Gewalt. Es gab keine Infrastruktur, keine Bildung und die Frauen waren völlig verschleiert und völlig rechtlos. Besonders bedrückend für mich war, dass es 2003 einen Anschlag gegeben hatte, beim dem vier Soldaten aus unserem Bataillon gefallen sind. Außerdem gab es dabei viele Verletzte. Unsere Kameraden waren damals mit dem Bus auf dem Weg zum Flughafen, waren also auf dem Weg nach Hause. Das ist mir sehr nahe gegangen, zumal ich mit einigen der Soldaten zusammengearbeitet habe, die in diesem Einsatz an Leib und Seele verletzt wurden.
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Prägende Erfahrungen
Und trotzdem haben Sie sich für den Einsatz in Afghanistan entschieden?
Ja, das war für mich immer selbstverständlich. Ich bin Soldat. Das ist mein Beruf. Ich habe alle Auslandseinsätze freiwillig gemacht. Ich sehe das als meine Pflicht an und werde auch künftig an solchen Einsätzen teilnehmen. Wir haben als Soldaten viele Vorteile, aber wir haben auch viele Pflichten. Das weiß man ja auch vorher, wenn man sich für diesen Beruf entscheidet. Die Erfahrungen, die man bei solchen Einsätzen macht, sind sehr prägend. In Deutschland regen wir uns über sehr viele Dinge auf, obwohl es uns hier wirklich gut geht. Wir sehen es als selbstverständlich an, dass wir in Frieden leben und in einer Demokratie mit allen Freiheiten. Wenn man in so einem Einsatz ist, lernt man das, was man hier hat, zu schätzen.
Taliban haben den längeren Atem
Nach dem Abzug der amerikanischen und auch der deutschen Soldaten gab es rückblickend viel Kritik an dem 20-jährigen Afghanistan-Einsatz, da nun die Taliban wieder an der Macht sind. Was sagen Sie: War der ganze Einsatz, bei dem 59 deutsche Soldaten gefallen sind und der rund 12,3 Milliarden Euro gekostet hat, vergebens?
Rückblickend würde ich sagen: Es ist gut, dass wir Menschen geholfen haben und für Sicherheit gesorgt haben. Es ist gut, dass wir humanitär geholfen haben, Infrastruktur aufgebaut haben, Frauenrechte gestärkt, Armut bekämpft und Bildung möglich gemacht haben. Aber gelohnt hat es sich am Ende nicht, wenn man sieht, dass die Taliban den längeren Atem hatten. Leider war schon lange vorhersehbar, was passieren würde und deshalb habe ich Zweifel, ob die Maßnahme so wie sie durchgeführt wurde, sinnvoll war. Nur ein ganzheitlicher Ansatz hätte zum Erfolg führen können. Ich persönlich finde es sehr beschämend, dass man jetzt mit den Taliban verhandelt, die die Menschenrechte mit Füßen treten. Ich befürchte, dass das Land sich in kürzester Zeit so zurückentwickeln wird, wie es vor 2001 war. Deshalb blicke ich mit großer Trauer zurück und mit großer Sorge in die Zukunft dieses Landes.
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So hat sich der Einsatz verändert
Wie konnte es passieren, dass die Taliban, deren Schreckensherrschaft man beenden wollte, am Ende doch wieder an der Macht sind?
Nur, wer die Geschichte Afghanistans versteht und die Fehler der Vergangenheit vermeidet, kann verhindern, dass sich negative Ereignisse und Entwicklungen in der Zukunft wiederholen. Deshalb hätte man wissen können: Wenn man dort etwas erreichen will, muss man in die Stammesgebiete. Geprägt durch die Geschichte mit verschiedenen Besatzern und wechselnden Bündnispartnern leben die Menschen in Afghanistan nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Diese Hintergründe sind von der Politik meiner Meinung nach nicht genügend berücksichtigt worden. Man ist sehr blauäugig in den Afghanistan-Einsatz hineingegangen. Und so wurde aus einem anfänglichen humanitären Einsatz ein Kriegseinsatz. Die Bedrohungslage hat sich im Laufe der Jahre immer mehr verschärft. Das wollte die Politik lange nicht wahrhaben. Hinzu kommt, dass viele Menschen in den ländlichen Regionen gar nicht von den Veränderungen profitiert haben und entsprechend gab es dort auch kaum Widerstand, so dass die Taliban die Macht an sich reißen konnten, obwohl sie in der Unterzahl waren.
Ständige Bedrohung
Wie haben Sie selbst die ständige Bedrohungssituation vor Ort erlebt?
Natürlich gab es immer wieder Situationen, die wirklich gefährlich waren und in denen ich Angst hatte. Jeder hat Angst, wenn auf ihn geschossen wird. Beschossen zu werden ist ein ganz schlimmes, schreckliches Gefühl. Und man muss sich immer vor Augen halten, dass es keine Sicherheit gibt, nie. Man weiß nie, wer Freund und wer Feind ist. Der afghanische Bauer auf dem Feld kann einem freundlich gesonnen sein. Es kann aber auch sein, dass er im nächsten Moment eine Waffe in der Hand hält und schießt.
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Zusammenhalt
Haben Sie trotz dieser negativen Erlebnisse auch positive Dinge erlebt?
Ja, auf jeden Fall. Gerade durch die ständige Bedrohung habe ich auch sehr viel Zusammenhalt und Kameradschaftlichkeit erlebt. Ich habe durch meinen Einsatz sehr viele Erfahrungen gesammelt und persönlich sehr viel gelernt. Außerdem muss man sagen, dass es in Afghanistan traumhaft schöne Landschaften gibt. Man lernt eine andere Kultur kennen und freut sich über ein Kinderlächeln, wenn man jemanden helfen konnte. Leider ist der Kontakt zu den Menschen vor Ort durch die zunehmende Bedrohungslage immer mehr verloren gegangen.
Zur Person
Alter: 39 JahreFamilie: verheirat, zwei KinderBeruf: Soldat seit 2001/Dienstgrad: Hauptmann; Burgwald-Kaserne Frankenberg, Bataillon Elektronische KampfführungAuslandseinsätze: Insgesamt acht, davon sechs in Afghanistan, einen in Bosnien-Herzegowina, einen im KosovoKommunalpolitik: Fraktionsvorsitzender der CDU im Rat der Stadt Winterberg, Ortsvorsitzender der CDU WinterbergWeitere Aktivitäten: Mitgliedschaft in mehreren Vereinen; Vorstandstätigkeit bei der Schützengesellschaft Winterberg, Engagement für die Grundschule Winterberg und den Edith-Stein Kindergarten.
Die Situation der Ortskräfte
Die Situation der Ortskräfte, die für die Bundeswehr im Einsatz waren und zurückgelassen wurden, hat viele Menschen in Deutschland berührt. Hätte die Politik da schneller und entschlossener reagieren müssen?
Natürlich ist die Situation für diese Menschen jetzt sehr schwierig, aber ich finde, dass man dem Schutz der Ortskräfte hinreichend Rechnung getragen hat und seinen Verpflichtungen nachgekommen ist. Wer für die Bundeswehr gearbeitet hat, hat sich bewusst dafür entschieden und musste sich über das Risiko und mögliche Konsequenzen im Klaren sein. Die Ortskräfte sind für ihren Einsatz sehr gut bezahlt worden. Ich begebe mich als Soldat bei meinen Einsätzen auch in Gefahr. Da muss man sich ein Stück weit vorher drüber im Klaren sein. Außerdem kann Deutschland allein nicht allen Menschen auf der Welt helfen. Nachhaltiger Erfolg kann nur mit einen internationalen Lösungsansatz erzielt werden.
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