Marsberg. 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland: Eine Spurensuche nach jüdischem Leben in Marsberg bringt überraschende Erkenntnisse zum Vorschein.

Im Jahr 2021 kann jüdisches Leben in Deutschland auf eine 1700-jährige Geschichte zurückblicken, die im Rahmen eines bundesweiten Themenjahres mit zahlreichen Veranstaltungen beleuchtet wird. Das Thema beschäftigt im Jubiläumsjahr auch die ehrenamtliche Mitarbeiterin des Stadtarchives Marsberg, Claudia Linnenbrink. Denn in Marsberg war das jüdisches Leben vor dem zweiten Weltkrieg sehr ausgeprägt. Es gab fünf Synagogengemeinden im Stadtgebiet: die in Ober- und Niedermarsberg, Essentho, Heddinghausen und Padberg.

Claudia Linnenbrink hat sich auf Spurensuche begeben, im Stadtarchiv, im Archiv der Gräfin Droste zu Vieschering in Padberg und sie hat sich durch sämtliche Lektüren über jüdisches Leben in der Stadt Marsberg gelesen.

Als erstes ging ich der Frage nach, warum sich in Marsberg vermutlich schon früh Juden angesiedelt haben“, sagt sie im Gespräch mit der WP. Antwort fand sie im Buch der Historikerin Gudrun Banke, die sich „Auf die Spuren der Marsberger Juden“ begeben hatte. Gudrun Banke vermutet, dass sich wahrscheinlich schon im 13. Jahrhundert im Altkreis Brilon Juden angesiedelt hatten. Denn im Bergbau wurden Pferde benötigt, die dazugehörigen Händler und auch Kredite. Alles Bereiche, in denen die Juden traditionell Handel betrieben. Claudia Linnenbrink: „Wann genau sich die ersten Israeliten, wie sie in den Akten immer wieder genannt werden, in Marsberg und Umgebung angesiedelt haben, ist heute nicht mehr schriftlich zu belegen.“

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Jüdisches Leben im Altkreis gab es vermutlich schon im 13. Jahrhundert

Weiter wollte sie wissen, wo denn wohl die Dokumente geblieben sind. Schließlich gab es allerorts schon früh schriftliche Nachweise zur Ansiedlung jüdischer Familien. „Ich habe mich gefragt, was haben die Marsberger damit gemacht?“ Sie hat weiter recherchiert: Marsberg und seine vor allem in der Nähe zur hessischen Grenze gelegenen Dörfer waren während des dreißigjährigen Krieges besonders von Truppenbewegungen, Einquartierungen und Plünderungen betroffen.

Zeugen jüdischen Lebens

Zum Ende des zweiten Weltkrieg lebten nur noch wenige Juden in der Kernstadt Marsberg. Der Jude Hans-Sally Kleeberg aus Canstein tauchte 1944 bei Freunden unter, im Jahre 1946 verließ Clara Grabkowski das Stadtgebiet, der Halbjude Heinrich Silberberg aus Borntosten blieb von den Verfolgungen verschont.

Heute zeugen im Stadtgebiet noch einige Orte von der einstigen Anwesenheit Mitbürger jüdischen Glaubens. Da wären die jüdischen Friedhöfe in Ober- und Niedermarsberg, in Essentho, Padberg/Beringhausen und in Heddinghausen sowie die ehemalige jüdische Synagoge in Padberg, die zu einem kleinen, aber sehenswerten Museum zur jüdischen Glaubenskultur genutzt wird und auf Anfrage besichtigt werden kann.

Sie gilt als älteste erhaltene Fachwerksynagoge Westfalens.

Ab 1632 wurde Obermarsberg mehrfach von Hessen und Schweden belagert und 1646 fast vollständig zerstört. In dieser Zeit lagerten die alten Dokumente der „Doppel-Stadt“ in Obermarsberg und gingen mit der Zerstörung und Belagerung verloren. Claudia Linnenbrink: „Erste Erwähnungen in Marsberger Dokumenten finden sich 1662, also erst nach dem 30-jährigen Krieg.“

Da forderte der Jude Levi Salomon ein Darlehen zurück, dass er 1632 an die Stadt vergeben hatte. Claudia Linnenbrink: „Er muss jedoch nicht zwangsläufig in Marsberg gewohnt haben, um dieses Darlehen zu gewähren bzw. zurückzufordern.“

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Juden in Stadtberge und Padberg

Andere schriftliche Hinweise auf einen „Juden in Stadtberge“ hat sie im Archiv des Padberger Schlosses im Schreibkalender des Tönies von Padberg gefunden. 1610 erwähnt er zum ersten Mal den Händler Abraham. „Die Nennung in seinem persönlichen Tagebuch ist schon etwas Besonderes, da neben anderen wichtigen Ereignissen und persönlichen Notizen ansonsten nur Familienmitglieder und Prominente Erwähnung finden“, so Claudia Linnenbrink. Im selben Jahr findet dann auch der „Jude zum Berge“ Einzug in den Schreibkalender.

Der Geleitbrief der Herren von Padberg für Manuel Jacob aus dem Jahre 1723.
Der Geleitbrief der Herren von Padberg für Manuel Jacob aus dem Jahre 1723. © Claudia Linnenbrink | Claudia Linnenbrink

Ein Findbuch aus dem Archiv des Freiherrn von Elverfeld aus Canstein liegt im Stadtarchiv Marsberg. Dort hat Claudia Linnenbrink herausgefunden, dass in der Herrschaft Canstein der Judenschutz 1620 begann. Im so genannten Judengeleit war der Schutz durch die Obrigkeit schriftlich manifestiert. Der älteste erhaltene Schutzbrief ist auf 1974 datiert, ausgestellt auf den Juden Salomon.

Claudia Linnenbrink: „Ebenso wie die Raben von Canstein nahm Padberg eine Sonderstellung ein.“ Die Herren von Padberg hatten das Recht, entsprechende Briefe, die gegen eine Gebühr ausgestellt wurden, an die Juden abzugeben. Erste Dokumente finden sich im Archiv des Schlosses Padberg ab 1723. Der erste Jude, der in der Herrschaft Padberg ansässig wurde, war Arndt mit seinem Sohn Wendel. Der schriftliche Beleg stammt aus dem Jahr 1672, schreibt Alfred Bruns in seinem Buch „Juden im Herzogtum Westhfalen.

Claudia Linnenbrink fragte sich weiter: wie denn nun die Marsberger und die Menschen in den Dörfern zu ihren jüdischen Nachbarn standen. „Eigentlich kaum anders als zu den übrigen Gemeindemitgliedern“, sagt sie. Einerseits hätte man wohl den Kaufleuten den Wohlstand geneidet, andererseits seien sie als Mitglieder der Gemeinschaft anerkannt worden und hatten z. B. in Padberg im späten 19. Jahrhundert sogar einen Posten im Gemeinderat.

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Stadtrat schütz Juden Nieder- und Obermarsberg

In Obermarsberg und Marsberg schützte der Rat zum einen seine Juden, indem er die gemäß Judenordnung von 1700 immer wieder geforderte Aufstellung der ansässigen Familien sowie Ausweisung der nach 1700 ins Herzogtum Westfalen gezogenen Juden verzögert habe. Claudia Linenbrink: „Wir hatten gemäß dieser Judenordnung zeitweise einfach zu viele Juden im Stadtgebiet.“

Padberg und Canstein hätten ihre jüdischen Mitmenschen erst gar nicht weiter gemeldet, so dass diese stets in der Auflistung fehlten. Zum anderen hätten Mitbewerber die Juden an der Ausübung ihrer Geschäfte behindert, so dass Kurfürst Maximilian Heinrich 1657 „die Behinderung der Juden in den ihnen zugestandenen Erwerbszweigen“ untersagte, wie sie im Stadtarchiv Marsberg entdeckt hat. „Entgegen der landläufigen Meinung gab es aber nicht nur reiche Kaufleute, so manches Mal findet sich hinter den Geburts- und Sterbeeinträgen der Hinweis arm.“

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Juden in den ländlichen Gebieten stetig ab, hat sie weiter herausgefunden. Vor allem die Kaufleute hätte es in größere Städte gezogen, wo die Möglichkeiten für Handel und Bildung erheblich größer waren als in den Dörfern, wie Hans Hubert Walter in seinem Buch über die „Padberger Strutkur und Stellung einer Bergsiedlung“ schreibt.

In der Kernstadt Marsberg ging dieser Rückgang zunächst langsamer vonstatten, so dass am 17. und 18. Oktober 1856 die Einweihung der Synagoge im Weist durch Rabbiner Dr. Philippson aus Mageburg mit einem großen Konzert und einem glänzenden Ball im Saal des Gastwirts Franz Wahle mit der Fürstlich Waldeck’schen Kapelle zu Arolsen gefeiert wurde – und das nicht nur mit und von Juden, wie im Sauerländischen Anzeiger vom 11. Oktober 1856 nachzulesen ist.