Brilon. Nach 90 Jahren will die Stadt Brilon die Zusammenarbeit mit ihrem Stromlieferanten beenden. Der Rat stimmt zu. Jetzt fehlt noch ein Detail.

Es war erneut ein kleines Häuflein, das eine große Entscheidung treffen musste: Gerade einmal 14 von 39 Ratsmitgliedern waren übrig geblieben, um auf 20 Jahre die Stromversorgung für die Stadt Brilonsicherzustellen. Denn nach 90 Jahren will die Stadt Brilon die historisch gewachsene Zusammenarbeit mit den Vereinigten Elektrizitätswerken Westfalen (VEW) und deren Rechtsnachfolgern beenden und das Stromnetz in eigener Regie betreiben. Grundlage dafür ist der sog. Konzessionsvertrag. Und den, so das einstimmige Votum des Rates, soll die Stadt mit der Stadtwerke Brilon Energie GmbHabschließen.

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Keine Statements zum Verfahren

Grund für die kleine Ratsrunde: Befangenheit. Denn an den gesamten Vorberatungen und Entscheidungen auf politischer Ebene durfte kein Ratsmitglied teilnehmen, das in einem der Stadtwerke-Gremien mitwirkt. So hatte auch Bürgermeister Dr. Christof Bartsch die Leitung der Ratssitzung für diesen Punkt an seinen Stellvertreter Niklas Frigger abgegeben. Dr. Bartsch nach der Beschlussfassung an die 14: „Ich hoffe, dass Sie eine gute Entscheidung für die Stadt getroffen haben.“

Die Stadtwerke Brilon wollen nach dem Gas- jetzt auch das Stromnetz betreiben. Der Rat hat den Zuschlag ausgesprochen, das Verfahren läuft noch. Hier die neue Zentrale in der Keffelker Straße.
Die Stadtwerke Brilon wollen nach dem Gas- jetzt auch das Stromnetz betreiben. Der Rat hat den Zuschlag ausgesprochen, das Verfahren läuft noch. Hier die neue Zentrale in der Keffelker Straße. © Unbekannt | Jürgen Hendrichs

Das war auch das einzige, was Dr. Bartsch zu dem Thema sagen möchte. Ein Statement gegenüber der WP lehnte er mit Verweis auf seine Befangenheit und das noch nicht rechtskräftige Verfahren ebenso ab wie der Geschäftsführer der Stadtwerke, Axel Reuber. „Verfahrensleitende Stelle“ bei der Stadt ist Kämmerer Fritz Heers. Und der stellt nüchtern fest, dass die Vergabe der Konzession in einem „wettbewerblichen, transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren“ vorzunehmen sei - und dass sich die Stadt strikt daran gehalten habe.

Zwei Jahre Vorarbeit

Bereits im Frühjahr 2019 hatte der Rat in einem Kriterienkatalog seine Erwartungen an den künftigen Netzbetreiber festgelegt und mit einem Punkteschema gewichtet. Versorgungssicherheit, Verbraucherfreundlichkeit, Effizienz, Umweltaspekte und natürlich der Preis spielten bei der Bewertung eine Rolle. Insgesamt bestand die Matrix aus zehn Kriterien und 35 Unter-Kriterien zu denen es wiederum 17 Unter-Unter-Kriterien gab. Insgesamt konnten damit 10.000 Punkte erreicht werden. Die Stadtwerke Brilon kamen dabei auf 9825 Punkte, der aktuelle Betreiber, die Westnetz GmbH, auf 8725.

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Auf die Ausschreibung im Bundesanzeige hin hatten sich neben den Stadtwerken und der Westnetz GmbH zwei weitere Interessenten gemeldet; die zogen ihr Bewerbungen aber im weiteren Verfahren wieder zurück.

Bewertungs-Kriterien

Einige Auszüge aus dem KriterienkatalogFür die „Zügige Bearbeitung von Kundenbeschwerden“ erhielt Westnetz die volle Punktzahl von 200 Punkten, die Stadtwerke aber nur 160. Für das „Serviceangebot vor Ort“ bekamen dagegen die Stadtwerke die maximal möglichen 400 Punkten, die Westnetz nur 280.Und auch bei der „Reaktionszeit bei Störungen“ holten die Stadtwerke mit 900 Punkten einen satten Wertungs-Vorsprung vor der Westnetz heraus, die auf 630 Punkte kam.Und auch bei den „Netznutzungsentgelten“, die jeder Stromlieferant zu zahlen hat, sieht die Stadt bei ihrer Tochter mit 1700 Punkten mehr Potential als bei der Westnetz, der 1350 Punkte zugemessen wurden.Die „Organisationsstruktur“ wurde dagegen bei der Westnetz mit 250 Punkten besser bewertet als bei den Stadtwerken mit 225 Punkten.

Die Westnetz zog auch - und zwar vor Gericht. Sie wollte im Wege einer Einstweiligen Verfügung die Stadt dazu zwingen, bestimmte Bewertungskriterien anders zu gewichten. Konkret ging es u.a. um Netznutzungsentgelte und die Bereitstellung der Netzanschlüsse. Nach dem Austausch diverser Stellungnahmen wies das Gericht den Antrag auf Einstweilige Anordnung ab.

Gericht lehnt Westnetz-Eilantrag ab

In seinem Urteil bezieht sich die II. Kammer für Handelssachen am Landgericht Dortmund auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2013: „Bei der Formulierung und der Gewichtung der Auswahlkriterien besteht - aus der Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung folgend - zugunsten der Kommune grundsätzlich ein Spielraum.“ Erst wenn „so grundlegend“ von den energiewirtschaftlichen Zielsetzungen abgewichen werden, dass „daraus eine Verkennung des Kriteriums offenkundig wird, weil von einer angemessenen Bewertung auch im Licht des Ermessensspielraums der Gemeinde nicht mehr ausgegangen werden kann“, sei das Verfahren zu beanstanden.

Mittlerweile hat die Stadtverwaltung die beiden verbliebenen Bieter angeschrieben und ihnen die Entscheidung des Rates mitgeteilt. Die Westnetz GmbH kann jetzt gegen diese Entscheidung rechtlich vorgehen. Mit Verweis auf das laufende Verfahren war auch von der Westnetz GmbH kein Statement zu bekommen.

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Erst wenn der Vertrag unterschrieben und rechtskräftig ist, können die Stadtwerke den nächsten Schritt in dem Verfahren angehen: den Erwerb des Stromnetzes und die Ermittlung seines Wertes. Das besteht aus dem rund 755 km langen Niedrig- und Mittelspannungsnetz sowie rund 210 km Straßenbeleuchtung.

Für den Stromkunden ändert sich übrigens nichts, wenn die Stadtwerke-Tochter statt der Westnetz GmbH das Netz betreiben sollten. Die Konzessionsabgabe liegt bei etwa fünf Prozent. Das Geld fließt in den kommunalen Haushalt. Im vergangenen Jahr waren das beim Strom rund 825.000 Euro und beim Gas rund 55.000 Euro. Das Gasnetz hatten die Stadtwerke Brilon 2012 gemeinsam mit der Energie Waldeck Frankenberg für rund 13 Millionen Euro übernommen.

Mit der Übernahme des Stromnetzes, so Kämmerer Heers, könne die Stadt nun zum Beispiel Tiefbaumaßnahmen noch besser koordinieren, da sämtliche Arbeiten - Straße, Kanal, Wasser, Strom und Gas - quasi in einer Hand liegen.