Willingen/Winterberg. Willingen lebt von Urlaubern. Den Auswüchsen des Party-Tourismus will die Gemeinde aber den Kampf ansagen und sich neu positionieren:

Wohin soll die Reise gehen? Sollen immer mehr Kegelclubs und Partygäste Willingen überrollen oder ist eine Neuausrichtung nötig und ist sie erwünscht? Gut ein Jahr ist vergangen, seit Willingen die Fortschreibung seines Tourismuskonzepts in Auftrag gegeben hat. Nach Gesprächen und Analysen hat die Beratergesellschaft „BTE Tourismus- und Regionalberatung“ aus Hannover die Ergebnisse bei einem Wirtschaftstreffen vorgestellt. Fazit: Als künftige Positionierung soll für Willingen eine Schnittmenge aus den Schwerpunkten „Outdooraktivität“ und „Familie“ herausgearbeitet werden. Das geht aus einer Presse-Mitteilung der Tourist-Information Willingen hervor. Damit verfolgen die Willinger exakt dieselbe Ausrichtung wie Winterberg.

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Ein Quantensprung

Der Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor in der Upland-Gemeinde. Und er ist laut Bürgermeister Thomas Trachte auf einem sehr guten Weg: „Was wir zurzeit erleben, ist ein Quantensprung.“ Mit dem Neubau des Lagunen-Erlebnisbades, der Entwicklung des europaweit größten Trailpark-Projekts, Hängebrücke, Ferienpark und einem großen Hotelprojekt habe Willingen glänzende Aussichten auf eine sehr erfolgreiche Zukunft. Eine neue Positionierung sei eine Chance, neue Möglichkeiten der Angebotsentwicklung zu eröffnen und zu implementieren. „Dafür stellen wir jetzt die Weichen.“

Neues Marketingkonzept

Am Ende des Wirtschaftstreffens hatten drei Positionierungsvorschläge zur Diskussion gestanden: Willingen als lebendiger Outdoor-Spot im Sauerland, als naturnaher, aktiver Familienferienort oder als Erlebnis- und Freizeitdestination. Bei der nun anvisierten Neuausrichtung in puncto Outdoor und Familien soll nicht nur Wachstum durch neue Zielgruppen im Fokus stehen. „Das in Erstellung befindliche Strategiekonzept wird auch die Wettbewerbsposition der bestehenden Betriebe stärken“, betont Bürgermeister Thomas Trachte. Als nächstes ist eine Zukunftswerkstatt geplant. Danach folgt die Neuordnung der Marketingmaßnahmen und die Gewichtung der Ziele und Maßnahmen, sodass am Ende das neue, gemeinsam erarbeitete Marketingkonzept steht.

Beim Weichenstellen ist es aber wichtig, alle Leistungsträger mit ans Stellwerk zu holen. 40 Vertreter von Hotellerie, Gastronomie, Einzelhandel und Freizeitbetriebe tauschten sich daher über die künftige Ausrichtung aus. Denn so gut wie alle ortsansässigen Unternehmen sind direkt oder indirekt von der Entwicklung betroffen. Man habe jetzt die historische Chance, den Tourismus in Willingen zu verändern, sagten die einen. Das touristische Angebot sei doch gut, man müsse nur die Auswüchse des extremen Partytourismus noch aktiver unterbinden, meinten die anderen. Das Image Willingens sei auf Jahre hinaus nicht so einfach aus den Köpfen der Menschen wegzubekommen, hieß es. Einer erfolgreichen Entwicklung stehe auch die stark befahrene Ortsdurchfahrt im Weg.

Vieles richtig gemacht, aber auch einiges falsch

„Wir haben vieles richtig gemacht, aber auch einiges falsch. Sonst hätten wir die Auswüchse des Partytourismus nicht zu beklagen“, wird eine Unternehmerin zitiert. Diskutiert habe man schon viel, aber sobald es ans eigene Portemonnaie gehe, sei es schwierig, eine Einigung mit allen Beteiligten zu erzielen.

Erst vergangene Woche war im Willinger Gemeindeparlament bei der Vorstellung eines weiteren Hotelvorhabens beim Willinger Bahnhof erneut eine Diskussion um die Auswüchse des Party-Tourismus entbrannt. Und das, obwohl das Projekt vornehmlich Biker ansprechen soll.

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„Wir sind der Meinung, dass man mit dem Argument ,Da könnten Clubs reinkommen‘ nicht jedes Projekt stoppen muss“, erklärte Bürgermeister Thomas Trachte. Stark störende Personen seien die Minderheit unter den Party-Gästen, und ohne verträgliche Club-Touristen drohten letztendlich wirtschaftliche Einbußen.

Fachjuristen einschalten

Derweil habe der Gemeindevorstand ein Treffen mit einem Fachjuristen veranlasst, um „Wege zu finden, an die Betriebe ranzukommen, die keine Rücksicht nehmen“: Das seien nicht die Hotels, sondern unbewachte Ferienwohnungen. „Die haben sich wie Geschwüre in unserer Gemeinde ausgebreitet.“ Diese Klientel soll lieber zu Hause bleiben. Aber wenn die Politik den Investoren nicht glaube, dass das nicht ihre Zielgruppe sei, könne sie eigentlich gar keine Hotels mehr zulassen. Im konkreten Fall geht es um ein neues Hotel, das die Brauhaus-Gesellschaft beim Bahnhof plant und das vornehmlich Mountainbiker im Visier hat.

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Grundmasse muss bleiben

In der Sitzung wurde auch eine Grundsatzfrage gestellt: „Wie viel Tourismus braucht Willingen?“ Das sei schwer zu beantworten, so Trachte: Aber für ein florierendes Zentrum mit wachsender Wirtschaft und Bevölkerung brauche es Erneuerung. „Wie viele tolle Ferienorte gab es im Sauerland und Waldecker Land, die nun von der Landkarte verschwunden sind?“, fragte Trachte. Es würden garantiert noch Betriebe wegfallen, eine gewisse „Grundmasse“ sei aber notwendig, um die Infrastruktur und Professionalität aufrechtzuerhalten, die der Gast erwarte.