Brilon. Der Erzieherinnenmangel in Kitas schlägt auch im Raum Brilon durch. Die Leiterin der Kita Lummerland über Folgen und harte Arbeit an der Basis.

Melanie Schäfer-Mengelers bekommt mehr Bewerbungen als sie freie Plätze zur Verfügung hat. Das klingt für die Leiterin des AWO Kindergartens Lummerland in Brilon zunächst sehr gut, jedoch beziehen sich die Bewerbungen auf Kinder, die die Kita besuchen sollen. Wünschenswert wären für Schäfer-Mengelers aber auch Bewerbungen auf die ausgeschriebene freie Stelle als Fachkraft. Darauf wartet sie aber schon lange – und ist damit nicht allein. Für viele Kindertagesstätten ist es schwer, Personal zu bekommen. Denn der Markt ist leer. Das hat mehrere Gründe und kann mit der Zeit auch Folgen für die Mitarbeiter und die Kinder haben.

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Zehn Plätze hat sie für die U3-Betreuung zur Verfügung. Das betrifft Kinder im Alter zwischen vier Monaten und dem dritten Lebensjahr. Problemlos könnte sie bei den ganzen Bewerbungen eine zweite Gruppe aufmachen, dafür reichen die Kapazitäten aber nicht. Die bestehende Gruppe kann sie überbelegen und so 12 Kinder unterbringen. „Das muss ich regelmäßig machen, weil die Eltern nach einem Jahr arbeiten müssen. Ich bespreche mich dann mit den drei Fachkräften in der Gruppe, ob sie sich das zutrauen. Aber die Kinder müssen das auch schaffen“, sagt Schäfer-Mengelers. Oft muss sie sagen, dass sie keinen Platz mehr zur Verfügung hat und sich die Bewerber nicht nur auf das Lummerland verlassen sollten. Ein Brennpunkt, der nicht in jeder Kita vorherrscht. Die 43-Jährige berichtet von Kitas in Meschede, die vor allem im Ü3-Bereich stark gefragt sind.

Melanie Schäfer-Mengelers ist Leiterin der Kita Lummerland in Brilon.
Melanie Schäfer-Mengelers ist Leiterin der Kita Lummerland in Brilon. © Privat

Mehr Stress durch Krankheitsfälle

Vier Gruppen gibt es vor Ort für die 14 Mitarbeiterinnen und zwei Ergänzungskräfte zuständig sind. Zwei Gruppen für Kinder von zwei bis sechs Jahren sowie eine Gruppe für Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Die Leitung ist freigestellt. „Darauf kann ich mich voll konzentrieren, wenn nicht der Fachkräftemangel wäre. Wenn eine Kollegin fehlt, muss jemand einspringen. Dafür darf man sich als Leitung nicht zu schade sein.“ Sie ist froh, auf ein kompetentes Team blicken zu können.

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Seit 2017 leitet sie das Lummerland und sie sagt, dass nicht nur die Quantität der Mitarbeiter entscheidet, sondern auch die Kompetenzen. Fachliches Können und auch der Wille dahinter sind laut Schäfer-Mengelers kein Standard in der Branche. Derzeit hat sie eine Vollzeitstelle frei. Jetzt konnte sie eine Ergänzungskraftstelle, die seit Februar ausgeschrieben war, besetzen. Eine Erleichterung für die Leiterin, aber auch ein Umstand, der für Verwirrung sorgt. „Wo sind die ganzen Schulabgänger hin? Es kommen viel zu wenig Ausgebildete. Es kommen keine Bewerbungen hier an. Früher konnte ich unter den Bewerbern aussuchen, heute zeigen wir gefühlt unser Silberbesteck, damit überhaupt jemand erwägt herzukommen.“

Ausbildung ist finanziell unattraktiv und zeitaufwendig

Sie weiß aber auch, dass die Ausbildung zur Fachkraft, sprich beispielsweise Erzieher oder Kindheitspädagogen, ihre Schattenseiten hat. Sie dauert fünf Jahre in der viel die Schulbank gedrückt werden muss und die Bezahlung ist in dieser Zeit nicht besonders einträglich. Im Vergleich geht eine Ausbildung im Handwerk beispielsweise über drei Jahre, die auch mit einem Verdienst einhergeht. Eine Alternative dazu ist die Praxisinterne Ausbildung mit einer verkürzten Ausbildungszeit und einem Gehalt. Problem: Die Stellen sind stark begrenzt. Vieles wird probiert, um den Personalmangel einzudämmen. Quereinstiege sind ebenso im Rahmen einer 160-Stunden-Qualifizierung möglich. Diese Zeit wird praktisch in einer Einrichtung absolviert, um dann den Status eines Erziehers oder einer Erzieherin zu erhalten.

Schäfer-Mengelers vermisst auch männliches Personal. „Das ist irgendwie ein Frauen-Ding. Dabei wäre es auch für die Kinder toll, wenn mehr Männer in den Kitas wären, aber sie wandern vor allem in die Heime ab.“

Qualität im Lummerland soll hoch bleiben

Personalmangel kann zu Problemen führen: 95 Prozent der Buchungen von den Eltern sehen eine Betreuung von 45 Stunden pro Woche vor. Die Bildungsqualität leidet, wenn nicht genug Fachkräfte zur Verfügung stehen. Die Leitung erklärt, dass das Personal mit den Kindern quasi in der Kita lebt. 45 Stunden pro Woche arbeiten nur wenige Erwachsene und sie möchte mit ihren Kolleginnen das Leben mit den Kindern so gut wie möglich gestalten. „Diese Beziehung wollen wir halten, auch wenn das Bildungsangebot darunter mal kurzzeitig leidet. Ich spiele dann lieber auf dem Teppich mit den Kindern, als zu zeigen, wie sich Wasser mit Öl vermischt.“

In Kitas geht es längst nicht mehr nur das Spielen mit Freunden, wie in diesem Symbolbild. Bildung ist ein wichtiger Faktor.
In Kitas geht es längst nicht mehr nur das Spielen mit Freunden, wie in diesem Symbolbild. Bildung ist ein wichtiger Faktor. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp

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Das geht eine Zeit lang gut. Auch im Moment. Aber Schäfer-Mengelers weiß, dass der Stressfaktor irgendwann zu hoch ist. Gegenseitig wird sich so gut es geht geholfen, aber dennoch kann es vorkommen, dass eine Fachkraft zwei Stunden auf 20 Kinder aufpassen muss. Alle versuchen den Kindern gerecht zu werden und auch den Ansprüchen der Eltern. Denn der Beruf hat sich stark gewandelt in den vergangenen Jahren.

Höhere Anforderungen an Erzieher und Kinder

Statt reiner Beschäftigung steht jetzt frühkindliche Bildung im Vordergrund, um die Kleinen bestmöglich auf die Schule vorzubereiten. Damit geht auch ein gewisser Druck einher, sagt die Kita-Leitung. Transparenz gegenüber den Eltern ist wichtig. Elternsprechtage, Dokumentation der Entwicklung, Analyse von Defiziten. Alles Aufgaben im beruflichen Alltag. „Kinder müssen heute schon früh viel leisten. Wenn dann noch Ballett- und Reitstunden in der Freizeit warten, da möchte ich mit manchem Kind nicht tauschen“, sagt Schäfer-Mengelers.

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Ihren Beruf übt sie gerne aus. Sie mag, dass sie von den Kindern viel zurückbekommt und einen Teil dazu beisteuert, um sie auf das Leben vorzubereiten. „Erzieher ist kein Beruf, das muss man wirklich wollen. Der Anspruch ist hoch und man hat eine große Verantwortung. Die Eltern vertrauen uns ihr höchstes Gut an. Das muss man wertschätzen. Die Kinder können nichts für das Personalproblem. Das muss an oberer Stelle gelöst werden, nicht an der Basis. Sie haben ein Anrecht auf eine schöne und gute Zeit in der Kita.“

Zuletzt hatten zwei Studien den Fachkräftemangel an Kitas beklagt: Gut drei Viertel von rund 540 befragten Kitaleitungen in NRW gaben laut dpa in einer Umfrage des Deutschen Kitaleitungskongresses (DKLK) in Düsseldorf an, dass sich der Personalmangel in den vergangenen 12 Monaten verschärft habe. Mehr als 40 Prozent sagten, sie hätten in mehr als einem Fünftel der Zeit mit weniger Personal arbeiten müssen, als es die Vorgaben eigentlich verlangen. Die Corona-Pandemie habe offenbar Spuren hinterlassen, beklagte der DKLK.

Einen Blick in die Zukunft warf die Bertelsmann-Stiftung aus Gütersloh mit ihrem Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme. Demnach fehlen in NRW bis 2030 rund 62.000 Fachkräfte in Kitas. Zwar starten den Berechnungen zufolge bis 2030 fast 53.000 neu ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher in den Beruf. Es seien jedoch Zehntausende zusätzliche Fachkräfte notwendig, damit in allen Kitas eine kindgerechte Personalausstattung nach wissenschaftlichen Empfehlungen sowie ausreichend Plätze zur Verfügung stehen.