Hochsauerland. Weniger kann mehr sein. Und wenn Pfunde fallen, kann das Glücksgefühl steigen. Heilpraktikerin Christina Azarli gibt wertvolle Tipps zum Fasten.

In einer Welt des Überflusses und in Zeiten des pandemiebedingten Verzichtes steht vielen Menschen nicht gerade der Sinn nach Fasten. Dabei kann weniger durchaus mehr sein. Wenn wir ohnehin nicht reisen können, lohnt es sich ja vielleicht, die Verdauung einmal in Urlaub zu schicken. „Erfahrungsgemäß bedeuten Überfluss und ständige Fülle nicht zeitgleich auch Glück und Zufriedenheit. Beim Fasten kommt man mit seinem Körper in einen Dialog und bei vielen eröffnen sich dadurch auch neue geistige Räume“, sagt Christina Azarli. Sie ist Heilpraktikerin in Hallenberg und Brilon. Vom 12. bis 19. März bietet sie gemeinsam mit einer Kollegin in der Bildungsstätte St. Bonifatius in Elkeringhausen einen Kursus im Heilfasten an - sofern Corona es zulässt.

Den Darm in Urlaub schicken

Erklären Sie doch bitte einmal einem Laien, was unter „Fasten“ zu verstehen ist.

Christina Azarli: Generell ist das Fasten eine sehr gute Sache, um seinem Körper Erholung zu gönnen. Die Nahrungsaufnahme wird heruntergefahren; bei einer radikalen Fastenkur gibt es nur noch Tees. Über einen längeren Zeitraum ist das allerdings nicht anzuraten. Beim Heilfasten nach Buchinger zum Beispiel werden dem Körper sehr wohl noch Säfte und Gemüsebrühen zugefügt. Eine weitere und sehr alltagstaugliche Form ist das Intervallfasten. Man isst tagsüber nur in einem Zeitfenster von acht Stunden etwas und isst dann sechszehn Stunden nichts. Man kann aber auch fünf Tage ganz normal essen und zwei Tage fasten. In einer von vielen hinduistischen Traditionen wird ein Tag pro Woche, eine Woche im Monat, ein Monat im Jahr propagiert. Bei uns spielt sich das oft im Frühjahr ab; das liegt vermutlich an kirchlicher Prägung, die sich aber möglicherweise auf eine seit jeher jahreszeitlich bedingte Verknappung von Lebensmitteln im Vorfrühling bezieht. Im heutigen Überfluss liegt für viele der Reiz eher darin, den Winterspeck zu verlieren. Aber Fasten ist durchaus eine ganzjährige Sache und tut dem Körper jederzeit gut. Wichtig bei allen Fastenmethoden ist die ausreichende Flüssigkeitszufuhr und - ganz wichtig - Bewegung, damit die Muskelmasse nicht abnimmt.

In der Gruppe geht es am besten

Kann das jeder für sich alleine ohne Anleitung machen oder gibt es Einschränkungen?

Grundsätzlich kann sich jeder, der gesund ist und nicht regelmäßig Medikamente einnehmen muss, damit beschäftigen. Es gibt gute Einsteigerliteratur und Videos. Aber wer zum Beispiel einen leichten Blutdrucksenker nimmt, der sollte einen Arzt `draufschauen lassen, sich an einen Heilpraktiker seines Vertrauens wenden oder einen Kursus mitmachen, in dem man gemeinsam fastet. Schließlich passieren ja unmittelbare Veränderungen im Körper, die sich z.B. auf den Blutdruck auswirken können. Ich würde vor allem beim ersten Mal dazu raten, so etwas unter Anleitung zu machen. Denn oft verlaufen die ersten beiden Tage super und dann kommt am dritten Tag eine Krise, bei der viele dann plötzlich aufhören. Daher ist es gut, wenn man Unterstützung hat und Wissen bekommt, wie eine Fastenkrise zu meistern ist. Man braucht so einen ,Anker im Außen’.

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Beschreiben Sie doch bitte einmal einige Abläufe, die zum Fasten dazugehören?

Beim Heilfasten beginnen wir in der Regel mit ein, zwei Entlastungstagen. Es gibt nur leichte Nahrung; danach eben Säfte und Gemüsebrühen zu den Mahlzeiten sowie Tees und Wasser. Auch eine Darmreinigung mit Glauber- oder Bittersalz gehört dazu. Empfehlenswert sind außerdem Einläufe. Die sind – zugegeben – etwas gewöhnungsbedürftig, werden aber als sehr erleichternd empfunden, weil sie auch das Hungergefühl nehmen. Bei Seminaren wie dem in Elkeringhausen bieten wir aber auch noch Vorträge, Körperarbeit, Wanderungen, Gespräche und Meditationen an.

Was im Körper passiert

Was passiert denn eigentlich in unserem Körper, wenn wir fasten?

Während des Fastens finden einige sinnvolle Veränderungen im Stoffwechsel statt. Die Zellen müssen komplett auf Körperfett als Energiequelle zurückgreifen. Das nennt sich Ketose. Bekanntermaßen wird durch das Fasten die Produktion des Hormons Ghrelin angeregt. Das wiederum kann sich auf die Neubildung von Zellen im Gehirn auswirken und ist ein interessanter Forschungsansatz bei beginnender Demenz, MS oder generell bei Nervenerkrankungen. Leider gibt es gerade für Naturheilverfahren wenig Forschungsgelder. Denn die werden meistens in die durchaus berechtigte Erforschung von Medikamenten investiert. Nur damit lässt sich letztendlich in der Pharmaindustrie auch Geld verdienen. Da ist der Gesetzgeber gefragt, um zum Beispiel auch Studien über die Wirksamkeit von Fasten zu fördern, damit solche naturheilkundlichen Methoden auch in der Breite in der ärztlichen Ausbildung gelehrt werden und das Wissen in den Hausarztpraxen landet.

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Beispiel: Ich unterziehe mich einer Fastenkur. Ist das zugleich auch ein Grund oder eine Motivation, um mich einer Idealfigur zu nähern?

Zunächst einmal würde ich bei der Begrifflichkeit nicht davon sprechen, dass man sich einer Fastenkur unterzieht. Vielmehr gönnt man seinem Körper das Fasten. Es geht hier in erster Linie nicht um Gewichtsverlust. Wer das langfristig möchte, muss seinen Lebensstil und seine Ernährung von Grund auf überprüfen. Fasten ist Erholung. Durch die vorübergehende Null-Belastung mit Nahrung ist der Stoffwechsel mit all seinen chemischen Reaktionen im Körper ein ganz anderer. Es klärt sich dadurch aber nicht nur einiges im Darm, in den übrigen Organen und Geweben, sondern auch im Gehirn. Bei vielen setzt eine regelrechte Euphorie ein.

Steckbrief

Name: Christina Azarli

Alter: 56

Beruf: Heilpraktikerin

Familienstand: verheiratet, Mutter von zwei erwachsenen Kindern

Hobbys: Natur, Lesen, Chorsingen, Repair-Café

Wie lange sollte man fasten?

In meiner Ausbildung zur Mayr-Kur-Therapeutin habe ich folgende Faustregel gelernt: pro Lebensjahrzehnt eine vierwöchige Fastenkur. Demnach müsste ein 50-Jähriger fünf Jahre hintereinander eine vierwöchige Kur machen. Die Dauer und die Art des Fastens hängen aber von vielen Faktoren ab. Jemand, der zum Beispiel untergewichtig ist, muss ganz anders an die Sache herangehen und individuell abgestimmte Fastenspeisen zu sich nehmen. Aber auch Nicht-Übergewichtige sollten fasten – einfach, weil es den Darmtrakt saniert und dem Körper gut tut. Gerade bei Rheuma, Bluthochdruck oder Diabetes II kann man gute Wirkungen erzielen und erfahrungsgemäß den Tablettenkonsum reduzieren.

Heilpraktikerin Christina Azarli.
Heilpraktikerin Christina Azarli. © wp | privat

Mehr Frauen als Männer

Ist Fasten eigentlich „Frauensache“ oder kommen auch Männer in die Kurse?

Sie haben tatsächlich Recht. Männer sind eher selten vertreten. Studien besagen, dass Frauen sich oftmals gesundheitsbewusster verhalten als Männer. Vielleicht ist es auch eine Frage der Erziehung oder des Rollenverständnisses, warum Männer das seltener tun. Ich glaube, Männer sind sehr wohl ernährungsbewusst und achten auf ausreichend Bewegung. Aber fasten? Vielleicht sollte man einmal ganz speziell Fastenkurse nur für Männer anbieten. Auch in meinem Patientenkreis sind drei Viertel der Fastenden Frauen.

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Haben Sie einen Tipp, wie man auch im Alltag dem Heißhunger auf Süßes oder auf Kaffee widerstehen kann?

Das spielt durchaus mit in den Bereich Fasten. Man unterscheidet zwischen Hunger und Gelüsten, zwischen Magenhunger und Augenhunger. Wenn man dem Körper Gewohntes entzieht, ist er auch auf einer Art Entzug. Sie können ihn aber neu konditionieren und ihm eine Alternative bieten. Das kann zum Beispiel ein Spaziergang, eine Tasse Lieblingstee oder eine Umarmung sein.

Bekommt derjenige, der fastet, eigentlich ein anderes Körpergefühl. Hört man mehr in sich hinein, achtet man mehr auf sich?

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Das ist definitiv so. Man hört sich selbst besser zu, beschäftigt sich mit seinem Körper, lernt, ihn neu wertzuschätzen. Der Zugang zur eigenen Intuition, zum Bauchgefühl kann gestärkt werden und neues Selbstvertrauen wachsen. Fasten bedeutet ein Mehr durch ein Weniger. Nicht das ständige Mit-Lebensmitteln-Abgefüllt-Sein ist Glück, sondern die Begegnung mit sich selber. Viele finden auf diese Art auch einen neuen Zugang zu mehr Spiritualität in ihrem Leben. Das Freisein von Belastung im Verdauungssystem macht auch den Kopf frei. Jeder, der kann, sollte es mal versuchen!