Hochsauerland. Ob Ärger mit dem Telefonanbieter oder Angst vor Tschernobyl: Die Verbraucherzentrale wird 30. Warum sie keine Sprechstunden mehr in Brilon abhält.
Es war die 50. Verbraucherberatungsstelle in NRW, die im Januar 1991 in Arnsberg-Neheim eröffnet wurde. Rund 400.000 Anfragen aus dem gesamten Hochsauerland wurden seitdem beantwortet. Dabei ging es um Tipps zu Waren und Dienstleistungen, um Rechts- und Energieberatung oder um Hilfen bei Mietrechtsfragen, Immobilienfinanzierung oder Altersvorsorge. Wie sich das Bild und die Hilfeersuchen im Laufe der 30 Jahre verändert haben, erklärt die Leiterin der Einrichtung, Petra Golly.
Misstrauen gegenüber Mikrowellen
30 Jahre Beratung für Verbraucher - was hat sich geändert, wo lagen z.B. die Schwerpunkte in den Anfängen, wo liegen Sie heute, gibt es Probleme und Fragestellungen die gleich geblieben sind?
Vor 30 Jahren lagen die Fragen der Ratsuchenden zunächst noch häufig im Bereich der Produktberatung. Überfordert vom wachsenden Angebot und vielen Neuerungen wollten viele vor dem Kauf vor allem hochpreisiger Waren neutralen Rat, ob es Testergebnisse dazu gibt, Anleitung, wie ein Produkt funktioniert und ob es nicht auch Risiken bei der Nutzung gibt. Viele suchten auch damals schon nach Produkten mit langer Lebensdauer und geringem Energieverbrauch. Man stand manchen Produkten aber auch kritisch gegenüber.
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Fällt Ihnen da ein Beispiel ein?
Ich kann mich selbst gut an das große Misstrauen der Ratsuchenden gegenüber der Mikrowellengeräte erinnern. Mit unabhängigen Testergebnissen der Stiftung Warentest und Aufklärung zu Technik und Funktionsweise der Geräte konnten wir damals gute Aufklärung leisten. Immer wieder gab es aber auch Lebensmittelskandale, Krisen und Umweltkatastrophen, durch die Verbraucherinnen und Verbraucher in ihrem Konsum beeinträchtig wurden. Ich erinnere an BSE-Fälle bei Rindern oder lebensbedrohliche Erkrankungen durch EHEC-Bakterien in Sprossen oder auch die Gammelfleisch-Skandale sowie den Reaktor-Unfall in Tschernobyl, der größte Verunsicherung hinsichtlich der Belastung von Lebensmitteln auch bis ins Sauerland nach sich zog. Auch die Finanzkrise zog große Kreise. Die Liste wäre noch lang.
Es ist doch bestimmt nicht einfach, sich immer schnell auf ein neues Thema einzulassen, oder? Was hat sich verändert?
Die Verbraucherzentrale hat immer sehr schnell reagiert und Ratsuchenden mit unabhängigen Informationen zur Seite gestanden. Nach Öffnung der Märkte im Telekommunikationsbereich und später auch bei der Energieversorgung kamen jedoch nochmals andere Fragen auf uns zu. Die Wechselmöglichkeit des Anbieters von Telefon, Strom oder Gas brachte Fragen zu Preisen, Vertragslaufzeiten und Kündigungsmodalitäten. Diese beschäftigen uns heute ebenso wie Rechtsfragen zum Konsum im privaten Haushalt. Probleme mit Möbellieferungen oder Handwerkerrechnungen sowie Gewährleistungsfälle traten früher wie heute fast unverändert auf. Allerdings sind die Märkte und Vertriebswege größer geworden. Kommunizierte man früher häufiger mit dem örtlichen Handel, tummeln sich Konsumenten heute auch im weltweiten Netz. Dabei hält das Internet neben der Möglichkeit, ein Schnäppchen zu machen, immer auch das Risiko, in eine Falle zu tappen, vor. Diese Form der Anonymität macht es Gaunern oft leicht, Verbraucherinnen und Verbraucher zu übervorteilen oder gar abzuzocken. Dieser Bereich des E-Commerce gehört heute bei uns in der Verbraucherzentrale quasi zum Tagesgeschäft.
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Dachhaie gestellt
Erinnern Sie sich an einen Fall, der besonders spektakulär war oder alternativ an ein Problem, das besonders viele Leute betroffen hat?
Da gibt’s einige Fälle, die höchst unterschiedlich sind. Ich erinnere an meine Vorgängerin, die nach einem Hinweis aus der Bevölkerung zusammen mit der Polizei mal sogenannte Dachhaie, die dem Auftraggeber das Geld mit unnötigen Arbeiten aus der Tasche ziehen wollten, gestellt hat. Oder an meinen ersten großen Fall, bei dem einer Seniorin von 45 verschiedenen Gewinnspielunternehmen Beträge vom Konto abgebucht wurden, bis nichts mehr von der Rente übrig blieb. Nach Eingreifen der Verbraucherzentrale konnte großer Schaden verhindert werden. Und auch wenn wieder mal Drückerkolonnen in Orten des Hochsauerlandkreises unterwegs sind und sich plötzlich 20 Ratsuchende mit dem gleichen untergeschobenen Abo in unserer Beratungsstelle wiederfinden und diesen dann geholfen werden kann, erinnert man sich gern an einen Erfolg.
Oft sind es aber die kleineren Dinge, auf die man gern zurückblickt...
Ja, da ist der ältere Herr, dem nach einem Schreiben eines Inkassounternehmens mit unerklärlichen Forderungen geholfen werden kann. Oder die Migrantin, der man einen viel zu teuren Mobilfunkvertrag untergeschoben hat bis hin zur Familie, deren angedrohte Sperrung der Energielieferung gerade noch verhindert werden konnte. Die Menschen sind so dankbar für die Unterstützung, die wir ihnen bieten können.
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400.000 Beratungen in 30 Jahren
Wie viele Beratungen hat die Verbraucherzentrale in Arnsberg durchschnittlich pro Jahr - ist die Tendenz steigend?
In den 30 Jahren haben wir insgesamt rund 400 000 Verbraucheranfragen gezählt. Die Zahlen pro Jahr unterliegen einer natürlichen Schwankungsbreite. In den letzten fünf Jahren haben wir jährlich durchschnittlich circa 6300 Anfragen bearbeitet. Dabei müssen wir feststellen, das die Tendenz nicht mehr steigt. Allerdings werden die Fälle, die bei uns landen, insgesamt viel komplexer.
Wie kommt das?
Ratsuchende haben oft schon eine lange Odyssee mit viel Eigeninitiative hinter sich und kommen manchmal mit einem Ordner voller Unterlagen. Sämtliche Kontaktaufnahmen mit ihrem Vertragspartner haben oft nicht das gewünschte Ergebnis gebracht. Dann müssen die Unterlagen gut durchgearbeitet werden, um den Sachverhalt und das bisherige Vorgehen nachvollziehen und zielgerichtet helfen zu können. Oft sind inzwischen aber auch sprachliche Schwierigkeiten eine Hürde, die erst einmal genommen werden muss und manchmal erst durch einen Dolmetscher zu überwinden ist. Migranten kennen sich weder in unserem Wirtschafts- noch im Rechtssystem aus und sind häufig Opfer durch Übervorteilung in verschiedenen Vertragskonstellationen. Und nicht zuletzt ist es auch die Form der inzwischen oft elektronisch geschlossenen Verträge, die Grundlage für fehlende Unterlagen bei Ratsuchenden ist, da Rechnungen und Mahnungen gar nicht mehr in schriftlicher Form vorliegen, sondern im Internet gespeichert werden und zum Teil dann nicht mehr auffindbar sind.
Keine Außensprechstunden mehr in Brilon
Vorübergehend gab es Außensprechstunden in Brilon. Warum hat sich das nicht bewährt?
Leider hatten wir im Briloner Kreishaus, wo es im 14-tägigen Rhythmus im Wechsel mit dem Kreishaus in Meschede Sprechstunden der Verbraucherzentrale gab, nur wenig Zulauf, so dass der Aufwand mit Anreise und Bereitstellung einer Beratungskraft aus der Beratungsstelle in Arnsberg nicht in Relation zur geringen Nachfrage stand. Oft waren Anliegen, wenn sie denn auftraten, so dringend oder mit Fristen belegt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher kurzfristig direkt zur Beratung nach Arnsberg kamen oder die Sprechstunden im Mescheder Kreishaus nutzten.
Dabei wurde der schriftliche Weg oder die Übermittlung von Unterlagen per E-Mail und die anschließende Beratung per Telefon als Alternative genutzt. Und dies ist auch heute noch der Fall. Dahingehend lassen wir auch die Ratsuchenden in Brilon nicht allein zurück. Jede eingehende Anfrage wird bearbeitet. Unsere Kräfte haben wir gebündelt und beraten nun wöchentlich im Mescheder Kreishaus. In Brilon sind wir jedoch weiterhin mit regelmäßigen Informationen in der Presse und mit Infoständen vertreten.
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Gibt es aktuell - coronabedingt - Probleme, mit denen die Ratsuchenden zu Ihnen kommen?
Zu Beginn der Coronakrise hatten wir eine unglaublich große Nachfragewelle zum Thema Reiserecht. Flugausfall, Stornierung, Umbuchung - eine wahre Fülle von Fragen ging bei uns ein, da viele Reisende mit Osterurlaub und später mit bevorstehenden Sommer- und Herbstferien betroffen waren. Zum Teil warten auch heute noch nicht beförderte Reisewillige auf die Erstattung ihrer Reisepreise. Inzwischen ist das Leben aller während der Pandemie aber weitergegangen und auch Vertragspflichten sind für alle einzuhalten - nicht immer einfach, wenn coronabedingt Jobverlust oder Kurzarbeit eingetreten sind. Wir stellen heute zunehmend fest, dass Ratsuchende in wirtschaftliche Schieflage geraten und bei der Bedienung von Forderungen im Rückstand sind. Oft kommen dann noch überhöhte Inkassoforderungen hinzu und die Angst, in eine existenzbedrohende Situation zu geraten, ist groß.
Wegen Corona keine persönlichen Beratungen
Wie finden die Beratungen bei Ihnen momentan statt? Gilt der Lockdown auch für persönliche Beratungen oder gibt es Alternativen (z.B. Beratung über Videokonferenzen)?
Im Moment sind alle Beratungsstellen der Verbraucherzentrale NRW aufgrund des Lockdowns für persönliche Beratungen geschlossen und auch unsere Sprechstunden in Meschede müssen zurzeit ausfallen. Doch auch jetzt lassen wir niemanden zurück. Die Anfragen können telefonisch unter 02932 - 5109701 gestellt oder über das Kontaktformular der Verbraucherzentrale in Arnsberg unter www.verbraucherzentrale.nrw/arnsberg eingereicht werden. Das Team der Arnsberger Beratungsstelle gibt Ratsuchenden über diese Zugangswege Rückmeldung, die Energieberatung findet auch als Videoberatung statt. Auch Vorträge gibt es bereits in Online-Formaten.
Was ist ihr persönlicher Wunsch zum 30. Geburtstag der Einrichtung?
Ich wünsche mir, dass ich zusammen mit meinem engagierten Team aus Verbraucherberater Volker Mahlich, Energieberater Carsten Peters und Büroassistenz Inke Westermann die 30-jährige Erfolgsstory der Verbraucherzentrale in Arnsberg mit der Unterstützung durch die Stadt Arnsberg und den Hochsauerlandkreis fortsetzen kann. Uns allen wünsche ich Mut und Zuversicht, immer wieder Neues zu wagen und damit gemeinsam ein offenes Ohr für die Probleme der Menschen zu haben und kompetente Hilfe bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu leisten.