Marsberg. Wenn der Lockdown mit seinen Folgen zur Zerreißprobe in den Familien führt. Dr. Christiane Götte, Leiterin der LWL-Ambulanz , gibt Rat:
Manche wollen nur noch raus, andere chillen von morgens bis abends. Ein Jahr Corona-Krise mit seinem zweiten Lockdown, mit Homeschooling und Notgruppen in den Kindergärten und Kitas: Die Folgen sind nicht ohne gerade auch für die Kinder und Jugendlichen. Für sie hat sich sehr viel verändert. Soziale Kontakte sind in ihrer Lebensphase besonders wichtig. Sie brauchen einfach Gleichaltrige, um sich auszutauschen, messen und spiegeln zu können.
„In unserem Klinikalltag merken wir natürlich, dass der Lockdown mit seinen Folgen Kinder und Jugendliche psychisch stark belastet“, sagt Dr. Christiane Götte. Sie ist Oberärztin der Institutsambulanz der LWL Kinder- und Jugendpsychiatrie Marsberg.
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„Den Kindern und Jugendlichen fehlen die Kontakte“, bringt sie es im Gespräch mit der WP auf den Punkt. Den jüngeren Kindern würden die Spielpartner fehlen, die älteren würden mehr Zeit in den sozialen Medien verbringen.
Corona hat auch Auswirkungen auf das Behandlungsprogramm der Kinder- und Jugendpsychiatrie. So gibt es mehr ambulante telefonische Beratungsangebote. Die Jugendlichen müssen Mund-Nasen-Masken tragen auf den Stationen und auch während der ambulanten Behandlung. Die Kontakte sind eingeschränkt, Besuche sind nur nach den Corona-Schutz-Bestimmungen möglich. „Aber wir haben nicht mehr Patienten durch oder wegen Corona“, sagt die Oberärztin. Kinder und Jugendliche sind zwar durch das Coronavirus körperlich am wenigsten gefährdet. Aber der Leidensdruck in psychischer Hinsicht dürfe nicht unterschätzt werden, so die Oberärztin weiter.
Mehr Ängste unter Jugendlichen
Ängste hätten deutlich zugenommen. So würden viele unter der Angst leiden, ihre Eltern oder Großeltern könnten sich mit dem Virus infiziert haben. Auch bekommen sie die Ängste anderer Familienmitglieder mit, die sich beispielsweise um ihren Arbeitsplatz sorgen.
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Hinzu kommen belastende Familiensituationen auf engstem Raum, besonders bei sozial schwächeren Familien. Das führe oftmals zu depressiven Stimmungen und Zwangsverhalten, wie vermehrtes Händewaschen und -desinfizieren.
Auch das Homeschooling würde unter den kleinen und jugendlichen Patienten verschieden wahrgenommen. Dr. Götte: „Manche finden es gut, andere sagen, dass sie zu Hause nicht lernen können und ihnen die Kontakte mit Lehrern und Schülern fehlen.“ Eltern müssten dabei im Schulbereich oft Aufgaben übernehmen, für die sie in der Regel weder vorbereitet noch qualifiziert sind.
Telefonische Betreuungs- und Beratungsangebote
Im Rahmen der Corona-Krise bieten die kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanzen der LWL-Klinik Marsberg in den Versorgungsgebieten Hochsauerlandkreis, Kreis Paderborn und dem Kreis Höxter telefonisch psychotherapeutische Hilfsangebote an.
Institutsambulanz Marsberg: Tel. 02992 6013152, (Sprechzeiten: montags bis donnerstags von 8 Uhr bis 16Uhr; freitags von 8 Uhr bis 14 Uhr.
Ambulanz Meschede: Tel. 0291-902230, Ambulanz Paderborn: Tel. 05251 682213650, Ambulanz Höxter: Tel. 05271 95190.
In den Familien, in denen es schon vor Corona schwierig war, würden sich die Konflikte jetzt verstärken, hat auch Dr. Götte beobachtet. Bei schwächeren Kindern, würden die Eltern sagen, dass sie dicht machen würden, dass sie nicht mehr an sie herankommen würden, dass die Belastungen deutlich zugenommen hätten, und sie für Aufgaben deutlich länger brauchen würden.
In der Folge würden sich die Kinder und Jugendlichen teilweise zurückziehen, würden depressiv oder auch aggressiv. Dass das zu vermehrten Handgreiflichkeiten zwischen Eltern und ihren Kindern führe, wollte die Oberärztin so nicht bestätigen. „Das gibt es auch, aber bei uns nicht so massiv“, schränkt sie ein. Diese würde dann wohl eher bei den Jugendämtern oder der sozial-pädagogischen Familienhilfe im Sinne der Kindeswohlgefährdung ankommen.
Alltagsstrukturen helfen
Was kann da helfen, die schwierigen Situationen zu entzerren? Dr. Götte: „Hilfreich ist immer, Strukturen in den Alltag zu bringen.“ Sie empfiehlt feste Aufstehzeiten, feste Lernzeiten und feste Essenszeiten, freie Zeiten kreativ und aktiv zu gestalten, wie gemeinsam zu kochen oder zu backen oder einen Waldspaziergang zu machen, sich auf positive Ansätze zu besinnen und wohlwollend mit den Ängsten der Kinder umzugehen, ihnen Zusammenhänge und Lösungsmöglichkeiten zu erklären.
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„Das nimmt Ängste.“ Und nicht so hohe Ansprüche zu stellen weder an sich noch an die Kinder.
Wenn sich die Situation zwischen Eltern und Kindern aus Aggressionen und Verweigerung zuspitzt, rät sie, die Situation abzubrechen, sich auf Dinge zu besinnen, die Freude machen, wie jetzt im Winter Schlitten zu fahren oder einen Schneemann zu bauen.
Einfach nur abzuwarten, ist für Dr. Götte keine Option. Weil ein Ende der Pandemie sich tatsächlich nicht wirklich abzeichnet. „Das macht es schwierig, eine positive Zukunftsprognose zu stellen.“ Da helfe nur Geduld und zu schauen, was in schwierigen Situationen geholfen hat und wie sie gemeistert wurde.
Rückzugsmöglichkeiten schaffen
Für Jugendliche seien die sozialen Medien hilfreich, um Kontakte auszutauschen. Dr. Götte: „Aber auch das sollte geregelt sein, damit nicht nur noch geskypt wird.“ Die Oberärztin empfiehlt weiter: „Jeder sollte für sich Rückzugsmöglichkeiten haben, um etwas nur für sich machen oder ausprobieren zu können, wie beispielsweise ein Musikinstrument zu lernen oder nach einem Videoprogramm Sport zu treiben. „Danach hat man sich wieder etwas zu erzählten.“ Ganz wichtig: „Dem Alltag ein Stück Normalität zu geben.“